Auf Schnee gebaut

Der harte Lockdown soll Österreich die Skisaison retten. Denn der Wintertourismus gilt als › too big to fail ‹. Vor allem in Tirol. Wie kam es zu dieser Monokultur in den Köpfen ?

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Illustration:
Alexandra Turban
DATUM Ausgabe Dezember 2020

Tu felix Austria. Im World Hap­piness Report der UNO liegt Österreich auf Rang neun. Und wir teilen gerne unser Glück. 2019 haben internationale Urlaubsgäste den Österreichern pro Kopf 2.291 Euro Einnahmen beschert. Das ist hinter Island, Malta, Zypern und Kroatien Platz zwei in Festland-Europa, weit mehr als bei den Verfolgern Portugal (1.745 €), Griechenland (1.692 €) und Spanien (1.503 €). Das spielt es heuer hier wie dort nicht mehr. Doch das blaue Auge der Sommersaison ist für Österreichs Tourismus nur eine leichte Verletzung gegenüber der Lebensgefahr, die ihm diesen Winter droht. Denn die warme Jahreszeit bringt zwar mehr Nächtigungen, doch die (Kunst-)Schnee-Reisezeit hat einen höheren Anteil an den 30 Milliarden Eu­­ro Gesamtumsatz. Das gilt besonders für Tirol, wo der Tourismus am Brutto­inlandsprodukt mit 17,5 Prozent eine dreimal so hohe Quote wie im Austro-Schnitt hat und der Gast pro Tag im Sommer 144, im Winter aber 185 Euro lässt. 

So ist das › Land im Gebirge ‹, wie es schon vor Jahrhunderten genannt wur­de, reich geworden. Seit 1960 haben sich in Tirol die Übernachtungen zum Zwecke des Skifahrens verzehnfacht. Re­gionalpolitiker brüsten sich seit Jahren mit der vergleichsweise geringsten Verschuldung und niedrigsten Arbeits­lo­sigkeit. Der Wohlstand wiegt in Sicherheit, obwohl er auf Schneekanonen gebaut ist. Wer nach Alternativen ruft, gilt als Nestbeschmutzer. Hier regiert seit jeher der Glaube – auch an das einfach Machbare, durch Fleiß und Menschenhand. Dem hat sich gefälligst auch das Virus zu beugen.

Die Tiroler sind außerdem die glücklichsten Österreicher. Das hat 2017 schon eine Langzeitanalyse des Instituts Meinungsraum.at ergeben. Die Kollegen von Marketmind bestätigten diese Landesposition 2020 mit einer groß angelegten Umfrage, die auch eine bundesweite Reihung der Bezirke ermöglichte. In Führung lag Imst. Die Bekanntgabe dieses Ergebnisses zum Wechsel der Semesterferien zwischen Ost und West wurde in der größten Gemeinde Österreichs mit ganz besonderer Zustimmung registriert : Sölden im Ötztal, 468 Quadratkilometer, 3.000 Einwohner. Und am Ende des Februars waren sie dort noch glücklicher als sonst : 500.000 Nächtigungen, ein Rekordmonat für die Rekordgemeinde. Fast ein Fünftel so viel wie im gesamten Vorjahr mit seinen 2,6 Millionen Übernachtungen. 80 Prozent davon liefert der Winter. Er wurde am 17. März jäh beendet : Quarantäne wegen Corona. Kurz nach Ischgl, dem Rivalen im benachbarten Paznauntal, das dann 40 Tage geschlossen bleiben sollte. Am 17. Dezember will es in die nächste Saison. Doch wenn der harte Lockdown nicht wirkt, gehen hier alle Lichter aus. 2019 gab es in Ischgl fast 1.000 Nächtigungen pro Einwohner (1.600), nicht einmal ein Zehntel davon im Sommer.

Sölden und Ischgl sind die Spitzen eines Eisbergs von Wintertourismus, den Tirol mehr verkörpert, als dem Land heute lieb sein kann. Er ist erst seit Mitte der 1990er-Jahre dauerhaft stärker als die Sommersaison. Als 1963 die erste ­Silvretta-Seilbahn in Betrieb ging, brachte der Winter lediglich ein Viertel der Übernachtungen in Tirol. 2019 verzeichneten allein Sölden und Ischgl 4,15 Millionen Übernachtungen – eine Million mehr als das gesamte Burgenland. 

In Tirol wird jeder dritte Euro mit Tourismus verdient. Er sorgt für jeden vierten Vollzeit-Arbeitsplatz. Der Treibstoff für diesen Motor ist die Liebe zum Skifahren. Untersuchungen, dass bereits zwei Drittel der Österreicher diesen angeblichen Volkssport nie ausüben – Tendenz steigend –, gelten hier nicht von ungefähr als unfreundlicher Akt, so zumindest die veröffentlichte Meinung. Die leidenschaftlichen Kämpfe gegen jede Neuerschließung zeigen aber ein vollkommen anderes Bild von Akzeptanz und Ablehnung dessen, was einst Fremdenverkehr hieß. Er polarisiert. Doch eine Abstoßungsreaktion kann sich das › Herz der Alpen ‹ – so sein langlebigster Slogan – nicht leisten. 

1989, zum hundertsten Geburtstag des › Vereins zur Hebung des Fremdenverkehrs in Nordtirol ‹, wurde die ›Tirol Werbung‹ aus dem Amt der Landesregierung herausgelöst und als privatwirtschaftlicher Verein gegründet. Damals hatte der Sommer erst in Ausnahme­jahren weniger Nächtigungen als der Winter. Die Landesräte Wendelin Wein­gartner und Ferdinand Eberle verordneten aber eine jahrelang währende Nachdenkpause zu allfälligen neuen Pistenerschließungen und Aufstiegshilfen. Unterdessen zeigte das erste Plakat-Sujet zur Kampagne › Starkes Land ‹ die Geierwally schwarzweiß in der Felswand. Ein ironisches Zitat alter Sommerfrische-Herrlichkeit. Die Nachdenkpause schuf viel Raum zur öffentlichen Selbstre­flexion über die Lebensader des Landes. 

Schon ein Jahr später präsentierte der ORF, 1991 dann auch die ARD die ersten drei Teile von Felix Mitterers › Piefke-Saga ‹ – eine tragikomische bis bitterböse Satire über das Verhältnis von Deutschen und Österreichern, Touristen und Einhei­mischen im fiktiven Lahnenberg. Der Drehort dafür war Mayrhofen im Zil­lertal, die nach Sölden, Innsbruck und Ischgl nächtigungsstärkste Gemeinde im Land. Die ›Tirol Werbung‹ provozierte unterdessen sogar die eigenen Geldgeber mit einem TV-Spot über die Stationen einer Knödelsuppe von der Küche bis zum Gast – ohne › Bitte ‹ und › Danke ‹. Die sarkastische Mahnung zu Freundlichkeit im Gastgewerbe stieß den Angesprochenen sauer auf. Ihr Ermöglicher Andreas Braun geriet als Chef dieser Landesvermarktung zum Mentor und Guru der widerständigen Kulturszene. Doch die Nachdenkpause endete 1992, die Piefke-Saga 1993 und Brauns Ära 1994. Er ging zu Swarovski und verwirklichte dort mit André Heller die Kristallwelten.

Die aktuelle Krise des Weltkonzerns aus Wattens wirkt prototypisch für ein Land, das zu stark auf ein Standbein setzt. Ohne das durch Corona sensibilisierte Bewusstsein für die Abhängigkeit von China in der Medikamenten-Herstellung wäre wohl auch die Penicillin-Produktion im Tirolerischen Kundl von Sandoz eingestellt worden, dem drittgrößten privatwirtschaftlichen Arbeitgeber nach MPreis und Swarovski. Erst eine gemeinsame Kraftanstrengung von EU, Bund und Land mit 50 Millionen Euro öffentlicher Förderung sorgte dort für ein Umdenken. Allein die Silvretta Seilbahnen investieren ­hingegen 60 Millionen für den Bau einer Therme in Ischgl. Der Aqua Dome im Ötztal verzeichnet schon jährlich 350.000 Besucher. Sein Tourismusverband unter Führung von Sölden hat mit 32 Millionen Euro um ein Drittel mehr Jahresbudget als die ›Tirol Werbung‹. Genug Geld für viel Macht, großen Einfluss und langen Atem. 

Doch dieser Reichtum in den einst armen V-Tälern ist so eng mit der Wintersaison verknüpft wie das Tirol-Logo seit 1989 mit Österreichs Skiteam. Neben dem Alpenverein (ÖAV) hat der Skiverband (ÖSV) als einzige österreichische Massenorganisation seine Zentrale in Innsbruck statt Wien. Diese nahe dem Fußballstadion und der Eishalle gegenüberliegenden Stammsitze wirken geradezu konstitutiv für das Selbstverständnis des Bundeslandes. Ihre Präsidenten, der Unternehmer Peter Schröcksnadel und der Rechtsanwalt Andreas Ermacora, verkörpern auch die Bandbreite des zwiespältigen Verhältnisses der Tiroler zum Brettl-Spaß. Während der ÖSV-Chef mit seinen Firmen etliche Seilbahnen betreibt, stemmt sein ÖAV-Gegenüber sich gegen einen Wettlauf um immer mehr Pistenkilometer, ständig größere Skigebiete, Zusammenschlüsse und Erweiterungen, die Neuerschließungen gleichkommen.

Der Alpenverein fordert einen Erschließungsstopp für unerschlossene Geländekammern sowie einen umfassenden Gletscherschutz. Die Ötz- und Pitztaler hingegen hätten zur Fusion ihrer beiden Gletscherskigebiete angeblich auch einen Gipfel weggesprengt. Der entpuppte sich dann zwar bloß als kleine Spitze eines Grates, doch 70 Prozent der Bevölkerung wollen das alles nicht – so ergab eine Umfrage im Auftrag der Tiroler Tageszeitung zum Jahres­wechsel. Die Stadt-Land-Kluft wird hier verstärkt durch immer neue Konflikte von Naturschützern und Touristikern. 

2017 wurden weitere Olympische Win­terspiele nach 1964 und 1976 schon zum dritten Mal per Volksbefragung abgelehnt. In Ischgl waren 83 Prozent dafür. Zwar selbst nicht als Austragungsort im Gespräch, hätte das gut in seine Marketingstrategie gepasst : Es wollte schon vor Corona nicht mehr als Ballermann der Alpen gelten und rühmt sich der höchsten Nobelhotel- und Haubenlokal-Dichte. Die damit konkurrierende Hahnenkamm-Berühmtheit Kitzbühel jedoch, die vom Skifahren schon länger profitiert und wo die Zweitwohnsitzquote bereits 60 Prozent beträgt, hat gegen ein neuerliches Olympia gestimmt. Während die Aufsteiger noch ihren Geschmack verfeinern, sind die Etablierten schon übersättigt. Wo der Tourismus am längsten und stärksten prägt, hat die Akzeptanz der Bevölkerung den Plafond erreicht. Kitzbühel ist ein Musterbeispiel für die Sorge, bald nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein.

Bei den neureichen Landsleuten im abgelegenen Paznaun hingegen ist die Erinnerung an eine Armut noch wach, die dort die Bergbauern bis vor hundert Jahren ihre Kinder nach Schwaben zur Arbeit auf Wanderung schicken ließ. Die Härte dieser Vergangenheit prägt den Menschenschlag bis heute. Sie ist eine Ursache des touristischen Welterfolgs von Ischgl als alpinem Ibiza, und von Tirol › so nah, so fern ‹, wie es eine weitere Kampagne bewarb. Nicht einmal 15 Prozent des Landes sind nutzbarer Dauersiedlungsraum. Bis 1967 hatte Tirol weniger Einwohner als Kärnten : Heute leben hier um 200.000 Menschen mehr – 760.000. Das sind nur 8,5 Prozent der Gesamtbevölkerung, doch das Land verbucht 50 Millionen, ein Drittel der jährlichen Nächtigungen in Österreich für sich.

Man hat und pflegt in Tirol gute bis spendable Kontakte zur türkisen wie zur schwarzen Volkspartei, in Bund und Land, zum Beispiel über die Tiroler Adlerrunde.  Zu ihr gehört auch der Kitzbüheler Christian Harisch, der  bereits am 18. Oktober bei der ORF-Diskussion › Im Zentrum ‹ einen raschen Lockdown mit dem Argument gefordert hatte, den November zu opfern, um die Wintersaison zu retten. Auf der anderen Seite ist Franz Hörl, der Obmann des Fachverbandes der Österreichischen Seilbahnen und des Tiroler Wirtschaftsbundes, auch Vize der Wirtschaftskammer. Ihr Präsident Christoph Walser gilt als aussichtsreichster Nachfolgekandidat von Landeshauptmann Günther Platter. Der Vater des Transportunternehmers Walser stammt aus Ischgl. Eine ähnliche Favoritenstellung hinter Wendelin Weingartner hatte einst Ernst Schöpf, der mit 25 Jahren der jüngste Bürgermeister Österreichs war und immer noch in dieser Funktion ist – im Gemeindeamt von Sölden. Statt seiner war überraschend Platter in die Landesregierung gekommen. Die innere Logik der ÖVP ist so unergründlich wie die Abhängigkeit der Partei von den Touristikern offensichtlich. Wenn der Bauernbund als die wahre Macht im Land gilt, obwohl es › mehr Schwule als Bauern in Tirol ‹ gibt (so formulierte es einst die LIF-Abgeordnete Maria Schaffenrath), ist das ein Zerrbild. Aus den einst kleinen Landwirten sind große Seilbahner und Hoteliers geworden. Der Bauern- hat schon längst den Wirtschaftsbund gekapert.

In dieser Gesamtkonstellation ist Investition alles und sind Fantasie und Kreativität weniger, als sie es einst waren. Die Marke Tirol ist fast unentrinnbar mit Skifahren verknüpft. Diese Meisterleistung des Marketings bewirkt eine Monokultur in den Köpfen. Bei jeder Ski-­Weltmeisterschaft seit 2001 steht ein ›TirolBerg‹ als Treffpunkt für Vertreter von Tourismus, Medien und Sport; 2014 bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi noch getoppt vom ›Austria Tirol House‹. Wladimir Putin kam auch auf Besuch – zu seinem Freund Karl Schranz. Doch 2021 bei der Ski-WM in Cortina d’Ampezzo könnte es einsam werden. Wenn kein Publikum an die Pisten kommt, kann es auch kein gepflegtes Après-Sport am ›TirolBerg‹ geben. 

Die Abkehr von der weniger herzeigbaren Variante des Après-Ski wirkt allerdings so illusorisch wie die Hinwendung zum sanften Tourismus. Das eine ist Massenphänomen, das andere Nischenprodukt. Ischgl/Sölden und Ost­tirol liegen inhaltlich weiter auseinander als Ibiza/Mallorca und Formentera. Ein Henne-Ei-Problem : Erst sorgte das Angebot für Nachfrage, nun bestimmt sie das Offert. Die einzelnen betriebswirtschaftlichen Überlegungen bremsen die gemeinsame Veränderung. 

Wenn das Umfrageinstitut Unique Research noch Mitte Oktober nur neun Prozent der Österreicher ermittelt hat, die ganz sicher in den Skiurlaub fahren wollen, weist dies zugleich auf die falsche Fährte wie die richtige Spur. Tirol ist die alpine Tourismusregion mit dem höchsten Anteil am internationalen Rei­semarkt. Nur acht Prozent der Gäste kommen aus dem In-, mehr als die Hälfte aus Deutschland. Dort treibt jeder Sechste Wintersport. Aber laut einer repräsentativen Umfrage von YouGov will ein Drittel dieser deutschen Win­tersportler diesmal auf den Skiurlaub verzichten. Auch diese Zahlen stammen von Mitte Oktober.

Erst die normative Kraft des faktischen Saisonausfalls wäre ein Turbo für Überlegungen zur grundsätzlichen Veränderung des Angebots. Das aber liegt nicht an einer im Zuge von Corona viel gescholtenen Landespolitik an den Strippen von Touristikern, sondern kommt vom bisher zu guten Geschäft mit dem Herkömmlichen. Die ›Tirol Werbung‹ arbeitete schon vor der Covid-Krise an einer Imagekorrektur weg vom Halligalli hin zum Klimaschutz-Tou­rismus. Sie wurde mit Standortagentur und Agrarmarketing fusioniert – in der Holding › Lebensraum 4.0 ‹. Diese auch institutionell ganzheitliche Betrachtung des Landes, statt einer übermäßig touristischen Perspektive, ist überfällig. Denn der Lebensraum wird für die Tiroler unerschwinglich. Die Mieten und Immobilienpreise in Innsbruck, mit seinen mehr als 30.000 Studenten, sind neben Salzburg die höchsten in Österreich. 

Das Land leidet unter einem wachsenden Graben zwischen Armen und Reichen. Ischgl ist längst vom ersten ins zweite Lager gewachsen. Insbesondere die Städter in Tirol haben mit diesem Lifestyle und den Skipass-Tagespreisen zwischen 50 und 60 Euro immer weniger am Hut. Das Ski-Tourengehen boomt, abseits und auf den Pisten, in Innsbruck auch nachts über die frisch präparierten Hänge der Hausberge. Der Streit mit den Seilbahnbetreibern ist da trotz mühsam erzielter Regelungen pro­grammiert. Er wirkt wie ein Stellvertreter des uneingestandenen Konflikts von Alpenverein und Skiverband, der wohl auch Peter Schröcksnadels angeblich letzte Saison nach 30 Jahren als ÖSV-Präsident begleiten wird. 

Der leidenschaftliche Fliegenfischer hat sich den langsamen Abschied von dieser Position wohl anders vorgestellt. Erst die Pandemie, dann das Debakel : Das österreichische Skiteam wurde beim Weltcup-Auftakt Mitte Oktober durchgereicht. In Sölden. Auf dem Gletscher. Ohne Publikum. Aber bei 20 Millionen TV-Zuschauern und 150 Stunden Sendezeit bringt das einen Werbewert von acht Millionen Euro. Drei Tage ­später kursierten auf Social Media die Bilder vom dichtgedrängten Schlan­ge­stehen vor den Seilbahnen auf den ­Hin­tertuxer und Kaunertaler Gletscher. ­Mission accomplished, image demolished. Doch Branchensprecher Franz Hörl sieht › auch einen positiven Aspekt : Die Menschen lassen sich weder von der österreichischen noch von der deutschen Politik einsperren. ‹ Die Lernkurve verflacht schneller als die Inzidenzrate, hier wie dort. So nah, so fern.

Tiefer unten, wo sie nicht auf den Gletscher ausweichen können, bewahrt unterdessen Hi-Tech zwar noch nicht vor Corona, aber vor grünen Wintern. In der Nachdenkpause samt Ausbaustopp wurde auf Flocken-komm-raus in Schneekanonen investiert. Die Aufrüstung macht sich derart bezahlt, dass sie allzu viele Gedanken an den ­Kli­mawandel verscheucht. Und wo nichts Zusätzliches mehr geht, ist trotzdem noch Neues möglich : Das Tourismusportal Skiresort.at verzeichnet weltweit 112 Achter-Sessellifte in Betrieb oder ­zumindest Planung, 65 davon in Ös­terreich, 42 in Tirol. Sie bringen mit bis zu sechs Metern pro Sekunde mehr als 3.000 Skifahrer pro Stunde nach oben. Ischgl schrammt bereits an der 100.000er-Beförderungszahl pro Stun-
de. Es liegt nur jeweils hundert Autofahrminuten von den Weltmarktführern für solche Aufstiegshilfen in Vorarlberg und Südtirol entfernt. In Wolfurt und Sterzing haben sich Doppelmayr und Leitner zu Unternehmen na­­he der Milliarden-Umsatzmarke gemausert. Doch weil der Widerstand ­gegen den Skitourismus wächst, suchen sie auch neue Geschäftsfelder. Die Stadtseilbahnen sind ein naheliegendes, Leitner baut jetzt auch Windräder. In Westösterreich steht noch keines. Für ein in Innsbruck präsentiertes Energieautonomie-Konzept wurden zwar 15 ein­gerechnet, doch die Studienautoren gestehen das fehlende Bekenntnis der Poli­tiker dazu ein, die sagen, dass die Be­völkerung nicht dahinterstehe. Don Quijote hätte seine Freude mit solch einem Kampf gegen Windmühlen. 

Der Jahrestag des Reports zum The­ma Glück liegt 2021 auch am Wechsel der Semesterferien zwischen Ost und West, wenn in Cortina die Ski-WM beginnt. In Tirol setzen manche Touristiker bereits auf Plan B – die Restsaison ab Februar. Die meisten hoffen allerdings bis zuletzt, dass nicht sein kann, was nicht sein darf : eine Nachdenkpause. Oder gar : ein Anfang vom Ende. •

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