Brillante Männer 

Wenn brillante Männer Brillanz nur in anderen brillanten Männern erkennen.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Juni 2025

Vermutlich ist es eine Unart, Erwartungen an sein Umfeld zu stellen. Auch an ein Umfeld, das für seine Denke gesellschaftlich anerkannt ist, auf Podien eingeladen wird, in Feuilletons seine Sicht artikulieren darf und mit seinem ganzen Sein Einfluss auf die Überreste einer Welt hat, in der Dinge wie Diskurshoheit und Kanon noch eine Rolle spielen.

Vermutlich ist es unglaublich klassistisch. Warum sollte ich an eine Uniprofessorin höhere intellektuelle Erwartungen stellen als an einen Kellner? Und trotz ­aller moralischer Selbstgeißelung tue ich es, weil doch all die Zeit der beruflichen und bezahlten Reflektion für irgendwas gut gewesen sein muss, oder? 

Nicht unbedingt. Neulich durfte ich ein Gespräch zwischen zwei Bekannten, einem Politikwissenschaftler und einem Philosophieprofessor, mitverfolgen. Beide renommierte Experten ihres Faches. Es war ein freundliches Geplänkel über öffentliche Auftritte, amerikanische Literatur und Nahostpolitik. Irgendwann fiel mir auf, wie bewundernd und anerkennend über die Männer gesprochen wurde. Steinbeck, Hemingway, Faulkner. All die großen US-Literaten, jene, die, weil sie aus dem ›Heartland‹, dem inneren, dem ruralen Teil des Landes kamen, das echte Leben verstanden hatten und deswegen wiedergeben konnten. Nicht so diese wohlstandsverwahrlosten Urbaniten. Die hätten keine Ahnung vom echten Leben, sagten sie, während sie an ihrem Espresso in Wiens teuerster Straße nippten. 

Danach wurde über Veranstaltungen gesprochen, in denen die teilnehmenden Publizistinnen mit ihren pathetischen Wortspenden den Diskurs verflacht hätten und blöderweise so den Beat vorgaben, an den man sich selbst irgendwann ungewollt angepasst hatte.

Nach 20 Minuten aktiven Zuhörens lachte ich laut auf und wies sie höflich darauf hin, dass sie im ­gesamten bisherigen Gespräch nur von Männern ­geschwärmt und die wenigen erwähnten Frauen unmöglich bis lächerlich gefunden hätten. Sei ihnen das aufgefallen? Männern ihres Kalibers müsse das doch auffallen? Das war doch sicher nur ein Ver­sehen, so plump könne man 2025 doch gar nicht mehr sein, oder? 

Oh doch.

Ihr Wohlwollen mir gegenüber erlosch in diesem Moment. Und ich sah sie in ihrem Blick, die Verachtung für eine aus ihrer Perspektive junge Frau, die, statt auf die Brillanz des Gesagten zu achten, auf das Einzige achtet, das sie offenbar zu verstehen imstande ist: die verdammte Quote. Wie eine Buchhalterin, beschämend. Sie schüttelten wütend den Kopf und meinten sehr streng, hätten sie über Totalitarismus gesprochen, wäre natürlich der Name Hannah Arendt gefallen. Ah, gut, die eine Frau, die einem in diesen Diskursen pflichtbewusst voller Respekt doch noch einfällt. Die eine Frau, die den Kanon aufmischen darf.

Ich lachte innerlich weiter. In diesem Moment verlor ich den Respekt vor diesen Männern, deren Expertise in ihrem Fach ich doch bis dahin noch geschätzt hatte. Wenn banalste Minimalreflektion unmöglich ist, wie tief schürfen sie dann wirklich in ihren Fachgebieten? Wie ernstzunehmend sind Intellektuelle, die noch nicht einmal begreifen, wie eng sie mit ihren Scheuklappen den Diskurs abstecken und den Kanon homogenisieren? Gelangweilt verabschiedete ich mich von diesen brillanten Männern, die gerne edlen Espresso trinken  und das echte Leben im Ruralen auf ein Podest heben, ohne sich der Widersprüche des Gefeierten und Gelebten bewusst zu sein. Ich hoffte, dass sie trotz ihrer Brillanz und jener, die sie vor allem ihren Geschlechtsgenossen attestierten, auch in Zukunft immer öfter gezwungen sein würden, sich einem anderen Beat zu unterwerfen. •

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