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Politik à la Gerda Rogers

Warum die Mobilisierung per Panik immer noch funktioniert.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Februar 2023

8.  November 2016, 23 Uhr, Javits Convention Center, New York. Seit diesem Tag vor sechs Jahren sollte allen Meinungsforschern dieser Welt und allen Journalisten klar sein: Umfragen und vorauseilende Analysen sind Sendezeit und Papier nicht wert.

Hillary Clinton hatte zu ihrem Sieg über Donald Trump bei der Präsidentenwahl in das pompöse Veranstaltungszentrum eingeladen. Um Punkt 23 Uhr war der Traum zerstört. Ihre Anhänger in den Gängen und Sälen brachen in Tränen aus. Manche TV-Stationen glaubten noch an den Sieg der Demokraten, den alle Umfragen vorhergesagt hatten und den die New York Times noch zwei Stunden vorher prognostiziert hatte. 

Spätestens ab der US-Präsidentenwahl 2016 also sollten Meinungsumfragen nur unter Vorbehalt veröffentlicht und mit zugehaltener Nase konsumiert werden. Stattdessen werden ihre Ergebnisse oft immer noch wie endgültige Wahrheiten behandelt.

Das hat vor allem im politischen Bereich einen Grund: Sie dienen der Beeinflussung eines Urnengangs. Der Spin geht freilich nicht immer in die intendierte Richtung. So wurde 2016 rasch analysiert, dass ein weniger arroganter Umgang mit dem erwarteten Sieg Clinton vielleicht, wenn auch knapp, den erwünschten Erfolg gebracht hätte. 

Aber auch mit vermeintlich bescheidenem Verhalten lassen sich Wahlen und ihre Ergebnisse beeinflussen. Zwei Beispiele aus der kleinen österreichischen Welt, eines aus der jüngsten Zeit, eines aus den Neunzigerjahren:  Noch gut in Erinnerung ist die Tiroler Landtagswahl. Die ÖVP feierte starke Verluste als Sieg. Sie sind nicht so krass ausgefallen wie vorhergesagt. 

Auch vor der Wahl zum niederösterreichischen Landtag am 29. Jänner wurde Panik als Wahlkampfmittel eingesetzt. Das rief die Erzählung des ehemaligen Weggefährten von Erwin Pröll, Ernst Strasser, in Erinnerung: Als eine Umfrage der ÖVP kurz vor einer Landtagswahl die absolute Mehrheit vorausgesagt habe, habe Landeshauptmann Pröll deren Veröffentlichung untersagt. Widrigenfalls würde das Meinungsforschungsinstitut nie wieder Aufträge der niederösterreichischen ÖVP erhalten. Die Drohung und die Mobilisierung per Panik funktionierten. Die Meinungsforscher waren richtig gelegen, aber die Wähler erfuhren es nie.

Warum seither Umfragen oft Resultate ergeben, die nicht mehr Realitätsgehalt haben als Gerda Rogers’ Glaskugel, ist kein Geheimnis mehr. Immer mehr Befragte verweigern eine ehrliche Auskunft, immer weniger Umfragen erreichen im Zeitalter der Sozialen Medien alle relevanten Alters- und Bevölkerungsschichten.

Auch die Frage, warum Journalisten nach wie vor Umfragen ohne Vorbehalt verbreiten und eigene Vorhersagen den Medienkonsumenten als gesicherte Wahrheiten verkaufen, lässt sich leicht beantworten: So kann man vorgeben, man hätte eine Nachricht, wenn es eigentlich noch keine gibt. Wenn sich dann alle Vorhersagen als falsch herausstellen, können noch immer Fehler in den Umfragen ins Treffen geführt werden. Darunter leidet nicht nur die Glaubwürdigkeit der Journalisten, sondern auch die Demokratie an sich. Oder anders gesagt: Wer Politikern dauernd ihre Umfragewerte vorhält, darf sich nicht wundern, wenn diese ihre Politik ganz maßgeblich danach ausrichten. •

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