Hoffnungslos, aber nicht ernst
Auf Einladung des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments reise ich nach Straßburg, um Ursula von der Leyens programmatischer Rede zur Lage der Union zu lauschen. Ist die Kommissionspräsidentin der Dramatik des historischen Augenblicks rhetorisch wie machtpolitisch gewachsen?
Die Zeitreise
Reisen Sie mit mir in die Vergangenheit. Wir schreiben das Jahr 2007, Österreichs Bundeskanzler heißt Alfred Gusenbauer, der Präsident der EU-Kommission José Manuel Barroso. In den USA nähert sich die zweite Amtszeit von George W. Bush ihrem Ende, eines Präsidenten, den viele Beobachter damals intellektuell wie außenpolitisch für das Schlimmste halten, was Europa und der Welt nur passieren konnte (diese Einschätzung ist nicht gut gealtert).
In dieser Gemengelage veröffentlicht der deutsche Soziologe und angesehene Intellektuelle Jürgen Habermas zu Jahresende den XI. Band seiner ›Kleinen politischen Schriften‹ unter dem Titel ›Ach, Europa‹. Bereits im Vorwort erklärt Habermas, dass es mit dem europapolitischen Optimismus vorbei sei. ›Von Hans Magnus Enzensbergers Lobgesang auf die europäische Vielfalt – Ach Europa! – bleibt heute nur noch der seufzende Ton.‹
Mit dem ›Vertrag von Lissabon‹ haben die Staats- und Regierungschefs damals dauerhaft das Projekt einer europäischen Verfassung beerdigt, das von Habermas mitangestoßen worden war. Der ›Vertrag über eine Verfassung für Europa‹ hätte unter anderem eine Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips im Europäischen Rat, das Amt eines EU-Außenministers sowie das Recht des Europäischen Parlaments, selbst initiativ Gesetze vorzuschlagen, vorgesehen. Er hätte (noch) kein föderalistisches Europa geschaffen, aber doch wesentliche Hindernisse auf dem Weg dorthin beseitigt.

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