2006: In a Sentimental Mood
Der unabhängige Gang des Hans Dichand über ein Land, das sich seit 1945 unabhängig wähnt von der Notwendigkeit einer ernsthaften Selbstbetrachtung. Nicht zuletzt dank der Spiegel, die er den Landsleuten in der "Krone" vorhält.
Hans Dichand blickt auf den Computerausdruck seiner Geschichte. In der Internet-Enzyklopädie Wikipedia beschreiben sie Dichands Leben und Streben. 85 Jahre auf drei Seiten und ein bisserl was. In Dichands altem, müdem Gesicht steht eine Mischung aus Verwunderung und Verärgerung. Die haben was gegen uns. Da steht so viel drinnen, was nicht stimmt. Aber das Ärgste, was nicht stimmt, ist die letzte Zeile in der ganzen Sache: ›Kategorien: Österreichischer Journalist/Geboren 1921/NSDAP-Mitglied‹. Steht da! Ich war nie in der Nähe von der NSDAP! Ich war nicht einmal bei der HJ, was ja eine Pflichtorganisation war!
Hans Dichand wird etwas dagegen unternehmen, wie er sagt. So wie er seit jeher etwas unternimmt gegen Personen, Vorfälle oder Zustände, die er als unmöglich, feindlich, unhaltbar oder unangenehm empfindet. Er trat stets dafür ein, dass man die ehemaligen Soldaten des Zweiten Weltkriegs nicht pauschal verurteilt. Die Krone verteidigte Kurt Waldheim, der sich für seine Tätigkeit auf dem Balkan damit verantwortete, ›nur seine Pflicht‹ getan zu haben. Österreich sei das erste Opfer der Nazis gewesen, trommelte Dichand. Ist das nicht ein Widerspruch? Gibt es eine Pflicht gegenüber den Vergewaltigern?
Hinter der Geschichte
Damals war die öffentliche Sphäre noch nicht so divers, deshalb war die Krone noch viel mächtiger. Als ich 1980 bei der Presse in der Sportredaktion begonnen habe, arbeiteten Dichand und seine Redakteure im selben Gebäude unter uns. Da schaute man immer hin. Für ein Magazin wie DATUM, das damals noch nicht lange am Markt war, war es natürlich interessant, mit großen Medienmachern zu sprechen. Damals war gerade Karl-Heinz Grasser in Mode. Dichand unterstützte ihn sehr, und mich interessierte deshalb vor allem, warum jemand wie er, der das Geschäft in- und auswendig kannte, so einen Typen wie Grasser pusht, der anscheinend nichts konnte und nichts wusste, aber eben eine große Popularität mitbrachte. Leider haben wir über ihn wenig gesprochen. Das lag an Dichands Aura, die für ihn negative Themen einfach ausblendete. Im Gespräch war er aber sehr freundlich und zugänglich, auch wenn er natürlich keinen Millimeter von seinen Überzeugungen abrückte. In dieser Hinsicht war er ein Meister der Kommunikation.
Ich kam damals mit Klaus Stimeder, den ich in der Sportredaktion des Standard kennengelernt hatte, als freier Journalist zu DATUM. Für ihn habe ich immer wieder Geschichten geschrieben, unter seinem Nachfolger Stefan Kaltenbrunner hatte ich auch vorübergehend eine Kolumne. 2023 habe ich mit dem Bayerischen Rundfunk den Podcast ›Dr. Red Bull‹ gemacht – über den DDR-Dopingarzt Bernd Pansold, jahrzehntelang Chefmediziner von Red Bull.
Johann Skocek
Das war ja gar nicht ihre Pflicht. Sie glauben vielleicht im Nachhinein, dass sie ihre Pflicht getan haben. Einer verbrecherischen Regierung gegenüber hat man überhaupt keine Pflichten. Aber wenn sie so unter diktatorischem Druck stehen, dass sie’s nicht bemerken, dann kann es passieren. Aber gut ist es nicht. Der Waldheim ist mein Nachbar am Attersee, und ich red manchmal mit ihm: Was der damals gesagt hat, ich hab nur meine Pflicht getan, ist falsch. So darf sich ein ehemaliger Soldat nicht verhalten heute, nach all dem, was er weiß.
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