2011: Im Namen des Volkes

Er forderte den Galgen, nicht mehr und nicht weniger. Vor fünfzig Jahren klagte Gabriel Bach in Israel den SS-Mann Adolf Eichmann an. Dass er damit ein ganzes Land verändern würde, konnte er damals nur erahnen.

DATUM Ausgabe Juli/August 2024

Gabriel Bach sitzt in Anzug und Krawatte am Tisch des Verhörzimmers und wartet. Draußen hallen Schritte durch den Gang. Bald wird er da sein. Er wird Platz nehmen, die schmalen Lippen schürzen, sich die schwarze Hornbrille zurechtrücken. Gabriel Bach atmet noch einmal tief durch. So muss es sich anfühlen, denkt er sich. Wenn man in einem Zimmer sitzt und auf den Tod wartet. Es ist Ende Mai 1960, und Gabriel Bach dreht den Kopf zur Tür, durch die gerade Adolf Eichmann tritt – Obersturmbannführer der Schutzstaffel (SS) im nationalsozialistischen Deutschland, Leiter der Abteilung für Räumungsangelegenheiten und Reichszentrale für jüdische Auswanderung, kurz Abteilung IV D4, später B4, auch Judenreferat genannt. Unter seiner Aufsicht wurden mehr als sechs Millionen Menschen erschossen, vergast, erhängt oder auf eine andere Weise ermordet. Das Ziel: Alle Juden vom Erdboden zu tilgen.

Hinter der Geschichte

Ich interessierte mich schon damals für Außenpolitik und ging für drei Monate nach Israel, um das Land von innen kennenzulernen. In Jerusalem landete ich bei einem Vortrag von Gabriel Bach, in dem er von seiner Rolle beim Eichmann-Prozess erzählte. Den damaligen 50. Jahrestag des Prozesses nahm ich dann gleich zum Anlass, um Bach noch einmal zum Interview zu treffen. Es fand in seiner Wohnung in Jerusalem statt, die gegenüber des Präsidentenpalasts lag. Obwohl schon über 80 Jahre alt, war es ihm auch beim wahrscheinlich 20.000. Mal noch wichtig, die ganze Geschichte noch einmal zu erzählen. Es langweilte ihn keineswegs, er war noch immer mit voller Leidenschaft dabei. 

Zu DATUM bin ich während meines Studiums gekommen und habe kurz darauf auch für die Zeit geschrieben. Unter Stefan Kaltenbrunner war ich dann bei DATUM zwei Jahre lang leitender Redakteur, bevor ich zur NZZ wechselte. Von dort ging es zum Profil und kurz zu Addendum, danach zur Presse, für die ich jetzt seit bald zwei Jahren Berlin-Korrespondent bin.

Christoph Zotter

Jetzt sitzt dieser Adolf Eichmann gegenüber von Gabriel Bach, dem Juden. In einem israelischen Gefängnis, ein paar Kilometer östlich der Hafenstadt Haifa. Eingesperrt im gerade einmal ein Dutzend Jahre alten Judenstaat. Eskortiert von jüdischen Justizwachebeamten. Gekidnappt von jüdischen Geheimdienstleuten, die ihn ein paar Wochen zuvor in Argentinien aufgespürt haben. Gabriel Bach ist da gerade einmal 34 Jahre alt. Seit ein paar Jahren arbeitet er für die israelische Staatsanwaltschaft. Nun soll er helfen, Adolf Eichmann vor Gericht zu stellen. So will es David Ben-Gurion, der legendäre Staatsgründer und zu dieser Zeit Premierminister. Neun Monate lang wird der junge Anwalt von da an Dokumente sammeln, in Haifa im Hotel schlafen, obwohl seine Frau mit den Kindern in Jerusalem auf ihn wartet. Morgen für Morgen wird er in das Gefängnis fahren, das man für den wichtigsten Gefangenen des Landes leergeräumt hat. Doch zuerst muss er einmal mit ihm sprechen.

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