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Mit der Kraft der Kastanie

Wie es zwei Austeigern aus Innsbruck gelang, einem von Abwanderung und Überalterung geplagten Dorf in der Toskana neues Leben einzuhauchen.

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Fotografie:
Alexander Alber
DATUM Ausgabe Februar 2021

Im toskanischen Dorf Trassilico lebten in den 70er-Jahren 800 Menschen. 2001 waren es noch 100, 2017 85, heute sind es nur noch 81. Wer noch da ist, der ist nicht jung. Das Durchschnittsalter der Einwohner liegt bei 51. Trassilico, 25 Kilometer von der Provinzhauptstadt Lucca entfernt, dämmert langsam aber sicher seinem Ende entgegen. Stirbt hier jemand, folgt ihm keiner nach, hier zieht keiner hin, denn es gibt wenig bis nichts, was es zum Leben braucht. Miriam Hammer, 35, Psychologin, und Daniel Baumgartner, 38, Biologe, haben es dennoch getan : Sie sind aus Innsbruck nach Trassilico gezogen – zu Beginn des Jahres 2015. 

Als sie ankamen, spürten sie Neugier, mitunter sogar Freude unter den Einheimischen. Doch schlug ihnen auch Misstrauen entgegen. Waren die beiden die Sorte von jungen Aussteigern, die beim ersten Anzeichen von harter Arbeit wieder abhauen ? Hatte es nicht schon einmal Hippies hier gegeben, die sich ausprobierten und später nackt durchs Dorf liefen ? Die Partys feierten bis in die frühen Morgenstunden, den Müll herumliegen ließen ? Und Miriam und Daniel hatten selbst ihre Zweifel. War es nicht besser, einen Austausch auf Augenhöhe mit jungen Menschen wie in Innsbruck zu haben ? Können wir auch in einem konservativen Umfeld den Blick nach außen bewahren ? Ist unsere Vision von einem selbstbestimmten, sanften Leben in der Natur hier wirklich umsetzbar ? 

Verständliche Fragen, denn alles hat­te durch einen Zufall begonnen. Miriam Hammer suchte einen Platz, einen Sinn, etwas, das sie innerlich ankommen ließ. Als sie im Sozialen Netzwerk Facebook über einen Post eines gewissen Antonio stolperte, hielt sie inne. Er schrieb, er habe einen Traum. Er wolle das ganze Serchio-Tal zu einem Ökodorf umgestalten. Mit Menschen, die dort zerfallene Hütten kauften, sie wieder aufbauten und an gemeinsamen Sozialprojekten arbeiteten. Antonio wollte Leben in die Ortschaften der wilden Toskana zurückbringen. Er selbst lebe mit seiner Familie in Trassilico. Menschen aus unterschiedlichen Ländern seien bereits da und bauten gemeinsam etwas auf. Jeder sei willkommen.

Eine schöne Idee, dachte Miriam und schrieb gemeinsam mit ihrem Freund Daniel eine Nachricht an Antonio. Der Post lag schon viele Monate zurück, aber vielleicht, dachten sie, gibt es noch Platz. Wenig später kam die Antwort : › Die Leute sind alle wieder abgereist. Nur ich und meine Familie sind noch da. Kommt. ‹ 

Nach zwei Besuchen auf dem Gelände – einmal zum Anschauen, ein zweites Mal, um den Kaufvertrag zu unterschreiben –, machen Miriam und
Daniel sich zum Jahreswechsel 2015 mit einem Anhänger auf nach Trassilico. Als sie ankommen, stellen sie fest : Auch Antonio und seine Familie sind inzwischen weggezogen. Es gibt kein Ökodorf. Kei­ne Gruppe. Keine Gleichgesinnten. Ihre ganzen Ersparnisse hatten sie in die Hand genommen und ein zwei Hektar großes Grundstück gekauft. Samt einer Bruchbude, hochgewachsenen Bäumen und Brombeersträuchern, die fast das ganze Grundstück bedeckten. Zurückgelassen hatten sie schockierte Eltern und ihr Leben in Innsbruck – alles aufgegeben für den Traum vom selbst­bestimmten Leben in einem Dorf, in dem sie sich eine Gemeinschaft und das Umsetzen nachhaltiger Projekte erhofften. Schon oft habe es Menschen nach Trassilico verschlagen, erzählen die Einheimischen. Nachdem aber der große Regen im Herbst kam, brachen sie ihre Zelte wieder ab. Doch Miriam und Daniel lassen sich nicht beirren. Stets von der Frage begleitet : Wie können Menschen in einem naturnahen Ökosystem die Bedürfnisse von heute befriedigen ?, halten sie an ihrer Vision fest. Hart­näckig. Entschlossen. Ihr Geld ist investiert, ein Zurück gibt es nicht mehr.

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