Von Hand
Gerichtszeichnungen prägen das Bild der Angeklagten in der Öffentlichkeit – und offenbaren mitunter mehr, als Fotos könnten.
Sein Oberkörper ist gebückt, die Hände hat er um sein Gesicht gelegt, als wolle er es verstecken. Aber man sieht die Angst und die Scham. Vom toughen Rapper-Image ist nichts mehr übrig. Mit ergrautem Haar und weißem Kinnbart erkennt man Sean Combs, besser bekannt als Puff Daddy oder P. Diddy, kaum mehr wieder. Der 55-jährige Hip-Hop-Musiker sitzt in einem Saal am Bundesgericht in New York. Schon Anfang Juli wurde er wegen Sexualstraftaten schuldig gesprochen. Jetzt, an diesem Freitag Anfang Oktober, wartet er auf die Verkündigung des Strafmaßes.
Jane Rosenberg hat diese Szene aus nächster Nähe beobachtet. Sie ist eine der drei Gerichtszeichnerinnen, die das Verfahren gegen Sean Combs mitverfolgt haben. ›Als seine Kinder ans Podium traten, um Erklärungen abzugeben, wirkte er traurig, verärgert, verweint und schämte sich‹, sagt sie. Rosenberg will jede Regung mitbekommen. Mit ihren Pastellkreiden skizziert sie die Gerichtsszenen schnell und präzise.
Rosenberg zählt zu den bekanntesten Gerichtszeichnerinnen der USA. Seit den 1980er-Jahren dokumentiert sie prominente Fälle – sie zeichnete Donald Trump und Harvey Weinstein im Gerichtssaal, Woody Allen, El Chapo, Bill Cosby oder Rudy Giuliani.
Beim Prozess gegen Sean Combs war sie immer schon zwei Stunden vor Verhandlungsbeginn da, um sich einen guten Platz zu sichern. Sobald der Angeklagte den Raum betrat, fing sie zu zeichnen an. ›Das Umarmen, Winken, der Blick zur Familie‹, all das hält sie fest, sagt Rosenberg. Combs’ Kinder zeigten ›ein Tränendrückervideo‹ über das Leben ihres Vaters, auch Combs selbst verlas noch ein Statement. Insgesamt fertigte Rosenberg an diesem Tag sieben Court Sketches an – doppelt so viele wie üblicherweise.
Wie der Angeklagte sich vor Gericht bewegt, seine Körperhaltung, der Gesichtsausdruck – all das bliebe der Öffentlichkeit ohne die Arbeit von Leuten wie Rosenberg verborgen. An US-Bundesgerichten sind Foto- und Videoaufnahmen nicht erlaubt. Und selbst dort, wo man fotografieren darf, entscheiden sich Bildredakteure oft für die gezeichnete Variante. Sie sticht aus den abertausenden Fotos auf den Bildschirmen heraus. ›Jede Kunst, die von Menschenhand erstellt ist, zieht einen automatisch an‹, sagt Rosenberg. ›Leute mögen Handgemachtes.‹ Sie wird von Fernsehen, Zeitungen oder Nachrichtenagenturen beauftragt und betont ihren journalistischen Auftrag: ›Mein Job ist es, die Gefühle anderer Leute einzufangen. Ich muss abbilden, was hier geschieht.‹
Rosenberg sagt, sie liebe ihren Job, aber der Stress und der Druck hätten während ihrer 45 Berufsjahre zugenommen. Auch das Publikum habe sich verändert. Bei Weinstein sei die Hollywood-Klatschpresse gekommen, bei Sean Combs berichteten Influencer den ganzen Tag über live vom Prozess.
Rosenberg hat im Gerichtssaal schon Wutausbrüche und Weinkrämpfe miterlebt, aber auch Leute wie Mark David Chapman, den Mörder von John Lennon, der abwesend und unbeteiligt ins Leere starrte. Berühmtheiten zu zeichnen sei eine anspruchsvolle Aufgabe, sagt die Künstlerin. Nicht zuletzt deshalb, weil ihre Skizzen das öffentliche Bild der Angeklagten prägen. Donald Trump habe ihre Porträts öfters beim Vorbeigehen kommentiert, auch Sean Combs hatte Wünsche an sie: ›Zeichne mich ein bisschen weicher‹, sagte er in einer Mittagspause. ›Du lässt mich wie einen Koala aussehen.‹