Himmel & Hölle
Flugabwehr ist ein Wettrennen auf vielen Ebenen. Unterwegs mit einer mobilen Flugabwehreinheit irgendwo zwischen Kiew und der Grenze zu Russland.
Über dem Dorf brütet die Sonne. Es ist so ein Tag, an dem man sich in den Schatten flüchtet und auf den Abend hofft. Darauf, dass die Sonne endlich verschwindet. Ljuda, eine Frau um die 60, steht auf dem kleinen Feld hinter ihrem Haus, schiebt mit einer Schaufel die trockene Erde zur Seite, sammelt Erdäpfel ein – für das Mittagessen: Junge Kartoffeln mit Sauerrahm, ausgelassenem Speck und Dille will sie kochen. Kukuruz, Gurken, Karotten, rote Rüben, Zwiebel, Knoblauch baut sie hier auch noch an. Sie wischt sich den Schweiß von der Stirn, stützt sich auf die Schaufel, deutet in Richtung Nordosten, sagt: ›Von da kommen sie.‹ Und dann deutet sie nach Westen: ›Dorthin fliegen sie – jede Nacht.‹ Die Drohnen, die Raketen, die Marschflugkörper meint sie, die Russland zuletzt jede Nacht zu Hunderten in die Ukraine geschickt hat. Und wenn sie abgeschossen werden, dann fallen sie vom Himmel. Letzte Nacht hat es zweimal gescheppert, erzählt sie, deutet in eine Richtung: ›Dort irgendwo.‹ In der Nacht davor habe sie irgendwann aufgehört zu zählen. Und in der davor auch.
Das Dorf, von dem hier die Rede ist, liegt irgendwo zwischen Kiew und der russischen Grenze. Es ist genau diese Gegend, über die vor allem in der Nacht die allermeisten Drohnen fliegen, wenn Russland Städte wie Kiew, Luzk, Lwiw, Iwano-Frankiwsk oder Tscherniwzi (Czernowitz) mit hunderten Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen beschießt. Und es ist hier, in dieser Gegend, wo die ukrainische Flugabwehr ihre ersten Versuche startet, diesen Wahnsinn zumindest etwas zu minimieren.
Es sind mobile Trupps in Pickups und mit schweren Maschinengewehren, die diese Jagd als erstes aufnehmen – hier, auf Feldwegen, zwischen Kukuruz und Sonnenblumen.

Wörter: 1898

Lesezeit: ~ 10 Minuten
Diesen Artikel können Sie um € 3,50 komplett lesen
Wenn Sie bereits Printabonnentin oder Printabonnent unseres Magazins sind, können wir Ihnen gerne ein PDF dieses Artikels senden. Einfach ein kurzes Mail an office@datum.at schicken.