Wenn Viren Leben retten

Phagentherapie könnte das Mittel gegen antibiotikaresistente Keime sein. Warum müssen westliche Patienten nach Georgien reisen, um sie in Anspruch zu nehmen? Ein Besuch in Tiflis.

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Fotografie:
Nina Strasser
DATUM Ausgabe September 2024

Die Nebenhöhlen sind zu, die Bronchien vereitert, die Lunge blubbert, ein ständiger Husten raubt Schlaf, Kraft und Nerven. ›Ich war mein Leben lang bei Wind und Wetter draußen‹, sagt Kerstin Hilliger. ›Habe mich täglich um drei Ponys und zwei Hunde gekümmert. Viel frische Luft, viel Bewegung. Dass mich ein winziges Bakterium mal so unterkriegt, hätte ich mir niemals träumen lassen.‹ Die 53-jährige Architektin aus Lindwedel in Niedersachsen sieht müde aus. Runde Brille, kurze, braune Haare, schwarzes T-Shirt. Dabei, sagt Hilliger, gehe es ihr heute ganz gut. Vor wenigen Wochen wäre so ein langes Gespräch nicht möglich gewesen, schon gar nicht am Nachmittag. Denn da war die Energie schon alle. Hilliger leidet an massiven Entzündungen der Atemorgane, ausgelöst durch antibiotikaresistente Bakterien, gegen die schulmedizinische Arzneimittel wirkungslos bleiben. 

Dass sie an diesem Tag so lange durchhält, schreibt sie den kleinen Fläschchen zu, aus denen sie zweimal täglich eine Flüssigkeit zu sich nimmt. Und der Inhalationslösung, die sie mehrmals pro Tag verwendet. Das Gegengift: Viren aus dem 2.800 Kilometer entfernten Tiflis, der Hauptstadt Georgiens. Hilliger setzt auf eine Therapieform, die älter ist als Antibiotika und mit bakterienfressenden Viren, sogenannten Bakteriophagen, kurz Phagen, arbeitet. 

Phagen sind die am häufigsten vorkommende Daseinsform der Welt – es existieren etwa zehnmal so viele Phagen wie Bakterien. Menschliches Gewebe greifen sie nicht an. Sie sind Viren, deren Aussehen mit ihrem diamantförmigen Kopf und Spinnenbeinen an Science Fiction erinnern. Auch ihre Strategie hat mit dem Film ›Alien‹ einige Elemente gemein. Die Phagen attackieren Bakterien, indem sie an deren Hülle andocken und ihren Gen-Pool in das Innere der Bakterien injizieren. Die Bakterien werden dadurch ›umprogrammiert‹ und produzieren mehr und mehr Viren – das perfekte Trojanische Pferd. Die so produzierten Phagen bahnen sich schließlich ihren Weg aus dem Bakterium, indem sie dessen Proteinhülle beschädigen. Das Bakterium läuft aus und stirbt. Das Beste daran: Ist das Wirtsbakterium beseitigt, verschwinden auch die Phagen, denen nun die Möglichkeit zur Vermehrung fehlt.

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