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Wie es ist … Soldat in der Ukraine zu sein 

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Fotografie:
Atlantic Ambience
DATUM Ausgabe November 2025

Vor etwas mehr als einem Jahr wurde ich auf dem Weg zur Arbeit von einem Rekrutierungsteam angehalten und in die Armee mobilisiert. Sie brachten mich direkt in ihr Revier. Meine Familie durfte mir noch ein paar Sachen bringen. Ab diesem Moment war mein Leben in ein Davor und Danach geteilt.

Vorher war ich Hoteldirektor. Ein Haus der gehobenen Klasse in den Karpaten mit über hundert Gästen. Jetzt bin ich Soldat in einer Ingenieurseinheit, in der Nähe von Cherson, das ist im Südosten der Ukraine.

Am Anfang kam ich in ein Schulungscamp. Etwa ein Monat Ausbildung, Theorie wie in der Schule – nur hießen die Fächer Waffenkunde, Munitionskunde, Erste Hilfe. Die meisten von uns hatten davor nie eine Waffe in der Hand gehalten. Es folgten Übungen bei Tag und Nacht: körperliches Training, Orientierung, Schießen. Ich hatte jeden Tag Muskel­kater. Mit der Zeit gewöhnte sich mein Körper, und ich fing an zu begreifen, wo ich war. 

Heute besteht meine Hauptaufgabe darin zu ­maskieren, das heißt zu verstecken, was von Wert ist: ­Menschen, Geräte, Fahrzeuge. Wir bauen Unterstände, Tunnel, Verstecke; arbeiten viel mit Tarnnetzen, aber auch mit Schaufeln, Sägen, Hämmern, wie auf einer Baustelle. Die Arbeit ist körperlich, aber auf ihre Art auch kreativ. 

Unsere Zeit ist nicht in Tag und Nacht geteilt, sondern in Einsatz und Rückzug. Eine Schicht dauert oft 24 Stunden oder länger. Wir fahren im Team von vier, fünf Männern bis auf drei Kilometer vor die sogenannte Nulllinie. Das Wichtigste, was wir dabeihaben, ist Wasser und Munition. Hier in Cherson ist nur Steppe weit und breit. Es gibt keinen Tropfen Wasser, nicht mal eine Lacke. Die Munition musste ich noch nicht benutzen, durch meine Spezialisierung war ich bisher noch nicht an der Null­linie. Die Nulllinie ist der ­Bereich, wo Soldaten gegen Soldaten kämpfen.

Im Feld wohnen wir in ­Gruben, die wir mit Baumstämmen befestigen. Ich habe einen Campingkocher, koche mir Kartoffeln oder Nudeln mit Konservenfisch. Manche ­essen nur Trockenrationen, aber das hältst du nicht lange aus. Man muss auf sich auf­passen, um fit zu bleiben.

Bei der Arbeit hört man nur die Explosionen von der Null­linie. Sonst ist es still. Und wenn es still ist, hörst du plötzlich ­jedes Geräusch. Das Schlimmste ist das Surren der Drohnen.  Wenn du sie hörst, weißt du, dass sie auf der Jagd nach deinem Leben sind. Dann flüchten wir in unsere Verstecke. Einmal saß ich mit meinem Kameraden, Sascha, 24 Stunden dort, ohne mich zu rühren. Wir haben die gesamte Zeit geredet – über ­unser altes Leben, über Freiheit und Glück. Sascha war im alten Leben Bauarbeiter. Hier sind seine Fähigkeiten Gold wert.

Wenn wir zurück ins Hinterland fahren, etwa zwanzig ­Kilometer von der Nulllinie ­entfernt, wohnen wir in verlassenen Häusern. Dort gibt es Licht, Wasser, Internet. Man schläft, duscht, isst. Eine Routine, aber ich weiß, dass mein Leben jeden Moment vorbei sein kann. Jeden Tag, wenn ich aufwache, bin ich dankbar, am Leben zu sein.

Ich denke oft an meine Familie. An das Frühstück mit meiner Frau und meinem achtjährigen Sohn, an unsere Wanderungen. Damals habe ich gar nicht verstanden, wie viel Glück im Alltag steckte. Heute bete ich viel. 

Ich stelle mir immer wieder vor, wie es sein wird, wenn der Krieg einmal vorbei ist. Ich werde dann wieder bei null ­anfangen müssen. Meinen Job im Hotel macht inzwischen ­jemand anderer. Aber ich habe Glück, ich kann fast jeden Tag mit meiner Frau und meinem Sohn telefonieren. Das gibt mir Halt. Ich träume davon, nach Kriegsende wieder mit meinem Sohn angeln zu gehen. • 

Vasyl Zaparyniuk (37) ist Soldat in der ukrainischen Armee. Dieses Protokoll schrieb seine Nichte.

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