Im Sucher
Ethnic Profiling ist ein Grund, warum Schwarze sich auch in Österreich als ›Menschen zweiter Klasse‹ fühlen. Was ist das Problem der Polizei?
Max kennt den Weg zu den Gates am Wiener Flughafen und auch die Ge–schäfte, an denen man vorbeigeht. Mindestens einmal im Monat steht bei ihm eine berufliche Flugreise an. Heute hat ihn das frühe Aufstehen müde gemacht, die Eintönigkeit des Flughafenpfades macht es nicht besser. Eben noch ein Blick aufs Handy, um die morgendlichen E-Mails zu checken, dann streckt er dem Beamten seinen Pass entgegen. ›Mitkommen bitte‹, heißt es, bevor ihn das Sicherheitspersonal in einen abgele-genen Raum führt. Maxʼ Herz klopft. ›Was ist das Problem?‹ fragt er. Die Antwort lässt auf sich warten. Was habe ich falsch gemacht, fragt Max sich, zählt all die Sicherheitsvorkehrungen ab, die er vor jeder Reise tätigt, um kein Misstrauen wegen seiner Hautfarbe zu ernten, und setzt sich auf den Sessel, auf den der Beamte wortlos weist. Auch wenn Max die ausführ-lichen Identitätskontrollen am Wiener Flughafen und auch in der österreichischen Bahn immer wieder erdulden muss, gewöhnen wird er sich daran wohl nie.
In Österreich erleben besonders viele Menschen Ethnic Profiling in Form von Anhaltungen und Kon-trollen der Polizei. So viele, dass Österreich in den Häufigkeiten dieser Erfahrungen Platz eins unter jenen zwölf Staaten der EU einnimmt, die 2019 von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) untersucht wurden. Immer wieder wird auch medial über Vorfälle diskriminierender Verhaltensweisen der Polizei berichtet, etwa 2018 rund um die Erfahrung des Wiener Rappers T-Ser bei einer Identitätskontrolle im Park oder 2009 über die körperlichen Misshandlungen des ehemaligen Sportlehrers Mike Brennan in der Wiener U-Bahn. Und die Namen Marcus Omofuma und Seibane Wague sind auch Jahrzehnte nach den damit verbundenen Vorfällen noch synonym für tödliche Polizeigewalt gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe in Österreich.
Ausprägungen von systemischem Rassismus sind für Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe in Österreich oft Alltag. Die Beifügung ›systemisch‹ hat dabei folgende Bedeutung: Werden Berichte rassistisch motivierter Kontrollen von den Kontrolleuren häufig als Einzelfälle abgetan, hat die Diskriminierung nachweislich eine durchgängige und nicht nur anekdo-tische Dimension. Dabei reproduzieren sich innerhalb der Polizei jene rassistischen Denkmuster, die auch in der Gesellschaft immer noch existieren, wie Sina Aping festhält, die an der Uni Wien zu kritischer Rassismusanalyse forscht. In dieser Hinsicht könne auch von institutionellem Rassismus gesprochen werden, in dem Personen mit nicht-weißer Hautfarbe weiterhin die Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft abgesprochen werde. Aus den Statistiken der FRA lässt sich dabei ablesen, dass Männer etwa drei Mal so häufig wie Frauen betroffen sind. ›Schwarze Männer werden einfach viel häufiger als Bedrohung gesehen und kriminalisiert als Frauen, die in diesem Zusammenhang eher eine geschütztere Rolle einnehmen‹, erklärt Sina Aping. Die Diskriminierung passiert an verschiedenen Orten des öffentlichen Lebens, im Verkehr oder gar vor der eigenen Haustüre. Was für Außenstehende schnell erledigt erscheinen mag, wirkt in den Gedanken der diskriminierten Personen lange nach. Wie das aussieht, haben Noam, Rahim, Max und Raissa DATUM erzählt und die dabei wieder aufkommenden unangenehmen Gefühle in Kauf genommen. Sind sich Streifenpolizisten wie auch die Verantwortlichen des Innenministeriums des Problems, das in Wahrheit ja weniger das der Betroffenen, sondern eher das der -Polizei selbst ist, bewusst?
Der Polizei Diskriminierung vorzuwerfen, ist oft angstbesetzt. Rahim, Noam und Max möchten deshalb ihre echten Namen nicht nennen. Eine Ausnahme macht Raissa. Die gebürtige Oberösterreicherin und Innenarchitektur- und Holztechnikstudentin hat kei-ne Angst; als österreichische Staatsbürgerin ist sie sich ihrer Rechte bewusst. Noam und Max wohnen seit vielen Jahren in Wien, Rahim im Burgenland; sie sind angestellt oder studieren.
Ihre Geschichten ähneln sich: ›Letzten November war ich auf dem Weg zu einer Party‹, erzählt Noam. ›Ich bin gerade losgegangen, die Kopfhörer auf, und sehe, wie Polizisten eine Person mit dunklerer Hautfarbe stoppen. Da ist genau vor mir ein weiterer Polizeiwagen stehen geblieben. Drei Polizisten sind aus dem Auto gesprungen, haben »Stopp« gerufen und gemeint, ein schwarzer Mann laufe hier herum, daher müssen sie meinen Ausweis prüfen‹, so Noam.
Rahim wiederum war im Mai mit Freunden radfahren und danach noch in der Stadt spazieren. ›Wir sind die Straße hinuntergegangen, da sahen uns die Polizisten im vorbeifahrenden Auto. Sie haben sofort umgedreht, die Fenster hinuntergerollt.‹ Ob sie in der nahe gelegenen Unterkunft für geflüchtete und obdachlose Menschen lebten, fragte der Polizist, und auf die verneinende Antwort bat er Rahim und einen Freund arabischer Herkunft um ihre Ausweise; die danebenstehende weiße, blonde Freundin nicht. ›Alles ist so schnell gegangen. Ich habe die Situation erst verstanden, als die Polizisten schon wieder weg waren‹, erzählt Rahim. Dann war es erst einmal verstörend. ›Es hätte mir nichts ausgemacht, wenn der Beamte uns alle nach den Ausweisen gefragt hätte. Aber so war es offensichtliche Diskriminierung. Ich hätte nicht gedacht, dass mir sowas in Österreich passiert.‹
Überraschend sind Vorfälle dieser Art für Noam nicht mehr. ›Es ist normal‹, erzählt er. ›Wir sind daran gewöhnt. Wir müssen daran gewöhnt sein.‹ Auch Raissa hat schon mehrere Kontrollen erlebt. Als die heutige Mittzwanzigerin 16 Jahre alt und auf dem Weg zu Freunden nach Wien ist, wird sie im Zug von der Zivilpolizei kontrolliert. ›Einer hat meinen Reisepass angeschaut und gesehen, dass ich österreichische Staatsbürgerin bin. Er hat ihn wieder zurückgegeben, aber meine Freundin hat er nicht kontrolliert. Die ist genau neben mir gesessen.‹
Kontrollen, denen kein anderer Verdacht als die ethnisch sichtbare Zugehörigkeit einer Person zugrunde liegt, sind laut Antidiskriminierungsgesetz verboten und verstoßen gegen die Menschenrechte. Warum passieren sie dennoch?
Noch dazu in diesem Ausmaß: Nahezu die Hälfte der 2019 von der FRA befragten schwarzen Einwohner Österreichs gaben an, innerhalb des vergangenen Jahres von der Polizei angehalten worden zu sein. Etwa ein Drittel davon schätzte diese Anhaltung als Ethnic Profiling ein. ›Da ist erkennbar, dass wir in Österreich ein großes Problem haben‹, sagt Dunia Khalil. Die Juristin ist Rechtsberaterin bei ZARA, dem Verein für Zivilcourage & Anti-Rassismus-Arbeit. Aus dem österreichischen Innenministerium heißt es dazu: ›Man darf nicht wegargumentieren, dass es Ethnic Profiling in Österreich gibt.‹ Das sagt Friedrich Kovar, der in der Abteilung Organisation, Dienstbetrieb und Analyse arbeitet und Menschenrechtsreferent in der Landes-polizeidirektion Wien war. Vielmehr gehe es ihm darum, das Problem anzuerkennen und ›prozessorientiert‹ aufzuarbeiten. Die Bearbeitung diskriminierender Amtshandlungen bedürfe – wie alle Beschwerden – auch einer Prüfung der strukturellen Ebene, so Johanna Eteme, Leiterin der Abteilung für grund- und menschenrechtliche Angelegenheiten des Bundes-ministeriums für Inneres.
›Die Polizei muss ja unparteiisch und unvorein-genommen handeln‹, sagt auch Atef. Atef ist Polizist in Wien, selbst dunkler Hautfarbe und möchte ebenfalls seinen wahren Namen nicht nennen. ›Aber hinter der Polizei stecken auch nur Menschen, und es ist nie jemand vollkommen unvoreingenommen und unparteiisch.‹ Deshalb war auch Atef schon an Kontrollen beteiligt, die er als Ethnic Profiling einstufen würde. ›Natürlich denk ich mir manchmal: Diese Kontrolle ist jetzt nicht notwendig. Aber wenn der Kollege das durchzieht, dann muss ich dabeistehen und schauen, dass alles reibungslos verläuft. Es kann ja sein, dass er gerade den besseren Riecher hat als ich.‹ Und genau in diesem Verlass auf die Intuition liegt das Problem.
Laut § 35 des Sicherheitspolizeigesetzes ist Beamten die Identitätskontrolle von Menschen nur dann erlaubt, wenn gewisse Voraussetzungen zutreffen. Dazu zählt die Annahme, eine Person könnte einen gefährlichen Angriff ausüben oder Auskunft über einen solchen geben können. Aber nur ein dringender Verdacht ist eine Legitimation, betont Dunia Khalil von ZARA. Nur weil also beispielsweise am Wiener Prater-stern oft Delikte passieren, liege noch kein Grund vor, den Ausweis einer herausgepickten Person zu fordern. Johanna Eteme und Friedrich Kovar erklären: Identitätskontrollen alleine aufgrund von Äußerlichkeiten seien nur dann zulässig, wenn im Zuge einer Täterbeschreibung nach einer Person gefahndet wird. Dann sollten aber auch andere Faktoren neben Identitätsmerkmalen wie der Hautfarbe, etwa die Kleidung der gesuchten Person, vermerkt sein.
Wie also lässt sich die Unvoreingenommenheit der Beamten sicherstellen? Der oft geräumige Intuitionsspielraum im Arbeitsalltag von Polizisten ergibt sich aus einer Mischung von Erfahrungswerten, von rechtlichen Regelungen, von Gelerntem und mitunter auch aus rassistischen Vorurteilen. ›Der typische Fall ist, man ist auf Streife, hat grad keine Einsätze, schaut aus dem Fenster und sieht da drei Jugendliche rumstehen, mit Migrationshintergrund. Und dann sagt man schon: »Ha! Die Gʼfraster haben sicher grad irgendwas angestelltʼ«, erzählt Atef. ›Und ganz oft ist es dann aber leider auch so, dass man im System sieht, dass gerade die tatsächlich auch schon polizeiliche Einträge haben.‹
Für angehaltene Personen hinterlassen solche Begegnungen Spuren. ›Jedesmal, wenn so etwas passiert, wird ein Teil meiner Würde weggekratzt‹, sagt Max. ›Diese Kontrollen geben mir das Gefühl, ein Mensch zweiter Klasse zu sein.‹ Manchmal strecken die Beamten nur stumm die auffordernde Hand nach dem Ausweis entgegen. In anderen Fällen klopfen sie von außen gegen das Zugfenster, sprechen einen an, manche freundlich, andere unfreundlich.
Den respektlosen Ton kennt auch Atef von Kollegen. Besonders bei geringen Deutschkenntnissen des Gegenübers werde der Umgang oft rau. Diese Tendenz zu respektloser Kommunikation der Polizei spiegelt sich auch in den von der FRA publizierten Zahlen wider – Österreich gehört zu den beiden am schlechtesten bewerteten EU-Staaten der Studie.
›Wenn ich nach den Gründen frage, heißt es oft »Mund halten«. Ich habe jetzt also nicht einmal mehr das Recht, Fragen zu stellen‹, sagt Noam. ›Ich hab mich dann später gefühlt, als wär ich weniger wert als alle anderen, die im Zug waren‹, erzählt Raissa. ›Man schämt sich, man ist traurig, irgendwie auch total wütend und ein bisschen perplex.‹ Noam sagt: ›Es ist Stress. Auch danach. Sobald die Situation vorbei ist, gehst du weiter mit diesem Stress in deinem Kopf. Warum haben sie mich angehalten? Habe ich etwas falsch gemacht? Habe ich mich falsch gekleidet? Gehöre ich nicht in diese Gesellschaft?‹ Für ihn und Max reichen die Folgen so weit, dass sie ihr Alltagsverhalten anpassen, um weiteren Demütigungen aus dem Weg zu gehen. Max etwa verzichtet so weit es geht auf das Zugfahren. Die Gegend um den Prater meidet er sowieso.
Beschwerden gegen das polizeiliche Vorgehen haben Max und Rahim schon versucht. Max bekam keine Antwort, Rahim eine mündliche ›Zurkenntnisnahme‹. Gerade, wenn Beschwerden über das Referat für Bürgerinformation eingereicht werden, bleiben Reaktionen häufig aus, erzählt Dunia Khalil. Andere Möglichkeiten wären etwa eine Maßnahmen- oder Richtlinienbeschwerde. Erstere richtet sich an das Verwaltungsgericht und bedeutet somit ein Kosten-risiko für Beschwerdeführende, sollten diese das Verfahren nicht gewinnen. Die Richtlinienbeschwerde hingegen wird an die Polizei selbst geleitet. ›Das heißt, die Polizei kontrolliert, ob ein polizeiliches Fehlverhalten stattgefunden hat oder nicht‹, erklärt Dunia Khalil. Dabei Recht zu bekommen, ist schwer, erzählt auch Atef, denn dafür brauche man schlagende Beweise, um sich gegen die Rechtfertigung der Polizisten durchzusetzen. ›Da wird der Akt durchgeschaut, das, was der Beamte geschrieben hat und so weiter‹, erzählt der Polizist. ›Und die begründen ja schriftlich schon immer ganz gut, warum sie was gemacht haben. Auch wenn die Tatsachen vielleicht ein bisschen gebogen werden, damit das dann für den Polizisten passt.‹
Den Vorwurf der inkorrekten Beschwerdebear-bei-tungen weist Friedrich Kovar, der selbst Richt-li-ni-en-beschwerden aufgearbeitet hat, scharf zurück: ›Ich lege meine Hand ins Feuer, dass sowas unter meiner Aufsicht nie vorgekommen ist. Das Beschwerderecht ist ein ganz wesentliches menschenrechtliches und demokratisches Grundrecht.‹ Verletzungen würden Personen in den verantwortlichen Funktionen dieser Aufarbeitungen nicht zulassen, so Kovar.
Maßnahmen der Bewusstseinsbildung seien in mehrfacher Hinsicht ein Anliegen des Bundesministeriums für Inneres, so Johanna Eteme. Menschenrechtskonformes Handeln und professionelles Profiling seien Themen in der Grundausbildung von Polizisten, in ihren Fortbildungen und in der Schulung von Führungskräften. Ein verpflichtendes Seminar mit dem Titel ›A World of Difference‹ in Kooperation mit der Anti-Defamation League Wien soll bezüglich Rassismus, Vorurteilen und Diskriminierung sensibilisieren. Besonderes Augenmerk werde dem interdisziplinären und zivilgesellschaftlichen Austausch geschenkt. ›Das Miteinanderreden ist immer das Wichtigste‹, sagt Friedrich Kovar. Eteme ergänzt: ›Der Austausch, dieses Zuhören, Erkennen und Verbessern ist extrem wichtig.‹
Eine besonders wertvolle Maßnahme sei das Klaglosstellungsgespräch, da sind sich Johanna Eteme, Friedrich Kovar und Dunia Khalil einig. ›Das heißt, dass von Ethnic Profiling Betroffene mit der Polizei ein Gespräch führen, in dem der Fall nochmal aufgearbeitet und die beiden Sichtweisen besprochen werden‹, erzählt die Juristin. Ziel dieser Mediation ist eine respektvolle Einigung, ein Lernen und Verstehen für beide Seiten und ein nicht-gerichtliches Ende, das wertvoller sei als jedes Schreiben. Aktuell komme es laut Khalil aber nur selten zu diesen freiwillig gehaltenen Gesprächen. Eine Verpflichtung des Klaglosstellungsgespräches, die Beseitigung von Kostenrisiken bei Beschwerden und unabhängige Anlaufstellen für polizeiliches Fehlverhalten werden daher von ZARA gefordert. Im aktuellen schwarz-grünen Regierungsprogramm ist eine solche Anlaufstelle bisher nur für körperlichen Missbrauch geplant.
Was sich alle Betroffenen jedenfalls wünschen: mehr Zivilcourage. ›Ich würde gerne Staatsbürger sehen, die vortreten, die sich gegen ein Verhalten dieser Art aussprechen und sagen »Hey, das ist nicht, wie unser Land handeln soll’«, sagt Rahim. Stören darf man die Amtshandlung keinesfalls, betont Dunia Khalil. Aber man darf ruhig beobachten, sogar filmen, solange das Video nicht veröffentlicht wird. Vielleicht möchte die betroffene Person das Video später für rechtliche Zwecke verwenden, dann könne man es ihr überlassen, erklärt die Juristin. Oder man bietet sich dem angehaltenen Menschen als Vertrauensperson an. Dann dürfen die Polizisten einen nicht wegschicken und man kann still bezeugen, was passiert. ›Man muss ja nicht viel sagen‹, meint auch Raissa, ›sondern den Polizisten einfach zeigen: Hey, ich schau auch noch zu.‹