Ein Foto reicht nicht
In Kanada brennt der Wald. Doch erst als der Smog New York erreicht, horcht die Welt auf. Warum? Der Fotojournalist Santi Palacios erklärt, wie man die Klimakrise angemessen visuell kommuniziert.
Dicker Rauch hängt über dem Times Square und taucht New York in ein apokalyptisches orangefarbenes Licht. Die höheren Etagen der Wolkenkratzer sieht man nur schemenhaft, vom blauen Himmel ganz zu schweigen. Am Boden gehen die Menschen unverändert gestresst ihrem Alltag nach, bleiben aber nicht gänzlich unberührt: Sie müssen wieder Masken tragen. Denn der Smog stammt von Waldbränden in Kanada und ist gefährlich für die Lunge. Auch Ende Juni kämpfen die Einsatzkräfte dort noch mit den Flammen. Die Hitze und Trockenheit der Klimakrise facht sie weiter an.
›Wir haben uns dran gewöhnt, jeden Tag in einer Krise zu verbringen, die sich eigentlich direkt vor unserer Nase abspielt‹, sagt der Fotojournalist Santi Palacios. ›Das macht das Foto nur noch dystopischer.‹ Der Spanier ist Gründer und Chefredakteur von Sonda Internacional, ein Kollektiv aus Foto- und Videojournalisten. Die ausführlichen Themendossiers auf ihrer Website zeigen in einem visuellen Mix aus Fotos, Grafiken und Videointerviews die Folgen, Ursachen und Betroffenen der Klimakrise. ›Ein Foto reicht oft nicht, um die größte globale Herausforderung für die nächsten Generationen zu erklären‹, sagt Palacios. Daran wäre jeder Fotojournalist schon einmal gescheitert, meint er.
Denn die Konsequenzen der Klimakrise erstrecken sich über eine lange Zeit, es gibt keinen direkten Schuldigen. Inzwischen sind wir auch gegenüber typischen Sujets abgestumpft, wie Eisbären auf einer schmelzenden Scholle. Das Problem verschwindet aber leider nicht. Deshalb müssten Fotos die Menschen auf einer persönlichen Ebene ansprechen, sagt Palacios. Meistens passiere das über Protagonisten, mit denen die Menschen mitfühlen könnten. Die Emotionen in den New Yorker Gesichtern werden von den Masken verdeckt, sie wirken gleichgültig gegenüber der über ihnen schwebenden Gefahr. ›Das Alltägliche zeigt uns, an welchem Punkt wir angekommen sind. Die Menschen holen ihre Kinder von der Schule ab und müssen sich vor der Luft schützen, die sie atmen‹, sagt Palacios.
Ein weiterer Kniff ist es, neue, ungewöhnliche Geschichten zu erzählen. Zu zeigen, wie orangefarbener Smog drohend über den grellen Werbetafeln einer Großstadt hängt, fällt in diese Kategorie. Aber erschwert es das nicht, eine Verbindung zu den Waldbränden und der Klimakrise herzustellen? ›Ein gutes Bild ist eines, das mehr Fragen als Antworten bietet‹, sagt Santi Palacios. Wenn es im Betrachter den Drang auslöst, mehr über die Hintergründe zu erfahren, sei das ein Gewinn. Für viele Fotojournalisten war es enttäuschend, dass die Waldbrände erst Thema wurden, als der Rauch New York eingehüllt hatte, erzählt Palacios. ›Aber wenn wir so Menschen dazu bringen, sich überhaupt damit zu beschäftigen, warum nicht?‹
Am Ende gehe es darum, eine Balance zwischen Aufmerksamkeit und wissenschaftlicher Korrektheit zu finden. Die Klimakrise liefere viele auf den ersten Blick schöne Sujets, sagt Palacios, aber Fotojournalisten müssten sich immer die Frage stellen: ›Ist das wirklich wichtig?‹ Bei Sonda Internacional versuchen Palacios und seine Kollegen, nur wissenschaftsbasiert zu arbeiten. Die Betrachter werden mit visuell starken Bildern eingefangen, im ausführlichen Dossier findet dann die Kontextualisierung statt. Denn meistens reiche ein Foto eben nicht. •
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