Anna Jeller, 57 

Eine Buchhändlerin in Wien-Wieden.

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Fotografie:
Florian Rainer
DATUM Ausgabe Dezember 2016

Warum sind Sie Buchhändlerin ­geworden?
Weil mir diese Buchhandlung hier in Wien-Wieden so gefallen hat. Ich war Kundin, und der Ort hat es mir angetan. Es hat ausgesehen wie in einer Kafka-­Verfilmung.

Haben Sie dann eine Ausbildung begonnen?
Nein. Mit meinem BHS-Maturazeugnis hatte ich damals auch die Buchhändlerprüfung. Ich habe den damaligen Inhaber gefragt, ob er mich nimmt. Nach drei Jahren ist er verstorben und ich wurde Geschäftsführerin. Mit 26 habe ich mich selbständig gemacht und die Buchhandlung übernommen.

Worauf sind Sie spezialisiert?
Wir sind Spezialisten für das, was andere Ladenhüter nennen. Bei uns findet man eher Bücher aus der zweiten, dritten Reihe. Es ist sehr selten, dass ein Bestseller bei uns auch ein Bestseller ist.

Was bleibt Ihnen beim Verkauf eines Buches übrig?
Maximal bleiben zehn Prozent Rein­gewinn. Dazu muss man aber sehr auf Zack sein.

Wie viel verdienen Sie damit pro Monat?
Hätte ich einen Lohnzettel, dann würde 1.800 Euro netto draufstehen.

Wie sehr hat Amazon den Buchhandel ­verändert?
Die schlimmsten Auswüchse sind, dass Kunden neben mir stehen, sich etwas von mir empfehlen lassen und gleichzeitig die Amazon-Rezensionen lesen. Das Schönste am Buchhandel ist ja das Beratungsgespräch. Es war früher gang und gäbe, nimmt jedoch stark ab.

Wie gewinnen Sie das Vertrauen der Kunden zurück?
Unsere Stammkunden sind nicht ›Amazon-gefährdet‹. Sie verstehen Einkaufen als politischen Akt. Außerdem kann der Buchhandel genauso schnell liefern wie Amazon: Wenn Sie vormittags etwas bei mir bestellen, ist es morgen da.

Haben Sie selbst schon einmal ein Buch auf Amazon bestellt?
Ja, das ist schon lange her. Ein englischsprachiges Fotobuch über das Meer. Das hatte keiner der Grossisten.

Wie hat sich das Leseverhalten der Kunden in den letzten dreißig Jahren geändert?
Das Buch hat starke Konkurrenz bekom­men. Es gibt viel mehr Medien, die einen ablenken. Gleichzeitig ist dieser Overkill auch gut fürs Buch: Wenn im Fernsehen nur mehr Schrott läuft, kommt man zwangsläufig darauf zurück.

Was hat Sie einst zum Lesen gebracht?
Ich habe gelesen, was mir in die Finger gekommen ist. Ich komme aus einfachen Verhältnissen. Meine Eltern hatten nicht das Geld, den Kindern zu allen Anlässen Bücher zu schenken.

Wie viele Bücher lesen Sie pro Monat?
Das kommt darauf an, wie dick sie sind. Ich lese jeden Abend und am Wochenende – aber vieles nicht zu Ende, weil ich mir schon vor­stellen kann, wie es weitergeht.

Auch E-Books?
Ich lese auf jeder Oberfläche. So flach der Bildschirm ist, so flach ist aber auch das Leseerlebnis. Das rauscht einfach durch. Man merkt sich nichts. Deshalb ist mir das Buch am liebsten.

Welches Buch empfehlen Sie derzeit als Weihnachtsgeschenk?
Den Roman ›Meine geniale Freundin‹ von Elena Ferrante. Und für politisch Interessierte ›Die Rückkehr der Diener. Das neue Bürgertum und sein Personal‹ von Christoph Bartmann, ein Buch über Dienstleistungen und prekäre Be­schäf­tigung.