Geliebtes Schneckentempo
Über die Freude daran, wenn Kinder das Brettspielalter erreichen.
Kürzlich habe ich das erste Mal mit meiner kleinen Tochter ›Tempo, kleine Schnecke‹ gespielt. Wenn Sie Kinder haben, kennen Sie das Spiel wahrscheinlich: Es ist ein Schneckenrennen, bei dem die verwendeten Würfel keine Augen, sondern farbige Seiten haben und damit anzeigen, welche der bunten Schnecken sich vorwärtsbewegen darf. Noch bevor Kinder im richtigen Alter für ›Mensch, ärgere dich nicht‹ sind, können sie schon ›Tempo, kleine Schnecke‹ spielen und sich daran erfreuen zu tippen, welche Schnecke als erste ins Ziel kommen wird. (Wem das banal erscheint: Erwachsene, die auf Pferde wetten, spielen auch nur ›Tempo, kleine Schnecke‹ um Geld.)
Zweieinhalb Jahre habe ich darauf gewartet, dass meine Tochter ins richtige Alter für regelbasierte Brettspiele kommt, jetzt ist es endlich so weit. Dass sie die Schnecken manchmal einfach so ins Ziel schiebt, weil sie findet, sie wollen jetzt schon den als Preis auf das Spielbrett gemalten Salatkopf essen, und dass ihr das Nachahmen der Fressgeräusche (›Mjamjamjam!‹) wichtiger ist als die Spielmechanik als solche, stört mich überhaupt nicht. Hauptsache, wir spielen gemeinsam ein Brettspiel, das einen Anfang, ein Ende und Regeln hat (an die man sich nicht immer halten muss) – anstatt Rollenspiele in Endlosschleife, bei denen ich stundenlang die Stimme verstellen und ihren Regieanweisungen folgen muss (›Der Dino soll weinen!‹).
Außerdem ist das Spiel ein Stück Kulturgeschichte: Sein Erfinder, Alex Randolph, war einer der erfolgreichsten Spieleentwickler aller Zeiten, auf dessen Konto auch Brettspiel-Klassiker für Erwachsene wie ›Inkognito‹, ›Hol’s der Geier‹ oder das Strategiespiel ›Twixt‹ gehen, das Randolph laut eigener Aussage als damaliger Wahlwiener 1961 im Café Hawelka erfand.
Einer der liebsten Spielgefährten Randolphs war übrigens der spätere deutsche Komödiant Herbert Feuerstein. Die beiden sollen einander schon 1957 in Wien kennengelernt haben und entwickelten später gemeinsam das Brettspiel ›Spion und Spion‹. Ja, an solche Anekdoten denke ich, während sich die Schnecken temporeich dem Salat nähern. Es gibt doch wenig Schöneres als ein gelungenes Brettspiel. •
Spiel: ›Tempo, kleine Schnecke‹ · Autor: Alex Randolph · Verlag: Ravensburger