Auf den Straßen Ouagadougous
Burkina Faso zählt zu den zehn ärmsten Ländern der Welt, der westafrikanische Binnenstaat ist vom Klimawandel und der Ausdehnung der Sahara besonders stark betroffen. Eine Erkundung in drei Porträts.
Es könnte eine Idylle sein: Unter einem ausladenden Baum, zusätzlich von einem Sonnenschirm geschützt, sitzt eine stämmige Frau und legt geschälte Bananen auf einen improvisierten Grillofen. Daneben stehen zwei behelfsmäßig zusammengehämmerte Holztische mit Erdnüssen darauf, eine Kühlbox mit Trinkwasserbeuteln, ein paar Körbe und Kisten. Mit Blick auf den weitläufigen Stadtpark auf der anderen Straßenseite sagt Mamounata Konazoe: ›Seit 15 Jahren sitze ich hier, von Montag bis Sonntag, außer ich bin krank. Ich habe diesen Park noch nie betreten. Am Wochenende sehe ich, wie Familien mit ihren Kindern kommen und dort spazieren gehen. Ich kenne das nicht, einen »jour de plaisir«, einen freien Tag, mich ausruhen, eine Limonade trinken. Das ist was für die Reichen.‹
Von diesen Reichen gibt es in Burkina Faso wenige, die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, das heißt von weniger als zwei Euro pro Tag. Mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 700 Euro pro Kopf zählt der westafrikanische Binnenstaat – einst französische Kolonie, seit 1960 unabhängig – zu den zehn ärmsten Ländern der Welt. Die schwierigen klimatischen Bedingungen teilt das Land mit seinen Nachbarn im Sahel, sie sind zusammen mit einem Bevölkerungswachstum von fast drei Prozent eine enorme Herausforderung für die Ernährungssicherung. Zudem bewirkt der Klimawandel noch heißere Temperaturen und unregelmäßigere und heftigere Regenfälle. Die Ausbreitung der Sahara Richtung Süden ist unübersehbar.
Mamounata Konazoe steht um halb sieben auf, macht Wasser heiß, wäscht sich, weckt die Kinder und fährt mit dem Moped zum Markt Sankariaré. Dort kauft sie eine Tagesration Kochbananen, die aus der Cote d’Ivoire importiert werden. Wenn sie gegen acht Uhr an ihrem Arbeitsplatz ankommt, geht sie als erstes über die Brachfläche hinter ihrem Stand zum Busbahnhof. Dort füllt sie zwei Kanister mit Wasser für den Tag. Wenn mittags Schulkinder am Heimweg vorbeikommen, füllen sie sich daraus einen Becher voll zum Trinken. Dann holt sie aus dem Kiosk, den die Händlerinnen und Händler in diesem Straßenabschnitt gemeinsam als Lager gemietet haben, ihre Sachen: Tische, Sessel, Holzkohle, die Waren. In einer weiten Blechschüssel, die sie auf einen Eimer gestellt hat, feuert sie die Holzkohle an und legt die ersten geschälten Kochbananen auf den Rost. Ab halb zehn kommen Kunden – wenn es gut geht. Denn das Geschäft laufe sehr schlecht, sagt sie, seit Covid und der Unsicherheit im ganzen Land.
Eine gegrillte Banane verkauft die Händlerin um 150 CFA, umgerechnet 23 Cent. Bei vier Bananen ergibt das einen Gewinn von 100 CFA. Wenn sie alle verkauft, verdient sie an einem Tag 2.000 CFA, also rund drei Euro, wenn es nicht gut läuft, 1.500 CFA oder weniger. Darüber hinaus verkauft sie geröstete Erdnüsse, Trinkwasser in kleinen Plastikbeuteln und Zigaretten, die Gewinnspannen sind allesamt sehr gering. Mamounata Konazoe ist Witwe und kann damit so recht und schlecht ihre fünf Kinder ernähren. Drei von ihnen gehen zur Schule, die älteren kümmern sich um die jüngeren. ›Der Älteste ist 1998 geboren, aber wie alt die anderen Kinder sind, weiß ich nicht‹, sagt sie und lacht über die Bedeutung, die die Weißen Geburtstagen beimessen. Es ist ihr nicht wichtig, ob ein Kind fünf oder sieben Jahre alt ist, eines ist früher aufnahmefähig für das Wissen der Erwachsenen, das andere später.
Trotz des mageren Einkommens schafft es die 45-Jährige, monatlich etwas Geld auf die Seite zu legen. Wie viele Menschen mit geringem Einkommen benutzt sie dafür das traditionelle Sparsystem ›Tontine‹. Wer daran teilnimmt, verpflichtet sich, täglich einen festgelegten Betrag einen Monat lang einzuzahlen. Nach 30 Tagen kann sie sich die angesparte Summe auszahlen lassen, eine Tagesrate pro Person gehört der Kassierin für ihre Arbeit. Tontine basiert auf Vertrauen, es funktioniert ohne schriftlichen Vertrag. Jeden Tag kommt am späten Nachmittag die Kassierin am Grillstand vorbei, sammelt die vereinbarten 500 CFA ein und notiert es in einem kleinen Heft. Am Monatsende hat Mamounata Konazoe dann 15.000 CFA, 22,50 Euro, zur Verfügung, damit kann sie die Miete bezahlen und besondere Ausgaben für die Kinder tätigen. Das Geld bei sich zu Hause aufzubewahren, würde ihr nicht gelingen. Sie würde es ausgeben, sagt sie, weil immer zu wenig da sei.
Mamounata Konazoe verdient ihren Lebensunterhalt in der informellen Wirtschaft. Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zufolge arbeiten mindestens 70 Prozent der Beschäftigten in Westafrika informell, das heißt, sie haben weder einen arbeitsrechtlichen Schutz noch eine Sozialversicherung. Staatliche Institutionen sind für eine burkinische Straßenhändlerin wie ein Paralleluniversum. Der Staat habe Aufgaben für die Menschen zu erfüllen? Darüber lacht sie ungläubig.
Die Zeit, in der die Menschen in Burkina Faso ihrem Staat vertrauten, liegt lange zurück. Thomas Sankara, burkinischer Präsident von 1983 bis 1987, verkörperte dieses Vertrauen wie kein anderer. Um die Wüstenbildung aufzuhalten, startete er, seiner Zeit voraus, eine landesweite Baumpflanzinitiative, die allerdings nach seiner Ermordung keine Fortsetzung fand. In seiner nur vierjährigen Regentschaft – für einen afrikanischen Präsidenten eine äußerst kurze Zeit – trat Sankara vehement gegen die Abhängigkeit vom Westen ein und baute auf eigenständige Entwicklung, lokale Produktion, soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung der Frauen. Auch Symbolpolitik verstand er zu betreiben. So änderte er den aus der Kolonialzeit stammenden Namen von Obervolta in Burkina Faso, was ›Land der aufrichtigen Menschen‹ bedeutet und sich aus den zwei größten Landessprachen Mòoré und Dioula zusammensetzt. Er schaffte die Luxuslimousinen für die Minister ab, verzichtete auf sein Präsidentengehalt, spielte Gitarre und organisierte wöchentliche Straßenreinigungsaktionen, an denen er wiederholt selbst teilnahm. ›Er liebte uns Arme‹, sagen Leute auf der Straße, oder: ›Er wollte, dass wir an uns glauben und uns entwickeln.‹
Menschen im informellen Sektor arbeiten mit ihren eigenen Regeln und Netzwerken, jenseits staatlicher Strukturen. Ein solcher sozialer Mikrokosmos lässt sich vor dem Hotel Relax im Zentrum Ouagadougous exemplarisch beobachten. Eingezwängt zwischen der Hausmauer und einem bewachten Mopedparkplatz, der einen Gutteil des Hotelvorplatzes einnimmt, baut Ibrahim Sanfo allmorgendlich auf zwei Schemeln seine Open-Air-Buchhandlung auf. Den Ort teilt er sich mit Salif Le Roi, dem Parkplatzwächter, Abdulai, dem Stoffhändler, und Nassourou, dem Freiluftfotografen. Sie trinken und essen gemeinsam, besprechen ihre Sorgen und scherzen mit den vorbeikommenden Straßenverkäuferinnen. Macht Ibrahim seine Verkaufsrunden, schauen die anderen auf seine Bücherstapel. Muss einer dringend Schulden zurückzahlen, hilft ihm, wer gerade kann, aus. Geht Salif in die Open-Air-Moschee auf der anderen Straßenseite beten, bewachen die anderen die geparkten Mopeds. Es ist ein enges Miteinander, ein Teilen von Freud und Leid in guten wie in schlechten Zeiten. Am Abend bringen sie ihre Sachen in den schmalen überdachten Gang zwischen dem Hotel und dem Nebengebäude. Als Schutz stellen sie eine Wellblechplatte vor die Öffnung. Abgesperrt wird nicht.
Ibrahim Sanfos Arbeitstag beginnt um fünf Uhr morgens. ›Ich stehe auf, gehe beten und wecke meine Kinder, damit sie zur Schule gehen. Dann fahre ich etwa eine Stunde mit dem Moped zu meinem Arbeitsplatz. Ich baue meine Bücherstapel auf, und vormittags drehe ich wie früher meine Runden, weil keine Kunden kommen, rechts bis zum Handwerksmarkt, links bis zum französischen Kulturinstitut. Aber ich bin müde. Ich bin jeden Tag hier, bis 19 Uhr, nur am Sonntag fahre ich manchmal schon um 16 Uhr nach Hause‹, er umfasst mit der linken Hand seine rechte und atmet schwer, ›so ist das Leben.‹ Nach einer Minute des Schweigens setzt er fort: ›Aber ich mache auch Sport. Am Samstag und Montag bringe ich meine Trainingskleidung mit. Wenn ich um 19 Uhr aufhöre, laufe ich eine Runde um das Zentrum. Da komme ich noch später heim.‹
Seit 23 Jahren verkauft Ibrahim Sanfo hier seine Bücher, das Arrangement beruht auf einer mündlichen Vereinbarung mit dem Hotelbesitzer. ›Als ich elf war, ist meine Mutter gestorben. Zwei Jahre lang hat sich eine Frau aus der Nachbarschaft um mich gekümmert. Aber dann brauchte sie das Geld für sich, und ich konnte nicht mehr weiter zur Schule gehen. Mein Vater hat nicht wirklich für uns Kinder gesorgt‹, sagt Ibrahim. Schon als Kind hatte er in den Schulferien Zeitschriften verkauft, um zum Haushaltseinkommen beizutragen. Mit 13 wurde es seine Vollzeitbeschäftigung. Damals waren humoristische Zeitschriften aus der Côte d’Ivoire sehr gefragt, er machte mit ihnen täglich seine Runden im Zentrum, rund um den Markt, vorbei an der Kathedrale, der Moschee, am Kunsthandwerkzentrum, den größeren Hotels. Das Geschäft lief gut. Burkina Faso war bei Kulturtouristen beliebt, jährliche Höhepunkte waren das afrikanische Filmfestival FESPACO und die große westafrikanische Kunsthandwerksmesse SIAO. Er begann Reiseführer, Straßenkarten und Stadtpläne zu verkaufen, später fügte er Literatur und Sachbücher hinzu. Noch vor ein paar Jahren konnte seine Familie relativ gut von dem Einkommen leben, er begann sogar auf seinem kleinen Grundstück neben dem alten Lehmhaus eines aus Zement zu bauen. Doch seit sich die terroristischen Überfälle auf das ganze Land ausgebreitet haben, ist auch die allgemeine Armut gestiegen. Das hat für einen Straßenhändler wie Ibrahim Sanfo drastische Auswirkungen.
Früher zum Beispiel kam einmal im Jahr eine französische Organisation und verkaufte gebrauchte Bücher vor dem Maison du Peuple. So konnte er sich mit billiger Ware eindecken. Seit der Pandemie ist diese Quelle weggefallen. Auch Touristen kommen wegen den Reisewarnungen keine mehr. Diese hatten bei der Abreise öfters Bücher im Zimmer zurückgelassen. ›Das Hotelpersonal brachte mir die Bücher, ich ließ sie in der Straße neben dem großen Markt einschweißen, sie sahen dann aus wie neu und so konnte ich einen guten Preis erzielen‹, sagt Ibrahim Sanfo lachend. Eines seiner Lieblingsbücher ist der Roman ›Crépuscule des temps anciens‹ des burkinischen Autors Nazi Boni aus den 1960er-Jahren, der aus der vorkolonialen Zeit des Landes erzählt. Er blüht auf, wenn er nach dem Inhalt eines Buches gefragt wird. Man glaubt dann, in einer offiziellen Buchhandlung vor einem ›formal‹ gebildeten Verkäufer zu stehen, und nicht am Straßenrand bei einem Schulabbrecher.
Zwar ist die Einschulungsrate mit 90 Prozent vielversprechend, doch ein Drittel der Schulkinder schließt die sechsjährige Primarschule nicht ab. Die Herausforderungen für den Bildungssektor sind nicht nur in quantitativer – die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 15 Jahre – sondern auch in qualitativer Hinsicht enorm. Bis heute kann über die Hälfte der Erwachsenen in Burkina Faso nicht lesen und schreiben.
Der Buchhändler möchte seinen Kindern sein Schicksal ersparen und ihnen eine fundierte Bildung ermöglichen. Die zwei ältesten besuchen eine Privatschule, weil es im Wohnviertel keine öffentliche gibt. Das kostet viel, und finanziell geht sich das kaum aus. In den Sommerferien verkaufen die beiden deshalb Kolanüsse auf der Straße, um einen Teil des Schulgeldes selber zu berappen. Die Familie wohnt in einer irregulären Siedlung, ohne Parzellierung und Grundbuch, die wie alle neueren Viertel an der Peripherie der Millionenstadt wild entstanden ist. Es gibt dort keine Strom- und Wasserversorgung, von Abwasser- und Müllentsorgung gar nicht zu reden. Seit zwölf Jahren lebt die Familie in dieser Prekarität. Irgendwann, hoffen sie, wird die Stadtverwaltung die Ansiedlung legalisieren, und sie werden das Grundstück dann auch offiziell besitzen.
Allerdings hat Ibrahim Sanfo schon länger ein Problem: Die Leute kaufen weniger Bücher und Zeitschriften, sondern lesen sie auf ihrem Smartphone, und Reisende orientieren sich mit digitalen Karten. ›Wie soll ich eine andere Arbeit finden, ich weiß es nicht, es gibt ja auch keine‹, sagt er bedrückt, seine Augen wandern unruhig hin und her und finden auf der Tischplatte Halt, ›ich wünsche mir, dass die Touristen wiederkommen, dass meine Kinder erfolgreich die Schule abschließen, und ich träume davon, dass wir Frieden haben, in Burkina und auf der ganzen Welt. Das wäre gut für unser Land, für uns Arme.‹
Tatsächlich ist ein Friede nicht so bald in Sicht. Rivalisierende dschihadistische Gruppen haben in vernachlässigten Regionen des Landes begonnen, die staatlichen Institutionen zu bekämpfen und versuchen, eine Regierung nach islamischen Vorschriften zu etablieren. Durch scheinbar wahllose Überfälle festigen sie ihre lokale Vorherrschaft. In dieses von Terror getränkte Klima mischen sich alte Konflikte um Landnutzung, Vorrechte und Familienzwiste, die die Gewalt weiter anheizen und eine schier undurchdringliche Gemengelage geschaffen haben.
Die Terrorgruppen kontrollieren inzwischen 40 Prozent des Landes. Auch die Hauptverkehrsachsen zu befahren, ist gefährlich, zehn Prozent der Bevölkerung, zwei Millionen Menschen, sind Binnenflüchtlinge, die humanitäre Lage ist katastrophal. Trotz der französischen Militärpräsenz lässt es sich nur in den großen Städten noch sicher leben. Das erzeugt in der Bevölkerung Unverständnis und Zorn, der sich in den letzten Monaten in Demonstrationen Luft gemacht hat, bei denen auch die französische Botschaft und das Institut français angegriffen wurden.
Dass sich die dschihadistischen Aufstände ausgebreitet haben, sei ein kollektives Versagen aller Partner, erklärt Niagalé Bagayoko. Die promovierte Politologin und Vorsitzende des African Security Sector Networks, ein Expertennetzwerk mit Sitz in Accra, Ghana, übt harsche Kritik an dem von Frankreich angeführten ›Krieg gegen den Terror‹: Er sei ›blind gegenüber den lokalen und sozialen Dimensionen der tiefen Krise in den Sahelstaaten‹. Die Region werde nicht nur durch den Terrorismus, sondern ebenso durch eine Regierungsführung destabilisiert, die den Bedürfnissen der Bevölkerung nicht gerecht werde, sei es im Bereich der Infrastruktur, der Bildung, der Dezentralisierung, der Korruptionsbekämpfung oder natürlich im Bereich der Sicherheit.
Über den Staat und seine möglichen Aufgaben hat sich Amandine Kaba noch nie den Kopf zerbrochen. Sie ist glücklich, eine Arbeit als Secondhand-Verkäuferin gefunden zu haben. In ihrem Wohnviertel hat sie die Standbesitzerin kennengelernt, und seit drei Monaten arbeitet sie täglich am staubigen Straßenrand. Frühmorgens baut sie den Stand auf und arrangiert Gläser, Teller, Besteck, Handtaschen, alles Secondhandware aus Europa. Zwei Kinder ihrer Chefin leben in Italien und senden nicht nur regelmäßig Geld, sondern auch große Pakete mit gebrauchten Sachen. Das Essen bringt sie von zu Hause mit. ›Ich bin gerne hier. Auch wenn das Geschäft nicht gut läuft, kommen viele Leute vorbei, um zu reden, und ich heitere sie auf, das freut mich‹, sagt sie.
Als Amandine 13 Jahre alt war, hat ihre Cousine sie aus dem Süden des Landes in die Hauptstadt mitgenommen. Zehn Jahre lang hat sie bei ihr gewohnt und als ihr Kindermädchen gearbeitet: Um fünf Uhr aufstehen, Wasser heiß machen, Frühstück richten, die Kinder zur Schule bringen, einkaufen, kochen, Hausarbeit, Kinder von der Schule abholen, das war ihr Tagesablauf. Zeit für Bildung blieb keine. Die Praxis der ›confiage‹, ein Kind jemandem ›anzuvertrauen‹, ist im nomadisch geprägten Sahel weit verbreitet. Erziehung ist nicht nur eine Aufgabe der leiblichen Eltern, sondern der gesamten Großfamilie. In der Regel bekommen die Anvertrauten ein kleines Taschengeld, manche können neben der Hausarbeit auch selbst zur Schule gehen.
Seit zwei Jahren hat Amandine Kaba eine eigene Familie. Aufstehen tut sie noch immer um fünf Uhr, weil sie es so gewohnt ist. Sie macht Frühstück und geht mit ihrem zweijährigen Kind am Rücken zur Arbeit. Meistens ist sie früher zu Hause als ihr Mann. Bevor er heimkommt, ruft er an, damit sein Essen rechtzeitig fertig ist. Ihr Verdienst reicht für Essen, Strom und Wasser, auch sie nutzt das traditionelle Sparsystem ›Tontine‹. Letztes Jahr hat sie ihre Ersparnisse von zwei Monaten, 30.000 CFA (45 Euro) aus der Kassa genommen, weil es in ihrer Familie am Land einen Todesfall gab. Wegen der riskanten Überlandfahrten konnte sie nicht an den Begräbnisfeierlichkeiten teilnehmen und ist froh, dass sie stattdessen Geld schicken konnte.
Der junge neue Präsident Ibrahim Traoré hatte versprochen, die Sicherheitslage zu verbessern, als er Ende September 2022 durch einen Putsch, den zweiten innerhalb eines Jahres, an die Macht kam. Eingelöst hat er das Versprechen bis jetzt nicht. Trotzdem haben die Menschen nach wie vor große Hoffnung in den 34-Jährigen, der sich in seinen Reden immer wieder auf Thomas Sankara bezieht. Mit Hinweis auf die mangelnden Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus hat er Ende Februar ein Abkommen mit Frankreich über technische Militärhilfe aus dem Jahr 1961 gekündigt. Wie sein Nachbarland Mali im Vorjahr strebt nun auch Burkina Faso eine engere Kooperation mit Russland an, allerdings ohne die Söldnergruppe Wagner ins Land zu holen. Wie sich diese neue Partnerschaft auf die Wiederherstellung der Sicherheit auswirken wird, ist derzeit nicht abschätzbar.
Trotz dieser ungewissen Zukunftsaussichten ist Amandine Kaba zuversichtlich. ›Ich möchte mein eigenes Restaurant eröffnen, ein großes. Ich koche gerne und kann es gut‹, antwortet sie blitzschnell auf die Frage nach ihrem größten Wunsch. Sie habe auch schon einmal eine Fortbildung gemacht, bei einer Italienerin habe sie gelernt, Tomaten zu konservieren. Doch die sei wegen der Unsicherheit im Land nicht wiedergekommen. Gut vorstellbar, dass sie es auch ohne italienische Kochlehrerin schaffen wird. •
Transparenzhinweis: Die Recherche fand im Rahmen einer Reise statt, die vom Museum der Völker Schwaz / BMKÖS finanziert wurde.
©Hinnerk Wienke
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