Der Volkssport

In Armenien war Schach immer schon populär – und wird seit 2011 auch als Pflichtfach in den Schulen unterrichtet. Unser Autor reiste nach Jerewan um herauszufinden, warum das kaukasische Land so für die 64 Felder brennt.

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Fotografie:
István Fekete
DATUM Ausgabe Juni 2025

Ich stehe vor einem traditionellen armenischen Restaurant in der Khanjyan-Straße und zögere. Wie beim Schachspiel wäge ich meine Möglichkeiten ab und frage mich, welche Straße ich wählen soll. Vor mir liegt die sechsspurige Straße, die das Stadtzentrum von Jerewan durchzieht. Ich sollte auf die andere Seite wechseln, aber es gibt keine Kreuzung. In der Ferne erblicke ich eine riesige Überführung, aber ich will nicht so viele Treppen steigen, vor allem nicht mit einem so schweren Rucksack auf dem Rücken. 

Andererseits muss ich mich beeilen. Es ist ein überraschend warmer Novembernachmittag, montäglicher Berufsverkehr, die gelben Blätter, die von den Bäumen fallen, färben den Bürgersteig golden. Ich bin auf dem Weg zum Tigran-Petrosjan-Schachhaus. Als ich die Kreuzung der Sayat-Nova-Allee mit der Khanjyan-Straße erreiche, erkenne ich sofort das ikonische Gebäude, das im typisch sowjetischen modernistischen Stil erbaut wurde, mit einem dreieckigen Grundriss, der – wie sollte es anders sein – an eine Festung erinnert, und dessen Fassade mit sieben kupfernen Schachfiguren geschmückt ist. Faszinierend.

Das Haus, das nach dem berühmtesten armenischen Schachspieler, dem neunten Weltmeister der Schachgeschichte benannt ist, ist ein berühmter Austragungsort für Wettkämpfe sowie ein Trainingszentrum, also ein Mekka für Schachliebhaber. Das 1970 eingeweihte Gebäude wurde von Zhanna Meshcheryakova, einer modernistischen Architektin, entworfen, die sich auf Funktionalität konzentrierte, und sein Grundstein wurde von Tigran Petrosjan selbst gelegt. Bevor ich das Gebäude betrete, schlendere ich eine Weile im Innenhof umher und finde die Büste von Petrosjan. Hier gibt es noch viel Grün, aber leider kann ich die friedliche Atmosphäre des kleinen Parks nicht lange genießen, da bald das nächste Schachturnier für die Jüngsten beginnt. In der Lobby sehe ich eine Menge Eltern, die sich Sorgen um ihre Kinder machen; im zweiten Stock befindet sich der Hauptsaal, in dem das Turnier stattfinden wird. Ich fühle mich wie auf einer Reise in die Vergangenheit: Der Saal zieht mich mit seinen riesigen, 20 Meter langen Wandteppichen, die Elemente und Symbole des Schachs darstellen, völlig in seinen Bann. Es sind wahrlich Meisterwerke, die die reiche Mischung aus armenischer Kunst und religiöser Tradition widerspiegeln.

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Wörter: 1989

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