Haltet Abstand
Warum die Rückkehr zur Bussi-Bussi-Gesellschaft keine gute Idee ist.
Was hat Ingeborg Bachmann, Kärntens früher ungeliebtes Literatur-Idol, mit dem Corona-Virus zu tun? Was dieser mit ihrer vielgeliebten Erzählung ›Das dreißigste Jahr‹? Für viele nichts, für mich sehr viel. Denn in dieser Erzählung finden sich die Sätze: ›Haltet Abstand oder ich morde. Haltet Abstand von mir.‹
Nun, ein Mord würde entschieden zu weit gehen und passt auch besser zu Bachmann, Klagenfurt und der Geschichte. ›Haltet Abstand‹ aber ist eine Aufforderung, der ich jetzt, da die Infektionszahlen des Corona-Virus seit Juni dieses Jahres rasant nach oben gehen, den klassischen Medien aber kaum berichtenswert erscheinen, wieder viel abgewinnen kann. Wie sehr dieser rasante Anstieg in den Propaganda-Medien verbreitet wird, vermag ich nicht zu sagen. Ich konsumiere sie kaum und setze mich dafür ein, dass der positiv besetzte Begriff ›alternative Medien‹ durch einen, der ihren Inhalten näherkommt, ersetzt wird: Propaganda.
Es geht mir also um den Anstieg der Covid-Infektionszahlen im Herbst 2025. Er ist insofern auch der Herbst meines Missvergnügens, als ich mich in meiner Erwartung getäuscht sehe, die Gesellschaft werde vernünftig genug sein, sich von der Gepflogenheit, die in Zeiten der Ansteckungen zur Unart wurde, den Begrüßungs- und Lebwohlküssen zu verabschieden.
Die Rückkehr zur Bussi-Bussi-Gesellschaft kann doch nicht das höchste der Gefühle nach der Befreiung aus der Geiselhaft des Virus sein. Und doch scheint es so. Mit dem Anstieg der Infektionszahlen geht offenbar auch ein Anstieg an Achtlosigkeit, Justament-Haltung oder schlicht Ignoranz einher. Man hört und liest ja auch kaum etwas darüber. Man will ja die Bevölkerung nicht beunruhigen.
Szene aus einer Arzt-Ordination: ein Mann im überfüllten Wartezimmer. Er wird aufgerufen. ›Ich hab Corona‹, lässt er den Arzt noch wissen. Alle hören es. Er trägt keine Maske.
Szene in einer Wiener Straßenbahn: Sie ist überfüllt. Die Vorsicht-Maske ist bereit. ›Hearst, des brauchst ja net‹, tönt es aus der Menge.
Die zaghafte Antwort ›Ich will aber‹ wird von anderen Fahrgästen mit Kopfschütteln quittiert.
Das geht vorüber. Nicht aber das dauernde Missverständnis bei Begrüßung und Verabschiedung nach dem Einwurf ›Ich küsse nicht‹, nach dem Schritt zurück und nach dem Versuch, der sich rasch nähernden Wange zu entkommen.
Man kann sich das Image ausmalen, das sich verfestigt, wenn dieses ›Ich küsse nicht‹ konsequent verwendet wird. Verständnis wird man dafür nicht ernten. Die meisten der auf diese Weise Abgewehrten werden den Versuch der Distanz wahrscheinlich persönlich nehmen. An Erklärungen sind sie mit Sicherheit nicht interessiert.
Beim Abstand geht es jedoch nicht nur um die verschwiegenen Corona-Zahlen, sondern um Infektionen überhaupt. Abstand hat mit Unfreundlichkeit nichts zu tun, Bussi-Nähe nichts mit ehrlicher Sympathie. Abstand hat, so meinte es wohl auch Bachmann, mit Freiheit zu tun. Mit der Freiheit, sich und andere zu schützen. •
 
   
           
             
            