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Ausbildung

Seit 2004 bilden wir Journalistinnen und Journalisten von morgen aus. Was sie und wir dabei lernen.

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Illustration:
Christoph Abbrederis
DATUM Ausgabe Juli/August 2019

Wir trugen längere Haare und unsere Attitüde vor uns her: Einige von uns, die wir heute Datum ausmachen, standen 2004 gerade am Beginn ihrer Ausbildung an der Journalismus-Fachhochschule Wien. Im Studium war viel die Rede von ›der Zukunft der Medien‹. In dieser, so lehrte man uns, würde Journalisten die Aufgabe von ›Gatekeepern‹, also Pförtnern zukommen, die entscheiden, welche Beiträge aus dem World Wide Web in den TV-Nachrichten oder auf Zeitungsseiten erscheinen dürfen. Doch weder unsere Lektoren noch wir konnten ahnen: Die ›Gates‹ würden alle fallen, die Pforten verschwinden. Kein Pförtner könnte heute der Eigendynamik – oder: dem Spin – des sich ständig weiterdrehenden Nachrichtenzyklus Herr werden. 15 Jahre später sind die Mentoren wir, und wöchentlich klopfen junge Autoren bei uns an. Seit 2018 nennen wir sie Datum-Talente. Wir begleiten sie auf ihren ersten Recherchen, beraten sie beim Niederschreiben ihrer Geschichten, spornen sie an. Sie wollen keine Pförtner sein. Sie wollen keine Blogger oder Influencer sein, dazu hätten sie sich nicht an Datum wenden müssen. Sie wollen Journalisten werden. Und für diese – neben Legislative, Judikative und Exekutive – vierte Gewalt im Staat gibt es immer noch ein Berufsethos, aus dem sich ein zeitgemäßes Anforderungsprofil für Einsteiger ableiten lässt. Wenn man das möchte. Wir möchten. Beispielhaft seien hier sieben der Eigenschaften versammelt, die uns bei ­Datum wichtig sind; vollständig ist die Aufzählung freilich nicht.

Konfrontiert mit einer Rechercheidee ist diese redaktionsinterne Frage Pflicht: ›Was ist die Gschicht?‹, also welches Erkenntnisinteresse treibt Autorin oder Autor an – und welche Relevanz hat dieses für die Allgemeinheit? Neugier, selbst Wissbegier sind zweitrangig. Denn vor allem muss ein Journalist wissen, was er oder sie wissen will, und: was er oder sie im Interesse der Öffentlichkeit wissen wollen muss. Etwa, dass eine Opferschutzanwältin für Missbrauchte früher selbst ihre Kinder ohrfeigte. Datum-­Journalisten bemühen sich zu erkennen, wo Widersprüche eine glänzende Oberfläche zerkratzen, wo Ungereimtheiten eine vermeintliche Eintracht aufreiben, sie sind fähig, ihr Erkenntnisinteresse zuzuspitzen, ein Faszinosum auszumachen, das einen selbst und potenziell auch andere anzieht, um später damit Leserin und Leser anzufixen. Sonst sucht man beim Recherchieren im Heuhaufen und weiß nicht einmal, ob nach einer Nadel.

Auch deshalb ist es von Vorteil, seine eigenen Fähigkeiten und verfügbaren Ressourcen realistisch einschätzen und verhältnismäßig einsetzen zu können. ›Recherchieren haut dir manchmal die Gschicht zam‹, sagte mir einmal ein dienstalter Tageszeitungsredakteur grinsend. Es kommt eben vor, dass man einer vielversprechenden Spur folgt, die sich nach ersten Gesprächen, beim Nachhaken und Nachlesen verliert oder als unergiebig erweist. Im Monatsmagazin lassen wir solche Ideen verpuffen. Gehen ihnen bereits aufwändigere Recherchen voran, protestieren oft gerade junge Kolleginnen und Kollegen, sie hätten doch jetzt schon so viel Zeit in die Geschichte investiert. Eben: um zu erkennen, dass sie es nicht länger wert ist, das zu tun.

Allerdings gibt es auch den entgegengesetzten Fall: Bestätigen die Rechercheergebnisse Relevanz und Dringlichkeit einer Geschichte, so verlangt sie Check, Re-Check, Double-Check. Denn einer Quelle alleine ist nicht zu trauen. Datum-Journalisten arbeiten sorgfältig und lesen ihre Texte durch, bevor sie sie abgeben – was nicht selbstverständlich ist in digitalen Zeiten, da so gut wie alles Geschriebene nach­träglich verändert werden kann. Sie verfügen über Medien­kompetenz, auch ›Media Literacy‹ genannt, das heißt, sie prüfen das Impressum einer Website zweifelhaften Inhalts oder lassen die Kompetenz eines umstrittenen Wissenschaft­lers von dessen Kolleginnen und Kollegen einschätzen.

›Recherchieren haut dir manchmal die Gschicht zam‹, sagte mir einmal ein dienstalter Tageszeitungsredakteur grinsend.

Überhaupt: Cui bono?, ›wer zieht [aus etwas] einen Vor­teil?‹, ist eine für den Journalismus ungemein wichtige Wendung aus der Rechtssprache, die Interessen und Motive anderer zu erkennen. Die FPÖ etwa benutzte diese Frage, um nach dem Ibiza-Video von sich selbst abzulenken: Wem kam das Video denn gelegen? Es braucht strategisches Denken, Wissen um politische Mechanismen und gute Kontakte, um mögliche Antworten auf Fragen wie diese zu erahnen. Das Sensorium dafür, mit welchen Interessen sie oder er es zu tun hat, was wem wie nützt und wie man diese Begehrlichkeiten auch für die eigene Recherche (keinesfalls aber für sich persönlich!) nutzt, entwickelt sich bei guten Beobachtern. Die lassen sich dann in der Regel auch nicht korrumpieren oder instrumentalisieren.

Ihnen, den guten Beobachtern, fällt es außerdem nicht schwer, einem Rat vieler Schreibtrainer zu folgen: Show, don’t tell. Eine Journalistin könnte über sich selbst etwa einfach schreiben: ›Ich bin social-media-süchtig.‹ Oder sie macht es wie Franziska Tschinderle (in Datum 2/2018): 

›Zu Silvester, zum Beispiel. Mein Bier schmeckte abgestanden. Irgendjemand hatte einen Witz gemacht, alle lachten, ich weiß nicht worüber. Wir sind endlich auf der verschneiten Skihütte auf eintausendfünfhundert Höhenmetern, auf der meine Freunde und ich schon immer Neujahr verbringen wollten. Während ich in meiner virtuellen Parallelwelt versunken war, Bilder auf Facebook gepostet, Likes empfangen habe, ist die Party weitergegangen. Ich war da und war nicht da.‹

Diese Stilregel scheint uns übrigens nicht nur passend für den schriftlichen Ausdruck, sondern auch den Auftritt manches Nachwuchsjournalisten: Einer motivierten Selbst­präsentation beim ersten Treffen folgt nämlich manchmal – nichts. Schade, denn wir bei Datum mögen Authentizität und verstehen darunter die Eigenschaft, dass jemand seine oder ihre Ankündigungen und Versprechen hält.

Wir versuchen das auch zu tun. Etwa bei dem, was wir ›Textarbeit‹ nennen. Writing is re-writing, lautet ein Grund­satz der angelsächsischen Schreibtradition, Schreiben heißt also immer wieder Um-Schreiben – selbst wenn man als Autorin oder Autor geglaubt hat, den Artikel bereits auf Punkt und Strich geschliffen zu haben. Entwürfe werden bei Datum gelesen, gelesen, gelesen, und zwar von Textchef, Chefin vom Dienst, Chefredakteur und Lektor, was den werdenden Journalisten immer wieder neue Überarbeitungen beschert, auch: seine oder ihre Kritikfähigkeit herausfordert. ›Wie wurde die Prognose erstellt?‹ kommentieren wir etwa im Text erwähnte Fluggastdaten für 2037, oder: ›Das brauchen wir präziser!‹, wenn eine Protagonistin sich über ein zu niedriges Gehalt beschwert, ihren Gehaltszettel aber nie hergezeigt hat. Dazu kommt das Hinter­fragen der Erzählstruktur, das gemeinsame Überlegen, ob alle relevanten Quellen einbezogen wurden, das Feilen an Sprache und Stil. Einen 25.000 Zeichen langen Text ausführlich kommentiert zurückzuerhalten, das haben viele in Praktikum oder Studium noch nicht erlebt und staunen. Auch darüber, dass wir auf konstruktive Kritik setzen – also das Beste für den Artikel herausholen wollen, ohne dabei persönlich zu werden.

Diese Unvoreingenommenheit dem schreibenden Kollegen gegenüber entspricht einem weiteren journalistischen Prinzip, als Formulierung ebenfalls der Juristerei entlehnt: Audiatur et altera pars, die andere Seite ist ebenfalls anzuhören. Denn ohne Widerrede ist jede Geschichte unglaubwürdig. Diese Praxis verlangt Journalistinnen oder Journalisten Offenheit ab: Sie konfrontieren Verantwortliche mit Vorwürfen, damit diese Gelegenheit haben, sich zu recht­fertigen. Wie erklärt etwa das Gesundheitsministerium, dass es so wenig Psychotherapieplätze auf Krankenschein gibt? Im seriösen Journalismus müssen immer beide Konfliktparteien Gelegenheit haben, ihre Version der Geschichte darzustellen. Wer die plausibleren Argumente hat, können Leserin und Leser dann selbst entscheiden.

Als Datum-Kollektiv versuchen auch wir, offen zu bleiben: für die Menschen, die beherzt bei uns anklopfen. Jungjournalisten haben oft gute Gründe, etwas anders anzugehen oder auszudrücken als wir. Sie üben Kritik und regen uns auf – und damit zur Selbstreflexion an. Sie bringen Themen mit, die uns völlig neu sind, arbeiten beim Roten Kreuz oder in einer Werbeagentur, kommen aus Norddeutschland oder Südtirol, Sankt Pölten oder dem Pinzgau, haben Freundinnen, die zum Islam konvertieren, oder Onkel, die völlig offline leben. Sie bringen persönliche Geschichten ein, deren Kern wir gemeinsam plötzlich als gesellschaftspolitisch relevant erkennen. Sie bereichern Datum, sind eine Quelle der Innovation und Inspiration. Dafür wollen wir ihnen danken. Denn ohne sie träten wir auf der Stelle. •