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Datum Talente

Des Klimas Advokatin

Michaela Krömer hat vor einem Jahr die erste › Klimaklage ‹ Österreichs eingereicht. Was treibt die Juristin an ?

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Fotografie:
Stefan Fürtbauer
DATUM Ausgabe Februar 2021

Michaela Krömers Büro in der Marxergasse 24 sieht nicht wie ein typisches Anwaltsbüro aus. Keine großräumige Altbauwohnung in der Innenstadt, sondern ein vom Verein Paradocks belebter Plattenbau im dritten Wiener Gemeindebezirk. Im vierten Stock des schwach beleuchteten Stiegenhauses weist eine mit Tixo befestigte Visitenkarte auf Krömers Tür hin. Es ist ein bescheidenes Zimmer. Aktenberge und Ge­­setzbücher teilen sich die begrenzte Fläche auf Krömers Schreibtisch mit et­lichen gut gepflegten Grünpflanzen.

Vor einem Jahr, am 20. Februar 2020, hat die Anwältin beim Verfassungs­gerichtshof die erste Klimaklage Österreichs eingereicht. 8.063 Menschen haben das Dokument unterschrieben, darunter Prominente wie Klimaforscher­in Helga Kromp-Kolb. Gemeinsam fordern sie, die steuerliche Begünstigung des Flugzeug-Treibstoffs Kerosin abzuschaffen.

Über ein Jahr lang hat Michaela Krömer neben ihrem Brotberuf Tag und Nacht an dem 150-seitigen Schreiben gearbeitet. Wer ist die Anwältin, die sich derart engagiert für Klimagerechtigkeit einsetzt ? Woher nimmt sie ihre Motivation und das Selbstbewusstsein, im rechtlich konservativ geprägten Österreich Gerichte dazu herauszufordern, klärende Urteile zu Menschenrechts­themen zu fällen ?

Um das zu verstehen, muss man zurückblicken : Bis an den Anfang der 90er-Jahre, zu einer Weihnachtsfeier im Haus der Familie Krömer. Die fünf Kinder spielen mit den Gästen, während ihre Eltern das Weihnachtsessen auftischen. Jedes Jahr feiert die Familie das Fest mit nach Österreich geflüchteten Menschen, aus Nigeria, dem Iran oder Ex-Jugoslawien – unterstützt sie aber auch im Alltag. › Das ist das Umfeld, in dem wir aufgewachsen sind ‹, erklärt die Anwältin. Krömers Vater Peter ist Synodenpräsident, das nicht-geistliche Oberhaupt der evange­lischen Kirche in Österreich. 

›Es gibt einen starken evangelischen Glauben in meiner Familie, das zieht sich auch durch die Arbeit meiner Vorfahren, diese starke soziale Verantwortung‹, sagt Michaela Krömer. Ihr Urgroßvater Karl bewahrte als Strafverteidiger in der Zwischenkriegszeit Angeklagte vor der Todesstrafe. Der Vater, eigentlich Wirtschaftsanwalt, vertritt in Asylverfahren und Strafangelegenheiten bis heute Menschen, die für einen Rechtsbeistand nicht über ausreichend Geld verfügen. Die Mutter wiederum gab neben ihrer Zahnarztpraxis Kindern Deutschunterricht und behandel­te in Westafrika Gefängnisinsassen gegen Zahnschmerzen.

›Was ich mitbekommen habe, war, dass man mit Recht Menschen aktiv ­helfen kann‹, erzählt Michaela Krömer heute. Die Erleichterung in den Gesichtern der Menschen, die nach Hilfe suchten, um ihre Ansprüche durchzusetzen, und diese Hilfe in der Kanzlei Krömer erhielten, prägten die damalige Teenagerin. 

Dennoch : Nach der Matura führte ihr Weg zuerst einmal weg von der Juris­terei. Sie arbeitete in London drei Jahre in einem Kinderheim und begann an der University of London Wirtschaft und Russisch zu studieren. ›Ich wollte mein eigenes Ding machen. Dann bin ich draufgekommen, dass ich nicht gut mit Zahlen bin. Meine Kollegen schrieben sich alle Formeln auf, während ich versucht habe, mich durchzuargumentieren. Ich war völlig deplatziert.‹

Nachdem sie das Wirtschaftsstudium in London abgebrochen hatte, kehrte sie nach Österreich zurück, um doch noch Jus zu studieren. Nach zwei Jahren Studium am Wiener Juridicum stößt Krömer auf einen Artikel in der Zeit, ›Einer gegen Rumsfeld‹, über den deutschen Strafverteidiger Wolfgang Ka­leck : Der Jurist zeigte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vor ­einem deutschen Strafgericht wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen während der Zeit der Besetzung des Iraks durch die Vereinigten Staaten an.

›Ich war komplett begeistert. Ich hab den Typen ausfindig gemacht und angerufen und gesagt : »Ich will nach Berlin kommen und für Sie arbeiten.« Und dann hat er gelacht : Seine Organisation, das European Center for Constitutional and Human Rights, sei noch im Aufbau, aber ich solle halt ruhig kommen.‹ Als dritte Praktikantin saß sie dann in einem kleinen dunklen Raum und bekam von Kaleck Akten von Insassen aus dem US-Straflager Guantánamo ›zum Studieren‹. 

Kalecks Organisation ist eine Quelle der Inspiration für Krömer, die Zeit in Berlin prägt sie. Er verfolgt in seinem Büro ›Strategic Litigation‹, eine politische Form der Prozessführung, so angelegt, dass sie die Klärung und Erfüllung von Menschenrechten fördert, damit Ge­setze, Richtlinien oder Praktiken entsprechend abgeändert werden. Häufig geht es auch darum, öffentliches Bewusstsein für eine Ungerechtigkeit zu schaffen. Noch bevor Krömer, zurück in Wien, 2015 ihre Anwaltsprüfung ablegt, erhält sie die Möglichkeit eines Master Studiums – an einer der angesehensten rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Welt, der Harvard Law School.

Dort besucht Krömer Lehrveranstaltungen Rechtsgelehrter wie Cass Sundstein, langjähriger Berater Barack Obamas, sowie der Sozialpsychologin Amy Cuddy, bekannt für ihre Arbeit über den Einfluss von Körpersprache. Ihre Stu­dienkolleginnen und -kollegen stammen aus aller Welt und haben vielfach bereits ihre Heimatländer, vor allem
im globalen Süden, geprägt – mit der Gründung sozialer Organisationen, mit politischem Engagement, mit der Einstellung, dass Gesellschaften sich ver­ändern, wenn Menschen sich für etwas einsetzen, das größer ist als sie selbst. Diese Stimmung steckt Krömer an. Sie beginnt, das starre österreichische Verständnis von Gesetzen zu hinterfragen – und wendet sich einer Denkweise zu, in der die Spielregeln der Gesellschaft und ihre Interpretation von › unten ‹, von den Menschen mitbestimmt werden.

›Die Verfassung ist ein lebendiges Dokument, das mitwachsen muss‹, sagt Krömer. ›Wenn wir nicht rechtzeitig die Weichen stellen, um die Veränderungen der Welt zu berücksichtigen, könnten wir alles verlieren, woran wir im Moment so krampfhaft festhalten. Wozu eine Wirtschaft retten, wenn sie in 20 bis 30 Jahren in dieser Form nicht mehr existieren kann, weil die notwendigen Ressourcen aufgebraucht sind und der Planet irreparabel zerstört ist ?‹ Am Beispiel der Klimaklage verdeutlicht sie diesen Zugang : ›Die Klimakrise erfordert eine Systemänderung. Mit der Klimaklage wollte ich versuchen, darauf aufmerksam zu machen, was wir aus unseren jetzigen Grundrechten, dem Recht auf Leben und auf Achtung des Privat- und Familienlebens herausholen können. Wie sehr sie uns schützen, wenn der Staat nicht rechtzeitig handelt, um die größte Bedrohung der Menschheit zu verhindern.‹

Nach ihrer Rückkehr in die Heimat übernimmt Krömer einen großen Mandanten aus der Kanzlei ihres Vaters und beschäftigt sich mit Energierecht. Zusätzlich setzt sie sich für Asylsuchende vor den Verwaltungsgerichten ein und erkennt einen grundlegenden Missstand : Im Einklang mit EU-Vorgaben müsste Österreich Asylsuchenden spätestens nach neun Monaten ab Antragstellung auf internationalen Schutz den Zugang zum Arbeitsmarkt gewähren. In Österreich wird ihnen dieser Zugang aber bis zum positiven Asylbescheid systematisch verwehrt. 

 ›Michaela hat kein Problem damit, in eine Konfrontation mit Autoritäten zu gehen, wenn es um Gerechtigkeit geht‹, erzählt ihre Schwester Daniela Krömer. ›Das macht sie im Gerichtssaal, aber auch bei normalen Streitigkeiten. Das war schon in der Volksschule so.‹ Als ihre Lehrerin einen Mitschüler vor den Augen der Klasse schlägt, stellt sich die damals Achtjährige in den Weg und meldet den Vorfall an die Direktion. ›Sie ist schnell im Denken. Und irrsinnig kämpferisch, da hätte ich manchmal auch gern eine Scheibe davon.‹

Michaela Krömer gewinnt in zwei wegweisenden Fällen vor dem Bundesverwaltungsgericht und erkämpft für zwei junge Asylwerber das Recht, eine Lehre zu beginnen. Einer der beiden Fäl­le gelangt bis zum Verfassungsgerichtshof und ist noch nicht endgültig entschieden. Zum ersten Mal gelingt es der jungen Anwältin, strukturelle Willkür einzudämmen. ›Zunächst sah ich nur im Asylbereich die Möglichkeit, als Anwältin ein bisschen rechtsstaatlich etwas voranzubringen.‹ Wenig später sitzt Krömer mit Greenpeace an einem Tisch und sucht nach Vorschriften, die sich für einen Strategic-Litigation-Case in Österreich eignen. Die Idee einer österreichischen Klimaklage entsteht aus der Kooperation zwischen Krömer, Greenpeace und dem Ökobüro, dem Dachverband österreichischer Natur- und Tierschutzorganisationen.

›Die größte Schwierigkeit lag darin, ein Gesetz zu finden, das überhaupt ­angreifbar war‹, erzählt Krömer. Drei Monate lang recherchiert das Team, was den Kriterien eines ›verfassungsrecht­lichen Individualantrags‹ entspricht, dem bürgerlichen Schutzschild vor Grundrechtsverletzungen. Der Individualantrag zielt darauf ab, Gesetzes­passagen oder Verordnungen aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit durch das Höchstgericht aufheben zu lassen. ›Gegen ein »Nichts-Tun« des Gesetzgebers kann man in Österreich gerichtlich nicht vorgehen. Es brauchte eine Vorschrift, die man sinnvoll aufgreifen kann, etwas, das auch gesellschaftspolitisch verkaufbar ist. Du kannst mit der ersten Klimaklage nicht bei der Pendlerpauschale anfangen, weil du alle gegen dich hast.‹ 

Das Thema billiges Fliegen ist damals in den Medien dauerpräsent, dafür sorgen unter anderem Aussagen von Ryanair-Chef Michael O’Leary, der den CO2-Ausstoß von Flugzeugen verharmlost. Krömers Wahl fällt auch deshalb auf das Mineralölsteuergesetz und das Umsatzsteuergesetz – jene Gesetze, die Passagen enthalten, die den Flugverkehr steuerlich privilegieren.

›Sie ist eine extrem interessierte, politische und organisierte Person‹, erzählt der Umweltjurist Gregor Schamschula, der ab Tag eins am Projekt Klima-
klage mitwirkte. ›Und sie ist rechtlich kreativ, was für Anwälte nicht selbst­verständlich ist. Sie wollte aus dem Gewohnten ausbrechen, neue Wege beschreiten und ausprobieren, was die Rechtsordnung in Österreich an Möglichkeiten hergeben könnte.‹

Krömer arbeitet ein Jahr lang neben ihren regulären Mandaten an dem Schriftwerk. ›Man leistet da einfach viel Pionierarbeit und muss versuchen, in einem engen konservativen Korsett neues Gedankengut reinzubringen‹, erzählt sie. ›Das war wahnsinnig schwierig.‹

Auf 150 Seiten argumentiert Krömer schließlich, warum es an der Zeit sei, Gesetze zu kippen, die den Flugverkehr steuerlich begünstigen. Die Rechtfer­tigung für die Anwendung dieser Vorschriften wurzelt in einer Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als Österreich während des Wiederaufbaus von einem sub­ventionierten Flugverkehr profitierte. 

Nur wenige Monate vor dem Einreichtermin der Klage in Wien erwirkt die niederländische Umweltorgani­sa­tion ›urgenda‹ ein bahnbrechendes Urteil : Das höchste Gericht der Niederlande stellt fest, dass die niederlän­dische Regierung im Einklang mit geltenden Menschenrechten verpflichtet ist, die Emissionen des Landes rasch und erheblich zu reduzieren. Ein gutes Omen für Krömers Klage ?

Im September 2020, sieben Monate nach dem Einlangen der Klimaklage, entscheidet der Senat des Verfassungsgerichtshofs über die Zulässigkeit des Antrags : abgelehnt, aus Formalgründen.

Krömer ist wütend. Das Ergebnis war vorhersehbar, doch die Begründung ist verstörend.

Die Erwiderung des Verfassungsgerichtshofs auf die eingebrachten Ar­gu­mente umfasst lediglich vier Seiten. Es fehle › die Berechtigung, die Regelungen anzufechten‹. Denn die Klimakläger seien als Bahnfahrende durch die angefochtenen Bestimmungen › nicht unmittelbar in ihren Rechten verletzt, weshalb eine Voraussetzung für die ­Zulässigkeit eines Antrags nicht gegeben ist ‹.

Auf eine Beeinträchtigung der Menschen durch die vom Flugverkehr mitverursachten Klimaschäden geht der Verfassungsgerichtshof in seiner Er­widerung gar nicht ein. Eine Entscheidung, die von manchen Juristen sehr kritisch gesehen wird. ›Für den Moment ist es deprimierend, dass das Höchst­gericht eine der zentralen Fragen der Zukunft der Menschheit in ihrer Di­mension nicht erkennt und die inter­national viel weiter fortgeschrittene rechtliche Auseinandersetzung mit Kli­ma- und Umweltfragen nicht aufzugreifen vermag‹, kommentiert der Meidlinger Bezirksgerichtsvorsteher und Strafrichter Oliver Scheiber dazu in seinem Rechtsblog.

Und Eva Schulev-Steindl, renommierte Professorin für öffentliches Recht, ­bemerkt in einem Beitrag für die Fach­zeitschrift Recht der Umwelt : 

›Sofern der VfGH nicht bereit ist, die Voraussetzungen der Beschwerdelegi­timation stärker in Richtung einer faktischen Betroffenheit zu öffnen (…) müssen alle Versuche, die aus der europäischen Menschenrechtskonvention er­wachsenden Schutzpflichten des Staates im Zusammenhang mit der Klimakrise einzuklagen, geradezu kafkaesk im Sande verlaufen.‹

Ist die Klimaklage deshalb gescheitert ? Im Hinblick auf die Aufhebung der Subventionen : ja. Umsonst aber war sie nicht, davon sind Michaela Krömer und ihre Mitstreiter überzeugt. 

Die provozierte Entscheidung ebnet nämlich den Weg für eine der wichtigsten Forderungen des Klimavolksbegehrens : ein neues Grundrecht auf Klimaschutz. Dieses Grundrecht könnte die durch die Entscheidung verdeutlichte Lücke schließen. In den vergangenen Monaten führten Abgeordnete zum ­österreichischen Parlament Gespräche mit führenden Rechtsexperten und den Initiatoren des Klimavolksbegehrens unter der Leitung des Umweltausschuss-Vorsitzenden Lukas Hammer. Das erklärte Ziel ist eine Reform der Verfassung für effizienteren Klimaschutz.

Krömers nächster Schritt steht bereits fest : ›Ich gehe sicher zum ­Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.‹ Einer der Mitunterzeichner der Klage leidet unter Multipler Sklerose. Eine Erhöhung seiner Kör­per­tem­pera­tur aufgrund von Hitze führt zu einer vorübergehenden Verschlechterung seiner Symptome – von extremer Müdigkeit und Trägheit bis hin zu Lähmungen. Nachdem der Verfassungsgerichtshof auch seine Antragsberechtigung abgelehnt hat, bleiben ihm hierzulande keine weiteren Möglichkeiten, sein Grundrecht auf ­Leben vor dem von Menschen und Staat verursachten Klimawandel zu schützen. ›Wenn der EGMR sagt : Hier wird ein Menschenrecht verletzt, dann wird Österreich seine Rechtsordnung anpassen müssen. Eine Gesetzesänderung wäre der Best Case‹, erklärt Krömer, die nicht daran denkt, aufzugeben. Sie rechnet mit einem Einreichtermin der Klage beim EuGH noch im Frühjahr 2021.

Auch am Gesetzesvorschlag des Klimavolksbegehrens arbeitete Krömer mit. Seite an Seite mit anderen Juristinnen und Juristen aus dem Feld arbeitete sie in regelmäßigen Zoom-Calls an Wochenenden am Gesetzestext. Der Entwurf sieht neben dem Grundrecht auf Klimaschutz ein Treibhausgasbudget und einen Klimarechnungshof vor. Die Ausschusssitzungen im Parlament zu den Forderungen des Klimavolksbegehrens wurden im Dezember und Jänner live im Internet übertragen – eine Premiere für eine Ausschusssitzung. In den nächsten Wochen könnte der gemeinsame Gesetzesantrag von SPÖ, ÖVP, Neos und Grünen für die Debatte im Nationalrat stehen. Dann ist das Parlament an der Reihe. Ob die Politik die Dringlichkeit des systemischen Problems erkennt ? Wenn nicht, wird es mit Michaela Krömer jemanden geben, der sie daran erinnert. •

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