Editorial im April 2020
Als mich Stefan Apfl, jener Mann, der Sie für gewöhnlich an dieser Stelle begrüßt, fragte, ob ich ihn während seiner Babypause vertreten möchte, dachte ich: ›Was soll schon groß passieren?‹ Was inzwischen Großes passiert ist, wissen wir alle.
Nie hätten wir gedacht, dass wir uns schon bald nicht mehr die Hände schütteln oder Ostern feiern dürfen. Dies ist die erste DATUM-Ausgabe, die fast ausschließlich per Videokonferenz produziert wurde.
Anfang März war äußerlich noch alles beim Alten. Ich machte es mir an meinem neuen Schreibtisch bequem, der Redaktionshund beschnupperte mich freundlich. Autoren schauten im Büro vorbei, um von ihren Recherchen zu erzählen. Timo Schober etwa, der in Lyon die rechtsextreme Politiker-
in Marion Maréchal getroffen hat. Oder Tobias Schmitzberger, der über den letzten Henker der Donaumonarchie recherchierte. An jenem Tag, als Jonas Vogt den EU-Kommissar Johannes Hahn zum Interview traf, begann Corona unseren Alltag zu bestimmen. Der Kommissar griff die Türklinke nur noch mit Taschentuch an.
Es begann die Zeit der Selbstisolation. Von meinem Schreibtisch aus blickte ich auf eine BILLA-Filiale, die Menschen mit Wanderrucksäcken betraten und mit Unmengen an Klopapierrollen wieder verließen. Dieser Tage sind wir (fast) alle wie Schildkröten, die sich in ihren Panzer zurückziehen. Solidarität heißt jetzt: Abstand halten.
Eine Krise ist immer auch eine Chance, um über Grundlegendes zu diskutieren. Wo werden wir als Gesellschaft in einem Jahr stehen? 25 Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur geben Antwort auf diese und weitere Fragen zur Krise – per E-Mail, aus ihren Rückzugsorten, versteht sich.
Rückzug darf aber nicht heißen, dass wir uns abschotten – als Gesellschaft und nicht zuletzt als Nationalstaaten. Corona verstärkt einen beunruhigenden Trend: das politische Paradigma, dass sich Krisen nicht gemeinsam, multilateral, sondern nur im nationalen Alleingang lösen lassen. Flüchtlinge, Klima, soziale Sicherheit – der Rückzug scheint oft einfacher als die Öffnung.
Das vorliegende Heft handelt auch von Grenzen zwischen Ländern, Kontinenten und nicht zuletzt zwischen Menschen. So fragt sich Emran Feroz, warum er in Österreich immer noch als Fremder wahrgenommen wird. Und Patricia McAllister-Käfer versucht zu ergründen, wie wir uns der Welt öffnen können, ohne sie uns in zerstörerischer Weise untertan zu machen.
Corona gibt uns Zeit, Dinge zu tun, für die unser Leben früher zu hektisch war. Zum Beispiel, eine tiefgehende Lektüre genießen. Ihnen für diese Lektüre den Stoff zu liefern, darum haben wir uns bis zu unserem Redaktionsschluss Mitte März intensiv bemüht – und werden das selbstverständlich auch zukünftig in gewohnter Weise tun.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nun viel Vergnügen mit den Seiten der Zeit, in außergewöhnlichen Zeiten. •
Ihre Franziska Tschinderle
franziska.tschinderle@datum.at