2016: Die iranische Verwandlung

Als westliche Frau im Iran leben? Unsere Autorin hat es versucht.

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Illustration:
Aliaa Abou Khaddour
DATUM Ausgabe Juli/August 2024

Am Anfang ist immer Blut im Rotz. Das ist normal. So reagiert der Körper. Zumal er österreichische Luftverhältnisse gewohnt ist. Es ist ein klassischer Fall von West-Ost-Konfrontation: Trifft westliche Nase auf Teheraner Smogglocke, ist das Blutbad im Taschentuch gewiss. Das geht vorbei, wird mir versichert. Das Blut im Rotz ist ein guter Indikator für den Grad der Assimilation. Je weniger Blut im Taschentuch, desto mehr Iran im Blut.

Fünf Monate Iran also.

Das klingt faszinierend. Nach Berberitzenreis, Tau­send­undeiner Nacht, operierten Nasen, finsteren Mullahs und einer Jeunesse dorée, die ihnen den Mittelfinger zeigt. Für Fremde ist der Iran eine exotische Peepshow. Damit können sie vor Freunden angeben. Sich als Draufgänger inszenieren, die sich in einen Gottesstaat gewagt haben. Immer wieder werden sie dieselben Anekdoten von dem Achtzig-Millionen-Einwohner-Land erzählen: von den schönen und überraschend gebildeten und selbstbewussten Frauen, von dem guten Essen, der Gastfreundschaft, der atemberaubenden Natur, den melancholischen Intellektuellen, der einen Heavy-Metal-Band, die im Untergrund spielt, und den legendären Partys, auf denen man sich bei selbstgebranntem Rosinenschnaps von einer Domina ihren Arbeitsalltag erklären lässt. So faszinierend. So spannend. So unerwartet.

Hinter der Geschichte

Ich war für ein halbes Jahr auf Bildungskarenz im Iran. Dort wollte ich ausprobieren, ob ich in einer Theokratie als Korrespondentin leben kann. Die Antwort ist nein. Mit dem Job als Journalistin und damit für das Regime per se ›Agentin‹ westlicher Mächte und meiner Biografie ist das sehr gefährlich. Auch für mein Umfeld. Als ich zurückgekommen bin, hat mich der damalige DATUM-Chefredakteur und ehemalige FH-Kollege Stefan Apfl gefragt, ob ich etwas über diese Zeit schreiben möchte. Der Essay wurde später in der taz und der WZ nachgedruckt und auch bei den Österreichischen Journalistentagen ausgezeichnet. Würde ich heute diesen Text schreiben, wäre er bestimmt anders – gesetzt den Fall, dass ich nicht sofort bei der Einreise inhaftiert würde. Ich würde darüber berichten, wie mutig die Frauen auf die Bekleidungsvorschriften pfeifen und so einen enormen Widerstand gegen die Islamische Republik leisten.
Ich selbst hätte vermutlich vor Ort nicht diesen Mut.

Ich bin seit 2004 bei DATUM dabei, seit der dritten oder vierten Ausgabe, ich schreibe heute noch eine Kolumne. Dazwischen war ich beim Standard, der Zeit, der Wiener Zeitung und bei Republik. Jetzt arbeite ich als freie Journalistin, arbeite an Buchprojekten, schreibe Reden und bin Teil des vierköpfigen Teams des Polit-Podcasts ›Ganz offen gesagt‹.

Solmaz Khorsand

Nicht für mich. Für mich ist es ein Testlauf. Als Journalistin. Als Europäerin. Als Tochter zweier Exiliraner, die vor 32 Jahren aus politischen Gründen das Land verlassen mussten. Kann ich in dem Land, aus dem meine Eltern geflohen sind, heute leben?

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Wörter: 2732

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