Die Insel der Witwen
Auf der ugandischen Insel Lolwe konnten Fischer und ihre Familien jahrzehntelang gut vom Fang des Victoriabarschs leben. Doch irgendwann war der zweitgrößte Binnensee der Erde fast leergefischt – und das soziale Gefüge begann zu zerfallen.
Fast schüchtern wirkt Rosie Naigaga auf dem schmutzigweißen Schemel, auf ihren Knien wackelt eine dunkelblaue Plastikschale voller Reis. Eine zarte Frau, ihr Gesicht glatt wie eine Traube, die dunklen, kurzen Haare versteckt unter einem hoch aufgetürmten Kopftuch mit schief aufgedrucktem Schriftzug der Luxusmarke Balenciaga.
Geduldig sortiert sie die Körner, gebeugter Rücken, starrer Blick. Körner sind für sie übriggeblieben – statt großer Victoriabarsche wie zu den Zeiten, als ihr Mann noch lebte. Um Naigaga herum zucken verirrte Hühner über die sonnenverbrannte Wiese, das wenige Gras wächst in grünen Schollen auf rostroter Erde – der Schulhof der Shadrob Junior School.
Nein, sagt sie, einen Fischer erschossen habe die Armee länger nicht mehr. Das passierte vor allem zu Beginn des Fangverbots im Jahr 2017. Damals begannen die Patrouillenboote mit den PS-starken Heckmotoren und der großen schwarzen Aufschrift ›Ambulance‹ vor ihrer Insel Lolwe auf dem Victoriasee die Holzpirogen der Fischer zu kontrollieren. Wie groß sind die Netze? Wie lang die Boote? Aber vor allem: Fangen sie Victoriabarsch? Wer vor den Kontrollen fliehen wollte, lief Gefahr, von den Kugeln der Armeegewehre erwischt zu werden. Oder sprang in Panik über Bord und ertrank.

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