›Es ist eben eine Sisyphos-Arbeit‹

Wie mich IWM-Chefin Shalini Randeria beinahe versetzt.

DATUM Ausgabe Dezember 2018 / Jänner 2019

Shalini Randeria betritt pünktlich das Café Landtmann, nimmt Platz und bestellt sich einen Tee. Das alles ist insofern interessant, als wir im Café Museum verab­redet waren. Ein schneller Anruf, eine kurze Taxifahrt und schon sitzt sie ebenda – und bestellt sich wieder einen Tee. Es ist Samstagabend, und das ist die einzige Chance, Randeria zu treffen, zumindest auf längere Zeit, denn am Montag geht es nach Genf, von dort nach England und dann nach Indien. Und jetzt dann gleich zum Konzert in den Musikverein. Randeria ist seit 2015 Rektorin des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen, kurz IWM, in Wien. Zusätzlich leitet sie das Albert Hirschman Centre on Democracy am IHEID in Genf und ist obendrein Gastprofessorin in Berlin. Sie wirkt ein bisschen unrund, wenn sie von ­ihren vielen Aufgaben erzählt: Ich habe das Gefühl, ich ver­wen­de zu viel Zeit für Verwal­tung. Ich bin Ethnologin – ich muss ins Feld! Das schafft sie für höchstens ein Monat pro Jahr in Indien, wo sie erforscht, wie lokale Bauern versuchen, ihr Land und ihre Lebensgrundlage gegen mächtige Konzerne zu verteidigen.

Das IWM wurde Anfang der Achtzigerjahre als unabhängiges sozial- und geistes­wissen­schaftliches Zentrum zwischen den beiden Blöcken des Kalten Krieges in Wien gegründet. Heute ist die Perspektive längst eine andere – und irgendwie auch wieder nicht. Es geht um die liberale Demokratie, um einen lö­sungs- und vernunftorientierten Diskurs aus Wissenschaft und Praxis, um die Werte der Auf­klärung. Dass die Arbeit des Instituts heute mitten in einem von ­Renationalisierung und Entsolidarisierung geplagten Europa so virulent ist, lässt Randeria seufzen. Es ist eben eine Sisyphos-­Arbeit. Gerade noch wirkte der Felsblock stabil, jetzt müssen wir uns wieder gegen ihn stemmen, damit er nicht abstürzt.

Randeria stammt aus einer kosmopolitischen indischen Familie mit bewegter Geschichte: Ihre Urgroßmutter war eine der ersten Inderinnen mit Hochschulab­schluss, ihr Urgroßvater ein Romancier. Sie gehörten der höchsten Kaste an, den Brahmanen. In seinen Romanen machte sich der Urgroßvater über die abergläubischen Rituale der Brahmanen lustig – das ging denen gegen den Strich, reichte aber nicht für den Ausschluss aus der Kaste. Dass sie ihn dennoch rausschmissen, hat mit dem be­rühmten Cricketspieler Palwankar Baloo – Baloo the Bowler – zu tun, aber das ist eine andere Geschichte. Um die Jahrhundertwende gab es jedenfalls ein Cricket-Turnier der Religionen. Beim Bombay Quadrangular traten ein Hinduteam, ein Muslimteam, ein Christenteam und ein Parsenteam gegeneinander an. Vier Religionen im sportlichen Wettstreit gegeneinander, welch göttliche Alternative zu Glaubenskriegen aller Art . Eine Frage noch an die Anthropologin: Wenn man die Menschheit und ihre Gesellschaften so intensiv erforscht – wie schafft man es, Menschenfreundin zu bleiben? In ihrer 40-jährigen Forschungsarbeit habe sie gelernt, mit welchem Optimismus und welcher Kreativität auch die Ärmsten danach trachten, ihr Leben Tag für Tag menschenwürdig zu gestalten. Da kannst du einfach nicht verzweifeln. Also, sind die Menschen doch im Grunde gute Wesen?  Da halte sie es mit Yehuda Elkana, jenem israelischen Wissenschaftstheoretiker, der Auschwitz überlebt hatte. Er glaubte weder an das absolut Gute noch an das absolut Böse im Menschen. Es seien die Lebensumstände, die das Gute oder das Böse in uns hervorrufen. Und es ist unsere Aufgabe, jene Lebensumstände herbeizuführen, die das Gute in den Menschen fördern.

Noch zwei Tassen Tee, bitte!

 

Shalini Randeria

wurde 1955 in Washington geboren. Sie studierte in Delhi, Oxford und Berlin So-zio-lo-gie und So-zi-al-an-thro-po-lo-gie. Randeria forschte und unterrichtete u.a. an der CEU in Budapest, der EHESS Paris und der Universität Wien. In ihrer Forschung widmet sich Randeria den Widersprüchlichkeiten der Globalisierung und den vielen Gesichtern der Moderne.