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Die letzten Wilden

Wie Europas grüne Energiepolitik die Flüsse am Balkan gefährdet.

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Illustration:
Andreas Klambauer
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Quellen:
Ulrich Schwarz, FLUVIUS · Eurostat
DATUM Ausgabe Dezember 2018 / Jänner 2019

Es ist ein heißer Tag, die Luft flirrt aufgeladen und feucht. Micha Pungarseks Hände liegen schwer auf dem metallenen Geländer, während er auf der einzigen Brücke steht, die über die Učja gebaut wurde. ›Der Fluss ist Treffpunkt für die Menschen hier, Teil unserer Identität‹, sagt der junge Vater und gibt seiner zweijährigen Tochter ihre Wasserflasche. Fast drei Meter unter ihm sprudelt die Učja in einer tiefen Schlucht. Der 33-jährige Fleischer trägt eine Bauchtasche, verspiegelte Sonnenbrillen, stoppelkurzes Haar. Die Lederjacke schlägt sich mit dem rosa Rucksack seiner Tochter, den er in der rechten Hand hält. Besorgt blickt er dem Verlauf des türkisen Wassers nach, das sich Minute für Minute tiefer in die Felsen der slowenischen Alpen zu graben scheint. Umrahmt von tiefgrünen Bäumen wirkt der Fluss wie gemalt. ›Die Učja gehört zu uns. Wir gehen schwimmen, feiern Feste dort. Das will ich nicht verlieren‹, sagt der 33-Jährige in die Stille des Sommertages hinein.

Die Bedrohung, die der junge Vater sieht, hat ein gutes, ein grünes Image: Wasserkraft. Die EU, die slowenische Regierung, das Pariser Klimaabkommen, sie alle fördern und fordern den Ausbau von Wasserkraft. Denn in Zukunft soll der Prozentsatz an erneuerbarer Energie stark ansteigen. 2017 waren laut Eurostat rund 28 Prozent der in der EU produzierten Energie erneuerbar, 2050 müssten es 80 Prozent sein, so sieht es das 2015 beschlossene Pariser Klimaabkommen vor. ›Es gibt kein Zurückweichen aus dem Pariser Abkommen‹, sagt Jean-Claude Juncker beim EU-China-Gipfel 2017. Ganz im Gegenteil: Die EU hat mit ihrem Vorhaben, die C02-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gesenkt zu haben, das weltweit ambitionierteste Klimaziel.

Für Länder wie Slowenien bedeutet das: umsatteln, und zwar schnell. Wasserkraft ist ein Hoffnungsträger. In Mitteleuropa speisen die meisten geeigneten Flüsse bereits einen Stausee, viel Spielraum nach oben gibt es nicht. Ganz anders ist das am Balkan, wo Firmen, Politiker und private Investoren zu den noch unberührten Gewässern drängen. Doch in den betreffenden Ländern rührt sich Widerstand. Die Menschen fürchten um ihre Flüsse. ›Der Fluss ist unsere Lebensader‹, sagt Pungarsek und nimmt seine Tochter auf den Arm. Für sie möchte er die Učja erhalten.

23 Kilometer lang, an der breitesten Stelle knapp zwei Meter breit: Die Učja ist kein großer Fluss, fließt aber über die gesamte Strecke ungeregelt. Das ist eine Seltenheit in Mitteleuropa, nur 50 Kilometer von Villach ent­fernt. In Italien entsprungen, überquert sie nach acht Kilometern die slowenische Grenze und mündet hier kurz nach Žaga in die Soča. Dieser Fluss entspringt in den Julischen Alpen in Slowenien und fließt weiter nach Italien – dort ist er als Isonzo bekannt. Er be­herbergt seltene Fischarten, so zum Beispiel den Adriatischen Stör, den Russischen Stör und den Sterlet und gilt als der schön­ste Fluss der Welt – zumindest in Slowenien. Drei Staudämme sind geplant, um das relativ wenige Wasser optimal zu nutzen.

Bereits 56 Prozent der erneuerbaren Energie kommen in Slowenien aus der Wasserkraft, 2016 waren das 35 Prozent des produzierten Stromes. Dieser Wert könnte aber doppelt so hoch sein: Laut Experten ist das Potenzial für Wasserkraft in Slowenien zu weniger als 50 Prozent ausgeschöpft, in anderen Balkanländern gibt es noch mehr Luft nach oben. Das könnte sich bald ändern: 3.000 weitere Wasserkraftwerke sind laut der NGO Balkan River Defence geplant. Mit knapp 2.000 rechnet eine große Konferenz für Investoren, die ›Hydropower Balkans‹, die angibt, dass 24 Milliarden Euro in den nächsten Jahren am Balkan investiert werden können. Bei vielen Projekten würde das allerdings bedeuten, dass bisher naturbelassene Flüsse verbaut werden.

Ein Wasserkraftwerk, wie es an der Učja geplant ist, verändert die Gewässerart. Nicht nur der Fluss selbst, sondern auch alle Gewässer, die mit ihm verbunden sind, verändern sich. Wenn man ein Kraftwerk an der Učja baut, wird die Stein- und Wasserzufuhr der Soča beeinträchtigt. ›Eigentlich entsteht ein Hybrid. Weder ist es ein stehendes Gewässer, noch ein Fluss‹, sagt Forscher Steven Weiss von der Uni Graz. Der gebürtige US-Amerikaner ist an Flüssen aufgewachsen, schon früh stieß er auf Wasserkraftwerke. Weiss wurde neugierig. Und bald darauf wütend: Wo immer er einen Fluss sah, schien dieser zerstört zu werden. Seit 1994 in Österreich, erforscht der heute 60-Jährige, wie ein Wasserkraftwerk ein Gewässer beeinflusst. Besonders oft ist er in Slowenien. Sein Fazit: Der Lebensraum verändert sich für Tiere und Pflanzen massiv. Das kommt vor allem daher, dass bei den sogenannten Staukraftwerken, wie jenem, das an der Učja geplant ist, zwei bis vier Mal am Tag plötzlich ein großer Schwall Wasser freigesetzt wird. Darin stimmt ihm auch Stefan Schmutz von der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) zu, der ebenfalls Wasserkraftwerke und ihre Folgen erforscht. ›Für Tiere und Pflanzen bedeutet das ein Hochwasser, das für ein paar Stunden anhält und sich dann plötzlich in Niederwasser verwandelt‹, sagt er. Das Problem daran? Der ständige Wandel zwischen Wasserknappheit und Überfluss ist zu viel für die meisten Lebewesen.

Es gibt zwei Arten von Wasserkraftwerken. An der Učja ist ein sogenanntes Staukraftwerk geplant. So ein Kraftwerk gewinnt Energie, indem aus einem Stausee in einem Schwall Wasser abgelassen wird. Außerdem gibt es noch Laufkraftwerke, die durch eine Turbine Energie aus dem Fluss gewinnen. Beide Arten zerstören den Lebensraum Fluss, unabhängig von ihrer Größe. Dennoch herrscht ein Mythos vor: Kleine Kraftwerke gelten als minimalinvasiv. In der Praxis stimmt leider das Gegenteil. Oft werden für kleine Kraftwerke mehrere Flüsse zusammengeleitet, und ganze Flüsse verschwinden oder führen in der Folge viel zu wenig Wasser. Landstriche trocknen aus, Tiere und Pflanzen verlieren ihren Lebensraum. Für sehr wenig Energie-Output wird besonders viel Natur zerstört. Auch die lokale Bevölkerung spürt die Auswirkungen: Einheimische Hirten, die ihre Tiere an den Flüssen trinken lassen, finden zum Beispiel in Albanien immer schwerer Gewässer und Futter für ihre Herden.

Die massiven Eingriffe rechtfertigen die Auftraggeber mit den Klimazielen. Eine Studie des Weltklimarats (IPCC) sorgt mit neuen Erkenntnissen für Aufsehen: Nur zwölf Jahre bleiben der Welt laut den Wissenschaftlern demnach, um Maßnahmen gegen den Klimawandel zu setzen. Dann wird mit 1,5 Grad Erderwärmung ein sogenannter ›tipping point‹ erreicht, wonach sich das Weltklima drastisch und unwiderruflich verändert. ›Wir müssen unsere Ambitionen im Kampf gegen den Klimawandel erhöhen, sodass sie den Anforderungen des Berichts entsprechen,‹, sagen EU-Kommissar Miguel Arias Cañete und EU-Kommisar Carlos Moedas. Wie ist das zu schaffen?

Österreich setzt schon seit dem vergangenen Jahrhundert auf Wasserkraft. 70 Prozent der möglichen Kraftwerke hierzulande sind schon in Betrieb und erzeugten 2016 34,7 Prozent der in Österreich produzierten erneuerbaren Energie. Noch wichtiger ist die Wasserkraft in der Produktion von Strom: Hier erzeugten Wasserkraftwerke mehr als die Hälfte des Stromes. Die Zahl der Kraftwerke ist seit den 1980ern aber kaum gestiegen, denn seither wird gegen das Verbauen der Flüsse protestiert. Die wenigen Flüsse, die noch wild fließen, sollen unberührt bleiben. Wie die in den 1980ern umkämpfte Hainburger Au sind sie oft Teil eines Nationalparks. In Österreich ist damit klar, dass hier so rasch keine Wasserkraftwerke mehr gebaut werden. Gleichzeitig steigt Österreichs Energieverbrauch stetig. 2016 wurde laut Statitsik Austria doppelt so viel Energie importiert, wie erzeugt. Anders sieht es aber beim Strom aus: Hier wurde mehr als doppelt so viel Strom im Inland erzeugt wie importiert. Außerdem exportiert Österreich geringe Mengen an Strom. Obwohl Österreich die Wasserkraft kaum noch erweitert, stehen andere EU-Länder unter Druck: Sie sollen ihre erneuerbaren Energiequellen ausbauen. Für Österreichs Unternehmen ist das ein Vorteil. Weil es im Inland kaum noch Aufträge gibt, drängen die Unternehmen auf ausländische Märkte. So sind zwei österreichische Firmen laut der NGO ›bankwatch› unter den größten Investoren für Wasserkraft: Die Firma Energy Eastern Europe Hydro Power GmbH hat bisher 27 Kraftwerke in Bosnien-Herzegowina und Mazedonien gebaut, die Firma Kelag Group 13 in Bosnien, im Kosovo und in Montenegro. Auch diese Kraftwerke stehen teilweise in geschützten Gebieten. ›Alle unsere Kleinkraftwerke verfügen über die erforderlichen naturschutzrechtlichen Genehmigungen und liegen nicht in Naturschutzgebieten‹, sagt Ingo Preiss von der Kelag hingegen dazu. Gleichlautend heißt es auch bei der Energy Eastern Europe Hydro Power GmbH, einer Tochter der Wien Energie, dass bei allen Projekten sämtliche naturschutz- und umweltrechtlichen Auflagen erfüllt sind.

Auch die Soča ist teilweise durch Nationalparks geschützt. Den Wirtschaftsfaktor ›Naturschönheit‹ nützt man hier längst: In Bovec, der größten Stadt der Gegend, wimmelt es von Kajakschulen und Wassersportzentren. Die jungen, braungebrannten Menschen, die hier arbeiten, sind sich längst der Gefahr für ihr Gewerbe bewusst. Fast jeder Kajaklehrer und Raftingguide ist zugleich Aktivist. An einer der Einstiegsstellen wird klar, wie wichtig der Tourismus hier inzwischen ist: Knapp 60 Touristen und Lehrer besteigen gerade Kajaks oder Raftingboote. Man hört Englisch, Deutsch, Russisch und viele andere Sprachen. ›Der Fluss ist wunderschön‹, sagt eine braunhaarige Britin und legt ihr Paddel am Flussufer ab. Sie ist gerade zum ersten Mal Kajak gefahren. ›Der Tourismus ist die wichtigste Einkommensquelle der Region‹, sagt Fleischer Pungarsek. Die Hälfte seiner Bekannten arbeitet in diesem Sektor.

Noch vor einigen Jahren wusste keiner um die Pläne zu Wasserkraftwerken. Dass das jetzt anders ist, ist vor allem einer Organisation geschuldet: Der NGO Balkan Rivers Defence. Die Organisation wurde 2015 mit der ersten ›Balkan Rivers Tour‹ gegründet. Rok Rozman, leidenschaftlicher Kajaksportler, zog auf Google Maps eine rote Linie entlang der letzten unberührten Flüsse und beschloss, diese mit seinen Freunden hinunterzufahren, um auf die Bedrohung durch Wasserkraft aufmerksam zu machen. Mit Erfolg: Was als kleiner Protest einiger Kajakfans anfing, ist heute ein internationales Event mit großer Presseaufmerksamkeit.

Auch Vera Knook widmet ihr Leben der Organisation Balkan Rivers Defence. Auf der Soča ist die junge Frau in ihrem Element: Geschickt manövriert sie ihr Kajak zwischen zwei große Steine, Wasser spritzt, plötzlich geht es schnell: Die starke Strömung des Flusses reißt das Boot über eine Schotterbank. Knook paddelt in schnellen Bewegungen, das Kajak dreht sich einmal im Kreis, dann ist alles still. Die 27-Jährige hat ihr kleines Boot in ein sogenanntes Kehrwasser gelenkt, in einen Bereich ohne Strömung. Hier kann die Niederländerin durchatmen. Ihre langen blonden Haare, in einen losen Zopf gebunden, berühren fast die Oberfläche des Kajaks, in dem die Frau sitzt. Das hellgrüne Paddel hat sie vor sich abgelegt, der Blick schweift in die Weite: Die hohen Gipfel der slowenischen Alpen, tiefgrüne Tannenwälder, türkisblaues Wasser. Auf dem Fluss ist das Rauschen des Wassers so laut, dass man fast schreien muss, um sich zu verstehen. Knook findet das wunderschön. ›Der Fluss ist meine Heimat‹, sagt sie. Seit knapp einem Jahr lebt die gebürtige Niederländerin aus ihrem dunkelgrünen Auto. Auf den mittelgrauen Rücksitzen des alten Wagens liegen Brot und Marmelade, Kleidung, Bücher und ein Campingkocher. Im Kofferraum ist Platz für Paddel, Trockenanzüge und Knooks Koffer, wenn sie gerade den Ort wechselt. Ihr rotes Kajak schnallt sie dann mit zwei Zurrgurten an das Dach.

Knook hält ihr kleines Boot gerade an ein paar der großen, hellen Steine fest und holt eine Tube Sonnencreme aus einer Tasche an ihrer Schwimmweste. Während sie die Creme aufträgt, erklärt sie die Umgebung: Hier mündet die Učja in die Soča: ›Siehst du, wie wenig Wasser das ist? Ich verstehe nicht, warum man hier ein Kraftwerk bauen möchte‹, sagt die Aktivistin. Eine wütende Falte gräbt sich zwischen ihre Augenbrauen, wenn sie über die Pläne spricht. Fast hastig erzählt sie, wie sie den Fluss retten möchte: Vergangenen Samstag war hier ein Protest, das sei erst der Anfang, die Bevölkerung müsse aufwachen, verstehen, dass Wasserkraft nicht grün sei. Eigentlich hat Knook wie viele andere Aktivisten Wasserwirtschaft und Ingenieurswesen in der niederländischen Stadt Roermond studiert. Doch nach ihrem Master konnte sie sich nicht entschließen, für eines der Unternehmen zu arbeiten, die – wie sie sagt – ›ihre‹ Flüsse verbauen.

Das Zerstören von wilden Gewässern wollen alle ›Flussmenschen‹ verhindern. Gerade vor der Balkan Rivers Tour sammeln sie sich an den Einstiegsstellen der Soča. Eine Spannung liegt über den jungen Frauen, die das Wasser aus ihren Booten leeren, und den braungebrannten Männern, die sich lachend unterhalten. Jeder hier weiß: Dieser Sommer könnte der letzte sein. Einer von ihnen ist Ben Webb. Der Australier war in Peru auf Urlaub, als sich sein Leben veränderte. Er erkundete mit dem Kajak einen der wilden Flüsse, die man tagelang hinunterfahren kann, ohne dabei auf einen Menschen zu stoßen. Inmitten des peruanischen Urwaldes stieß er plötzlich auf Bagger. Ein Kraftwerk sollte gebaut werden. Webb ist nie wieder von seiner Reise zurückgekommen. Seit fünf Jahren kämpft er für die Flüsse. Nun ist er in Slowenien, um die Balkan Rivers Tour zu unterstützen. ›Bedrohte Flüsse gibt es in fast jedem Land der Welt. Es ist ein globales Problem, das global gelöst werden muss‹, sagt der Aktivist. ›Die Menschen müssen verstehen, dass Wasserkraft nicht mehr grün ist.‹

Durch Aktivisten wie Webb wurde die Botschaft von der Zerstörung durch Wasserkraft aus Slowenien flussabwärts getragen. In Bulgarien klagen Fischer über zu wenige Fische, rufen dazu auf, die noch ungeregelten Flüsse so zu belassen. In Albanien beteuern mehr und mehr Anwohner, die Vjosa sei Teil ihrer Identität, und fordern, dass diese nicht verbaut werden darf. Besonders dieser Fluss hat viel Presseaufmerksamkeit bekommen. Balkan Rivers Defence präsentiert dieses Jahr einen Film über die Vjosa als Herzstück der Tour. ›The Undamaged‹ heißt er. Der letzte Fluss Europas, der von Ursprung bis Mündung, 270 Kilometer weit, ungeregelt fließt, soll mit 33 Staudämmen verbaut werden, heißt es darin. In Bosnien-Herzegowina blockierten die ›Frauen von Kruščica‹ über ein Jahr lang eine Brücke, damit das Kraftwerk Dragobia nicht weitergebaut werden konnte. Jetzt haben sie einen gerichtlichen Baustopp erreicht, da das Kraftwerk in einem Nationalpark stehen würde.

Trotz teils dramatischer Folgen plädieren viele Aktivisten nicht gegen Wasserkraft, sondern nur gegen ihren unkontrollierten Ausbau. Viele fordern eine verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfung vor Baubeginn jedes Kraftwerks. Denn Wasserkraftwerke werden oft von korrupten Politikern genehmigt, ohne dass diese über die ökologischen Folgen nachdenken. ›Es ist kompletter Wildwuchs‹, sagt Stefan Schmutz von der BOKU. Die nationale und internationale Politik ignoriere selbst Wasserkraftwerke, die in Nationalparks gebaut werden. Warum? Die Menschen wollen eine einfache, technische Lösung für den Klimawandel. Die gebe es aber nicht. Der globale Energieverbrauch müsse reduziert werden, egal wie viele Kraftwerke man baue, meint Schmutz. ›Erneuerbare Energien sind nicht unbegrenzt‹, sagt auch Steven Weiss von der Uni Graz. ›Es muss Wasserkraftwerke geben, aber auch Flüsse.‹

Und was sagt Slowenien? ›Die Weiterentwicklung von Wasserkraft hat für uns hohe Priorität. Wir sehen uns dem Pariser Abkommen verpflichtet‹, gibt die Pressestelle des slowenischen Ministeriums für Infrastruktur auf Anfrage an. Auch die EU fördert klimafreundliche Initiativen am Balkan: Die ›Sofia-Deklaration‹, 2018 verfasst, versichert, dass die EU Staaten am Westbalkan weiterhin bei der Entwicklung nachhaltiger Energieversorgung unterstützen möchte. ›Erneuerbare Energie ist gut für Europa, und heutzutage ist Europa gut für erneuerbare Energie‹, sagt Miguel Arias Cañete, Kommissar für Klima und Energie.

Ist also die EU schuld an der Lawine an Wasserkraftwerken? Neža Posnjak sieht das differenzierter: ›Die EU fördert zwar erneuerbare Energie, aber sie zwingt niemanden, Flüsse zu verbauen‹, sagt die 28-Jährige vom WWF. Sie arbeitet seit über fünf Jahren für NGOs, die sich gegen Staudämme am Balkan engagieren. Wie andere Naturschutzorganisationen plädiert auch der WWF für Formen der erneuerbaren Energie, die bisher weniger genutzt werden. Auch Steven Weiss von der Uni Graz stimmt zu, wenn auch aus anderem Grund: Die Investition in Wasserkraft lohne sich eigentlich nicht. Solarenergie sei lukrativer, aber weniger verbreitet. ›Weil diese Technologie neuer ist, wird weniger investiert‹, sagt der Experte. Vor allem private Geldgeber hätten das Gefühl, weniger Risiko mit der Wasserkraft einzugehen. Das stimme oft nicht.  Ein weiterer Grund für das große Vertrauen in Hydroenergie ist aber doch auch ein wirtschaftlicher Vorteil: Wasserkraftwerke können Energie produzieren, wenn es am günstigsten ist. Der Preis für Strom ist nicht konstant gleich, sondern verändert sich ständig, je nach Angebot und Nachfrage. So entstehen sogenannte ›Spitzen›, zu denen der Strompreis besonders hoch ist. Gerade dann lohnt es sich für die Inhaber, die Schleusen eines Staudammes zu öffnen und einen Schwall Wasser abzulassen. Die Möglichkeit, seine Energieproduktion so zu steuern, bietet nur die Wasserkraft. Sie wird deshalb oft als notwendige Ergänzung zu anderen erneuerbaren Energieproduktionsarten wie Sonne und Wind gehandelt.

Letztlich liegt es aber vor allem bei kleineren Kraftwerken an lokalen Politikern, ob ein Wasserkraftwerk gebaut wird oder nicht. Neža Posnjak vom WWF schüttelt den Kopf, wenn man sie danach fragt. ›Politiker kann man vergessen. Entweder sie sind korrupt, oder es ist ihnen sowieso egal‹, sagt sie. Für Posnjak gibt es nur wenige Ausnahmen. Eine davon ist Valter Mlekuž. Dank ihm schaut es aktuell gut aus, für die slowenischen Flüsse Učja und Soča. ›Das Projekt ist tot‹, sagt der Bürgermeister der Region Bovec, wenn man ihn nach dem geplanten Staudamm fragt. Er lehnt sich in seinen roten Ledersessel. Der 59-Jährige ist seit 2016 im Amt. Er trägt Bluejeans, in die er ein rosa Hemd gesteckt hat. Eine silberne Uhr leuchtet auf seiner sonnengebräunten Haut. Hinter ihm stehen drei Fahnen: die von Bovec, die von Slowenien und die der EU. ›Solange ich in diesem Amt bin, wird nichts auf der Soča gebaut‹, sagt der Politiker und verschränkt die Finger. Der Tourismus ist so wichtig für Bovec, dass der Bürgermeister keinen Rückgang der Besucher riskieren möchte. Er sitzt mit geradem Rücken, lächelt breit und viel. Für seine Region hält Mlekuž das Energieproblem für gelöst: ›Wir bauen eine neue High-Speed-Stromleitung. Sie wird unterirdisch verlaufen, und oben drauf kommt ein Fahrradweg‹, sagt er mit stolzer Stimme. 2020 wird das Projekt fertig, rechtzeitig vor den nächsten Wahlen. Wasserkraft ist für Mlekuž passé.

Überblick über die Wasserkraft am Balkan zu erlangen, ist eine Sisyphosaufgabe. Oft kann niemand sagen, ob an einem Fluss wirklich ein Wasserkraftwerk geplant ist, bevor die ersten Bagger anrücken. Kleine Kraftwerke werden meist durch private Mittel finanziert, die Entscheidungen der Investoren bleiben der Öffentlichkeit unbekannt. Landesregierungen erzählen am liebsten die Geschichte von der guten Wasserkraft und interessieren sich nur wenig für ökologische Bedenken. Ihr Fokus sind die Klimaziele. Die meisten Wissenschaftler und Experten hingegen engagieren sich für den Erhalt der Flüsse. Viele der Aktivisten haben in den betreffenden Fächern studiert.

Selbst ein Nationalpark lässt die ›Flussmenschen‹ nicht aufatmen. ›Naturschutzgebiete sind egal, wenn man genug Geld hat‹, sagt Knook. Das klingt absurd, ist aber wahr: Eine Studie der NGO ›bankwatch‹ bestätigt mehrere Kraftwerke, die trotz Nationalparks in geschützten Gebieten gebaut wurden. Fast alle Experten stimmen zu. Alleine im mazedonischen Mavrovo-Nationalpark sind 22 Wasserkraftwerke geplant, bei denen die Finanzierung teilweise von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) kommt. Ein kleines Kraftwerk steht bereits. Deshalb plant Balkan Rivers Defence weiteren Widerstand, obwohl ein großer Teil der Soča bereits in einem Naturschutzgebiet liegt und der aktuelle Bürgermeister Mlekuž dezidiert gegen den Bau eines Kraftwerks ist. Damit das so bleibt, will man an der Soča und am ganzen Balkan weiter Proteste organisieren, egal was Politik und Wirtschaft sagen. Denn wirklich sicher sei ein Fluss, so Knook, nur dann, ›wenn man nicht aufhört, für ihn zu kämpfen‹.     •