Seifenblasen standen schon in Gemälden des 17. Jahrhunderts für die Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit des Lebens. Hier vermitteln sie Leichtigkeit in einem unerträglich schwer gewordenen Alltag, dem fast jegliche Kindlichkeit abhandengekommen ist. Denn dieses Foto zeigt junge Menschen in der ostukrainischen Stadt Isjum an einem ganz gewöhnlichen Freitag im vergangenen Dezember, erinnert sich Evgeniy Maloletka.
Der ukrainische Fotojournalist der Associated Press (AP) gewann 2023 den World Press Photo Award, und er war Teil des AP-Teams, das für seine ›mutige Berichterstattung aus der belagerten Stadt Mariupol‹ den Pulitzer-Preis gewann. Diese Journalisten waren die einzigen, die sich während des Angriffs in der eingekesselten Stadt befanden. Seit mehr als drei Jahren dokumentiert Maloletka nun das Kriegsverbrechen an seinen Landsleuten.
Aber stumpfen wir nicht ab, wenn wir immer wieder Grausamkeit und Gewalt sehen? Susan Sontag, die sich zeitlebens mit Fotografie auseinandergesetzt hat, vertrat diese These in ihren Essays ›Über Fotografie‹. Später meinte sie, Fotos von Kriegsopfern könnten unterschiedliche Reaktionen hervorrufen: ›Den Ruf nach Frieden, den Schrei nach Rache. Oder einfach das dumpfe, ständig mit neuen fotografischen Informationen versorgte Bewusstsein, dass immer wieder Schreckliches geschieht.‹
Die Intensität des russischen Beschusses zwingt die Fotografen dazu, immer mehr Leid zu zeigen. Gleichzeitig fürchten sie, dass sich die Welt an Bilder vom Tod gewöhnt und eine Desensibilisierung eintritt. Das Foto der staunenden Jugendlichen zeugt davon, dass ein Leben im Krieg nicht ausschließlich aus Bomben und Schutt besteht und erinnert daran, dass es um Menschen geht, die Träume haben. Angesichts der ständigen Existenzbedrohung ist das Einfangen solcher Momente selten möglich. Die Seifenblasen dienen als dankbare Metapher für die Fragilität des Augenblicks.
Am diesem gewöhnlichen Freitag, es war der 6. Dezember 2024, brachten Freiwillige Geschenke zum Nikolaustag. Sie organisierten eine Aufführung für die fünfzig Kinder, denen der Krieg das Zuhause, oft auch die Eltern genommen hatte. ›Anfangs waren sie recht schüchtern, aber die Seifenblasenmaschine brach das Eis‹, schildert der Fotograf. ›In ihren Augen liegt Freude und in ihren Herzen Schmerz. Sie können noch nicht ganz verstehen, was mit ihnen passiert, obwohl sie deutlich älter sind als andere Kinder, die noch keinen Krieg gesehen haben‹, sagt er.
Kinder spielen in der Kriegsfotografie eine spezielle Rolle. ›Das Ausmaß an Leid, Schrecken und Bedrohung scheint für uns unmittelbarer greifbar, wenn wir ihm im Bild eines offenkundig »unschuldigen Kindes« begegnen‹, schreibt Karen Fromm, Professorin für ›Visual Journalism and Documentary Photography‹, im Sammelband ›Bilder im Konflikt‹.
Kein kriegerischer Konflikt ist so gut dokumentiert wie der Ukraine-Krieg. Online mischen sich Aufnahmen von Zivilisten mit professionellem Fotojournalismus. Vielleicht wirkt die Bildsprache deshalb besonders direkt, unverhohlen und gewalttätig.
Seit dem Balkankrieg war Europa nicht mehr so unmittelbar in Gefahr. Die Ukraine fühlt sich für uns nicht nur aufgrund der geografischen Nähe vertraut an. Der Lebensstil sei uns bekannt, wir würden keine erklärenden Bildunterschriften brauchen, meint Philip Kennicott, Kunstkritiker der Washington Post. Dadurch zirkulieren Fotos aus der Ukraine schneller und sind häufiger präsent im westlichen Nachrichtenökosystem. •