Der Solidarność-Algorithmus
Wie der Pole Krzysztof Izdebski Demokratie mit IT verbindet.
›Beim nächsten PDF, dem Personal Democracy Forum, in Danzig gedenken wir der 40-jährigen Gründung der Gewerkschaft Solidarność in der Danziger Schiffswerft‹, erzählt Krzysztof Izdebski an einem Septemberabend in Wien vor einem Podiumsgespräch. ›Wir nehmen die 21 berühmten Forderungen der Streikenden von Danzig von 1980 zur Hand und verfassen sie neu mit Blick auf 2020, das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz.‹ Die Gründung der Gewerkschaft Solidarność in Danzig 1980 gilt als Start des polnischen Reformwegs, der 1989 zu ersten freien Wahlen und schließlich zum Fall des realsozialistischen Regimes geführt hat. Forderung Nummer zwei damals war, ›eine Garantie für das Streikrecht und die Sicherheit der Streikenden‹. Die Forderung sei heute aktuell im Zusammenhang mit den Protesten in Hongkong, sagt Izdebski, ›der staatliche Einsatz von Gesichtserkennungssystemen bedroht die Protestierenden.‹
Izdebski, 38, ein Warschauer Jurist, leitet die ePaństwo-Stiftung (›e-Staat‹) und gilt als Vorreiter der zentral- und osteuropäischen Civic-Tech-Szene. Er fokussiert auf Informationsfreiheit, Transparenz – etwa in der Parteienfinanzierung – und auf die Verwendung von Algorithmen im politischen Tagesbetrieb. Zum PDF kommen drei Tage lang etwa 500 Aktivisten aus der zentral- und osteuropäischen NGO-Szene mit Programmierern und IT-Nerds zusammen.
›1987 kam ich zum ersten Mal in den Westen. Ich sah, dass es dort Bananenjoghurt gab, und dachte, welch eine Verschwendung kostbarer Bananen! Ich erinnere mich auch an den 4. Juni 1989. Die ersten freien Wahlen. Ein Fest der Freiheit‹, erzählt Izdebski. 30 Jahre später verteidige eine lebendige, transnationale Civic-Tech-Szene die europäischen Werte in bedrängten Demokratien Zentral- und Osteuropas. ›Wir nützen die Macht des Internets und der neuen Technologien, um zivile Freiheitsrechte zu schützen, Korruption einzudämmen, Transparenz zu schaffen‹, so Izdebski.
Politik und Verwaltung sollen sich in die Karten schauen lassen, etwa in der Anschaffung und beim Einsatz von Algorithmen. Izdebski: ›Regierungen kaufen Systeme automatisierter Entscheidungsfindung ein, vom Arbeitsmarktservice bis zur Landesverteidigung. Das dürfen wir nicht als IT-Produkt verharmlosen. Bürgerinnen und Bürger müssen mitentscheiden und für Folgenabschätzungen kämpfen.‹
So hat die Stiftung ePaństwo die Website sejmometr.pl für Polen gestartet. Sie bietet Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu Rechtsinformationen, zum Gesetzgebungsprozess und zur Rechenschaftspflicht von Politikerinnen und Politikern. In der Ukraine wiederum gilt das ProZorro-System weit über die Grenzen hinaus als Erfolg für Transparenz im Beschaffungswesen und für öffentliche Aufträge. ›Beides‹, sagt Izdebski, ›sind Erfolgsprodukte made in CEE.‹
Der Von-der-Leyen-Kommission richtet er aus: ›In Zentral- und Osteuropa haben wir als Kinder gelernt, dass wir mit unseren Freiheiten und Werten alles schaffen können. Wir wissen auch drei Jahrzehnte später noch sehr genau, wofür es sich in der EU zu kämpfen lohnt.‹