Notizen aus Utopia: Städte in der Zukunft
Über Urbanität als ökologischen Hoffnungsschimmer
Die Stadt ist unsere Zukunft. Das ist keineswegs selbstverständlich. Bis vor Kurzem galt sie als Moloch, als Katalysator von Verschmutzung und Verderbtheit, als akustische und olfaktorische Zumutung. Verstädterung rangierte weit oben auf der Liste der Probleme menschlicher Entwicklung. Das Leben auf dem Land hingegen war vermeintlich naturnäher, weniger entfremdet. Rundum gesegneter.
Gewiss, die Stadt galt seit dem Mittelalter als Hort der Freiheit. Nachdem ein Leibeigener ein Jahr und einen Tag innerhalb der Stadtmauern verbracht hatte, konnte der Grundherr sein Eigentumsrecht nicht mehr geltend machen. Der Leibeigene begann in der Stadt ein neues Leben. Der Ausdruck ›Stadtluft macht frei‹ erinnert daran und ist heute noch gängig, weil die Metropolen weiterhin Menschen anziehen, die den vorherrschenden Normen nicht entsprechen. Unzählige Nonkonformisten sind in unseren Breitengraden nach Wien oder Berlin gezogen, sobald sie konnten.
Die Nachteile der Stadt haben sich in dieser freien Luft in letzter Zeit aufgelöst. Aus ökologischer Sicht wissen wir inzwischen, dass die geforderte Nachhaltigkeit viel eher in den Städten umgesetzt werden kann als in den zersiedelten und agrarindustriell verkrüppelten Landschaften zwischen ihnen. Sogar die Artenvielfalt ist in einer Stadt größer. Auch in einer Millionenmetropole wie Wien. Wie eine Studie der Universität für Bodenkultur neulich festgestellt hat, flattert und fleucht entlang der Schienen der Wiener Linien eine erstaunliche Vielfalt an Tieren und Pflanzen. Auf knapp 3,7 Hektar Untersuchungsfläche wurden sage und schreibe 378 Pflanzenarten sowie 25 Heuschrecken-, 40 Tagfalter- und 155 Wildbienenarten nachgewiesen. Darunter sogar die seltene ›grobpunktierte Schmalbiene‹. Wer also Natur erleben will, der fährt besser mit der Linie D nach Nussdorf als wie früher ins ›Grüne‹, wo unsere destruktive Landwirtschaft eine Monokultur geschaffen hat, die es an Einfalt mit dem Fanatismus einer Sekte aufnehmen kann.
Wenn wir diese veränderten Realitäten – die ja stets auch Veränderungen der Wahrnehmung sind – in die utopische Zukunft projizieren, ergeben sich einige wunderbar vielversprechende Perspektiven. Das horizontale Prinzip des jetzigen Anbaus könnte sich in die Vertikale verlagern. Eine Reihe von Studien haben berechnet, dass sich die städtische Bevölkerung zu einem Großteil selbst ernähren könnte, wenn sie alle vorhandenen Flächen nutzen würde, also die Fassaden zu Gärten und die Dächer in riesige Hochbeete verwandelte, oder überdachte Flächen (Schächte etwa) zur Pilzzucht nutzte. Wie der Schweizer Visionär P.M. (Anm.: Autor des Buches ›Kartoffeln und Computer‹, Edition Nautilus) überzeugend ausführt, wäre ein Gürtel von ökologischen Anbauflächen um die Stadt herum eine weitere Komponente, um die urbane Selbstversorgung zu sichern, aber auch um die Beziehung der Städter und Städterinnen zum eigenen Essen zu konkretisieren und zu intensivieren. Wer sich für weitere spannende Projekte, die teilweise schon verwirklicht werden, interessiert, dem sei das Buch ›Stadt der Zukunft‹ von Friedrich von Borries empfohlen, der von renaturierten Flüssen in Südkorea, von Gemüseanbau in einem ehemaligen Bunker in London oder von dem atmenden Holzhaus HoHo in Wien erzählt. Urban Gardening ist inzwischen weit mehr als eine Marotte, und es liegt auf der Hand, dass Menschen in den Städten viel mehr zu Fuß unterwegs sind oder mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weswegen der CO2-Abdruck eines Städters, einer Städterin im Durchschnitt um ein Vielfaches kleiner ist als der eines ähnlich wohlhabenden Menschen auf dem Land.
Auch in politischer Hinsicht haben viele Utopien ihre radikaldemokratischen Vorstellungen in der Stadt angesiedelt. Heute schon bietet Zürich eine Bürgerkarte namens ›Züri City Card‹ an, von der alle profitieren sollen, die in der Stadt leben, unabhängig von ihrem Status, also auch die ›Sans-Papiers‹. Die Teilhabe aller wäre in der Stadt leicht umzusetzen, erst recht, wenn es eine zivilgesellschaftliche Ausbildung gäbe, die uns das Mitentscheiden und Mitgestalten als Selbstverständlichkeit, aber auch als Verantwortung eines städtischen Alltags vermitteln würde.
Der Fetisch des Privateigentums wird in der Stadt relativiert durch verschiedene Formen des Teilens. An die Stelle von Eigentumsrechten treten Nutzungsrechte. Carsharing-Dienste geben einen Vorgeschmack auf zukünftige Möglichkeiten. Die Mobilität geht allerdings in Richtung Verdrängung des Autos, das nicht nur eine ökologische Katastrophe darstellt, sondern energetisch extrem ineffizient ist. Eine Kombination aus leichtem Verkehr (Roller, Fahrräder oder auch schwebende Kapseln), einer Renaissance des Zu-Fuß-Gehens und die vielfältigen Vernetzungen des öffentlichen Transports werden unweigerlich die Formen der Mobilität zu einem Allgemeingut werden lassen, das allen Menschen in der Stadt zur Verfügung steht, kostenlos, finanziert oder aufrechterhalten von der Gemeinde beziehungsweise der Gemeinschaft. In hundert Jahren werden wir – nein, leider nicht wir, aber unsere Nachfahren – auf unsere Epoche blicken und den Verbrennungswahn mit unverständigem Kopfschütteln betrachten.
Faszinierend sind die jetzt schon entstehenden engen Verbindungen zwischen Städten weltweit, eine Art Globalisierung von unten, etwa in dem ›Konvent der Bürgermeister und Bürgermeisterinnen‹ oder in dem Netzwerk ›C40‹, dem inzwischen 90 Metropolen angehören, um gemeinsam Strategien gegen die Klimakatastrophe zu entwickeln. Denn eines dürfte klar sein: Die Stärke der Stadt ist – als Kehrseite – die Schwäche des Staates, vor allem des Nationalstaates, der nicht den globalen Problemen gewachsen ist, wie uns gegenwärtig wieder einmal vor Augen geführt wird, aber auch nicht den lokalen. Schon erstaunlich: Die meisten von uns glauben blind an eine ziemlich neue Erfindung (nämlich den Nationalstaat), die zugleich zu klein und zu groß ist. Die Stadt hingegen hat genau die richtige Größe für das Lokale und als Netzwerk von Städten weltweit auch die nötige Ausdehnung und Komplementarität, um viele der globalen Herausforderungen zu bewältigen.
Natürlich sind all diese utopischen Entwicklungen nur zu verwirklichen, wenn wir einen internationalen Ausgleich haben, wenn wir die Megacitys des globalen Südens beraten und unterstützen, die jetzige soziale und ökologische Misere zu überwinden. Dazu müssten wir erst einmal unseren Egoismus und unsere Gier überwinden. Das mag vielleicht utopisch klingen, ist aber keineswegs weltfremd. •
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