› Das Benoten fällt mir schwer ‹

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Fotografie:
Ursula Röck
DATUM Ausgabe Dezember 2020

Name : Gabriele Bogdan, 62

Beruf : Physik-, Englisch- und Chemielehrerin an einer Mittelschule in Wien-Favoriten, Personalvertreterin sowie Mitglied der unabhängigen GewerkschafterInnen 

Was ist an Ihrem Beruf anders, als die meisten Leute denken ?

Die Leute fragen mich oft, ob die Kinder nicht anstrengend sind. Aber so empfinde ich das nicht. Wenn man mit Kindern redet, wie man mit einem Erwachsenen reden würde, dann wird man auch respektvoll behandelt.

Was hat sich seit Ihrem ersten Jahr als Lehrerin am meisten verändert ?

Die technischen Möglichkeiten. Es gibt Computerprogramme, mit denen die Kinder individuell lernen können. Ich habe eine interaktive Tafel, auf der ich aus dem Internet Dinge zeigen kann. Die Schule hat sich vom Frontalunterricht wegentwickelt, hin zu mehr Gruppenarbeiten und individuellem Arbeiten. Als negativ empfinde ich den wachsenden Einfluss von Sozialen Medien. Mobber haben jetzt dadurch viel mehr Möglichkeiten.

Bekommen brave Schüler bessere Noten ?

Ja, wenn jemand stört, dann ist die Mitarbeit nicht so gut. Verhalten hat immer Folgen. Lehrer sind nicht objektiv und Noten schon gar nicht. Sie sind oft nicht einmal in der gleichen Schule gleich. Deswegen fällt mir das Benoten schwer. Ich wäre für verbale Beurteilung. Konkret sagen, welcher Schüler was gut kann. 

Wird das Unterrichten mit zunehmendem Alter leichter oder schwerer ? 

Es wird schwerer, weil man müder und lärmempfindlicher wird. Mit wachsendem Altersabstand entfernt man sich auch von der Lebenswelt der Kinder. Man muss sich schon auf dem Laufenden halten, mit Tiktok und Instagram und anderen Social-Media-Kanälen.

Wie unterscheidet sich der zweite Lockdown vom ersten ?

Im ersten Lockdown konnten nur Schüler in die Schule kommen, deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiteten. Jetzt heißt es, die Schulen sind zu, aber alle können kommen. Bildungsminister Faßmann hat ganze Arbeit geleistet, es kennt sich keiner mehr aus. Derzeit werden etwa 15 Prozent der Schüler in der Schule betreut. Wenn es mehr Schüler werden, wird der Effekt des Schließens der Schulen unterlaufen. 

Wie viel verdienen Sie ?

Ich bin in der höchsten Gehaltsstufe. Brutto verdiene ich rund 4.800 Euro monatlich. Als ich angefangen habe, habe ich brutto 10.219 Schilling verdient (Anm. rund 750 Euro). Gott sei Dank verdienen die Jungen jetzt mehr. Das Problem ist aber, dass viele nur Sonderverträge bekommen, weil sie keine pädagogische Ausbildung haben. Das bedeutet : Abzüge von fünf bis 25 Prozent, je nach Qualifikation.  

Würden Sie Ihren Beruf noch einmal wählen ?

Ja, weil ich immer wieder das Gefühl habe, etwas Sinnvolles zu tun. Etwas, das Menschen weiterbringt. Ich hatte zum Beispiel einmal einen Schüler, der war neu in der Klasse. Seine Eltern waren aus Anatolien und konnten nicht schreiben. Sie haben im Mitteilungsheft immer Kreuzerl gemacht. Nach vier Jahren hat der Bub seinen Abschluss gemacht. Als sein Bruder dann in meine Klasse kam, hat der Ältere für den Jüngeren unterschrieben. •

 

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