Anfang April sorgten Berichte aus dem Kiewer Vorort Butscha für internationales Entsetzen. In der ukrainischen Kleinstadt wurden nach dem Rückzug russischer Truppen zahlreiche Leichen von Zivilisten sowie Massengräber gefunden. Die expliziten Fotos von Opfern des Kriegsverbrechens, das als Butscha-Massaker bekannt wurde, lösten eine Debatte darüber aus, wie Bilder aus dem Krieg medial gezeigt werden sollten. Bereits im März hatte ein Coverfoto der New York Times für Diskussionen gesorgt. Es zeigte eine getötete Familie, die bei einem russischen Artillerieangriff ums Leben gekommen war.
Dass Bilder im Krieg wichtige Zeugnisse sein können, ist unbestritten. Das gilt auch im Fall von Butscha. Fotojournalisten liefern Bilder vom Ort des Geschehens und von den Opfern unter erheblicher Gefahr und psychischer Belastung. US-Satellitenbilder zeigen, dass die Leichen bereits auf der Straße lagen, bevor die russische Armee abzog, und dienen als wichtiges Beweismittel gegen die russische Propaganda, die die Verbrechen leugnet. Langfristig könnten die Fotos und Videos in Verbindung mit Zeugenaussagen auch zur gerichtlichen Aufarbeitung dienen.
Wenn es um die mediale Verbreitung von Bildern geht, setzt die Relevanz des Ereignisses jedoch nicht automatisch alle Grundsätze der Medienethik außer Kraft. Journalisten neigen dazu, aus der Perspektive professioneller Augenzeugen zu argumentieren, wenn sie für die schonungslose und unverpixelte Verbreitung von Kriegs- und Opferbildern plädieren. Mit der Forderung ist oft die (falsche) Vorstellung verbunden, dass Bilder eine unmittelbare politische Wirkung haben. Medienethiker bringen neben den Perspektiven von Journalisten und Redaktionen weitere Überlegungen in die Debatte ein. Dazu gehören neben dem berechtigten Informationsinteresse der Öffentlichkeit vor allem die Interessen der Toten und ihrer Angehörigen (z.B. Persönlichkeitsschutz) sowie die Interessen besonders vulnerabler Medienrezipienten, bei denen eine Traumatisierung möglich ist. Die Politikwissenschaftlerin Marion G. Müller, Expertin für visuelle Kommunikation, hat bereits 2005 darauf hingewiesen, dass explizite Kriegsbilder nicht ungesehen gemacht werden können. Eine fallspezifische Bewertung der Frage der Bildverwendung ist daher unerlässlich.
Dass Bilder das Grauen des Krieges auch ohne geschundene Körper oder Leichenteile vermitteln können, illustriert ein Foto des Journalisten Rodrigo Abd, das unter anderem von der britischen Tageszeitung The Guardian, von der deutschen Wochenzeitung Die Zeit oder auf der Website der Tagesschau verwendet wurde. Es zeigt die zerstörte Stadt Butscha mit auf den Straßen liegenden Wracks von Kriegsgerät. In der optischen Bildmitte ist eine einzelne Person zu sehen, die ein kleines Paket trägt. Das Bild verweist auf das Grauen, das die Menschen in Butscha seit der Eroberung der Stadt erlebt haben. Die Symbolik des Motivs geht jedoch darüber hinaus: Es zeigt auch das Überleben in einer Situation, in der bereits alle Hoffnung verloren schien. •
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