2012: Vogel im Käfig

In Khartum, der bis zu fünfzig Grad heißen Wüstenstadt im Sudan, sammeln sich am Ende alle, die auf der Flucht sind: vor der Polizei, dem Geheimdienst – und vor sich selbst. Eine Spurensuche nach ehemaligen Terrorpaten, Glücksrittern und anderen Figuren.

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Illustration:
Moiré und Claudia Blum
DATUM Ausgabe Juli/August 2024

Also wenn er jetzt einmal länger darüber nachdenke, dann sei es die zu geringe Dichte der Sauerstoffmoleküle, die ihn an dieser Stadt störe. Also die zu heiße Luft, sagt Stiaan Myburgh, Südafrikaner, 28, ledig, gläubiger Christ. Er ist einer jener seltenen Menschen, für die es keine Versicherungen gibt, weil ihre Lebenserwartung zu gering ist. Ein Pilot, der im Auftrag von UNO, NGOs und privaten Geldgebern so ziemlich alles befördert, was er befördern kann: Asylwerber, Computer, Leichen. Stiaan fliegt dorthin, wo sich sonst keiner mehr zu landen traut, mitten in die gotterbärmlichen Breiten dieser Welt, nach Somalia, Darfur, in den Kongo. Meistens ist er mit einer PAC 750 XL unterwegs, 315 km/h schnell, neun Sitzplätze, der Propeller an der Schnauze. ›Bei Temperaturen um die 45 Grad kriege ich die Maschine kaum noch von der Startbahn hoch‹, sagt er. Die Luft sei dann einfach zu dünn. Vor drei Jahren sei ihm das hier in Khartum passiert. ›Der heiße Sand brannte sich durch meine Luftröhre bis tief in die Lungenflügel‹, sagt Stiaan. Jeder Atemzug eine Qual, als habe er glühende Kohlen geschluckt. ›Wenn du es in der Hölle verschissen hast, dann kommst du nach Khartum!‹

Hinter der Geschichte

Mein Mit-Autor Gerald Drißner wohnte damals in Kairo, und wir hatten die Idee, nach Khartum in den Sudan zu reisen. Wir wollten der Frage nachgehen, warum gerade dort die weltweit gefährlichsten Terroristen wie Osama bin Laden oder Carlos der Schakal Unterschlupf suchten. Als Journalisten wurden wir dabei auf Schritt und Tritt vom Geheimdienst überwacht. Trotzdem konnten wir Zeitzeugen finden, die sich an Osama bin Laden und an Carlos erinnerten und sie auch kannten. In diesem streng muslimischen, völlig unterdrückten und kaputten Land fand bin Laden die besten Voraussetzungen vor, um seinen globalen Terrorfeldzug zu starten. Carlos hingegen kam als weltweit gesuchter Terrorist auf der Suche nach einem sicheren Versteck in die Stadt und soll furchtbar an der Langeweile und Hitze gelitten haben, die ihn fast umgebracht haben soll. Auf unserer Spurensuche trafen wir aber auch auf eine Reihe der seltsamen Figuren, die Khartum wie magisch anzog. Dubiose russische Waffenhändler, deutsche Techniker, die auch als Spione durchgehen konnten, oder südafrikanische Piloten, die bei Bedarf alles transportierten, von Leichen bis Munition.

Ich war sieben Jahre Chefredakteur bei DATUM, dann bekleidete ich diese Position bei kurier.at und zuletzt bei Puls 24. Ab Herbst 2024 mache ich wieder etwas Neues.

Stefan Kaltenbrunner

Aber sonst, sagt der Pilot, sei diese Stadt eine Wohltat. Er schätze das Essen, von dem er noch nie Durchfall bekommen habe. Die Freundlichkeit der Menschen und deren Genügsamkeit. Ein Ort fern von Malaria. Ohne Verbrechen und mit einer Langsamkeit, die Europäern fremd geworden ist. An dem die Menschen nicht viel mehr tun als beten und warten. Khartum, Nordostafrika, 8,3 Millionen Einwohner, 382 Meter hoch gelegen, Hauptstadt des Sudan, dessen offizielle Devise auf dem Wappen lautet: ›Der Sieg ist unser.‹

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