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Guter Flüchtling, böser Flüchtling

Polen hat mit Abstand die meisten Geflüchteten aus der Ukraine aufgenommen. Die Solidarität der Regierung mit Schutzbedürftigen ist jedoch sehr selektiv – das zeigt sich nicht nur an der Grenze zu Belarus. Die Hauptlast tragen private Initiativen.

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Fotografie:
Tomasz Kaczor
DATUM Ausgabe Juni 2022

Der Bass dröhnt laut aus den Boxen. Doch wer heute am Eingang der ›Goldenen Terrassen‹, wie Warschaus bekanntes und direkt neben dem Zentralbahnhof gelegenes Einkaufscenter ›Złote Tarasy‹ ins Deutsche übersetzt heißt, die Regler aufdreht, ist nicht einer der hippen Jugendlichen, die sich hier gerne tummeln. Nein, es ist ein Straßenhändler, der seinen Campingtisch aufgebaut hat und nun mit lauter Musik auf sich aufmerksam macht. Sein Hauptangebot: ukrainische Fähnchen und Krimskrams in den Nationalfarben des östlichen Nachbarn. Er und seine Kollegen, egal ob sie vor dem Kulturpalast oder in der his­torischen Flaniermeile ›Krakowskie Przedmieście‹ ihre improvisierten Stände stehen haben, beweisen eindrucksvoll, dass sich mit dem russischen Einmarsch in der Ukraine auch Geld verdienen lässt. Und sei es nur durch blau-gelbe Fähnchen an einer Plastikstange. 

Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine brach zwischen Oder und Bug eine Solidaritätswelle mit der Ukraine aus, die fast schon Ausmaße eines Tsunami hat. In Warschau ist dieser unübersehbar. Auf den elektronischen Werbetafeln liest man Botschaften wie ›Be brave like Ukraine‹. An vielen ­Häusern sind Banner mit ›Slava Ukraini‹ befestigt, während an offiziellen Gebäuden und Geschäften wie selbstver­ständ­lich neben der polnischen auch die ukrainische Flagge weht. Teilweise kann man den Eindruck bekommen, Warschau wäre die zweite Hauptstadt der Ukraine.

Es ist jedoch nicht nur das omnipräsente Blau-Gelb, das Warschau derzeit so erscheinen lässt. Zum Alltag der Stadt an der Weichsel gehören mittlerweile auch Ukrainisch und Russisch. Rund 300.000 ukrainische Flüchtlinge sind seit Kriegsbeginn am 24. Februar in Warschau angekommen, was die demografische Struktur der 1,8 Millionen-Metropole innerhalb weniger Wochen stark verändert hat. Auf jeden sechsten Warschauer kommt ein Kriegsflüchtling aus der Ukraine. Laut Angaben der Warschauer Stadtverwaltung bedeutet dies einen Bevölkerungszuwachs von 17 Prozent.

Und Warschau ist keine Ausnahme. Rund 3,4 Millionen ukrainische Kriegsflüchtlinge, vorwiegend sind es Frauen und Kinder, haben bisher die Grenze nach Polen überschritten. Wie viele genau von ihnen in dem Land geblieben sind, lässt sich schwer sagen. Viele der Flüchtlinge reisen von Polen aus weiter in andere Staaten, manch andere wiederum sind bereits wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Dennoch schätzen Experten, dass sich in Polen derzeit drei Millionen ukrainische Flüchtling aufhalten, was die Dimensionen der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 und 2016, als Deutschland und Österreich gemeinsam über eine Million Menschen aufnahmen, weit übertrifft. 

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