Die Stagnation frisst ihre Kinder
Warum die Kür des ORF-Generaldirektors Österreichs wichtigste Wahl des Jahres ist.
Facebook kooperiert schon mit deutschen Zeitungen, Google verhandelt mit österreichischen. Benko will noch mehr von Krone und Kurier. Berlusconi greift nach ATV und Puls 4. Mateschitz rüstet Servus TV auf, Fellner baut sein Radio aus. Doch beharrlich Schlagzeilen erzeugt lediglich das Orakel : Wer wird der nächste Chef des ORF? Das ist zwar das richtige Medienthema, aber die falsche Herangehensweise. Die Frage gilt zu selten dem Programm und zu häufig der Person. Auch das ist Medienlogik. Doch sie birgt eine Gefahr nach dem Motto : › Die Stagnation frisst ihre Kinder. ‹ Denn auf dem Prüfstand steht neben der Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Qualität der Demokratie.
Der Multimediariese steht vor einer existenzgefährdenden Trias an inhaltlicher, wirtschaftlicher und technologischer Infragestellung. Gleichauf mit vielen vergleichbaren Institutionen in Europa. Doch als trimedialer Marktführer (Fernsehen, Radio, Internet) trotz des zehnfach übermächtigen deutschsprachigen Nachbarn verfügt sie über eine dominante Position im öffentlichen Diskurs, für die kaum taugliche Vergleiche zu finden sind. Der ORF ist geradezu konstitutiv für die Zweite Republik. Seine kurz- und mittelfristige Entwicklung wird mitentscheiden, ob dieses Gemeinwesen Bestand haben kann oder insgesamt Neuem weichen muss. Eine derartige Daseinskrise lässt sich nicht durch die bloße Zuspitzung auf ein Ja oder Nein zu weiteren fünf Jahren unter Generaldirektor Alexander Wrabetz bewältigen.
Es ist eine nationale Notwendigkeit, erst die enormen Anforderungen vollständig zu benennen und dann die Personalfrage zu beantworten. Wer die Diskussion als fröhliches Name-Dropping fortführt, handelt fahrlässig gegenüber Österreich. Die unverzichtbare Funktion des Hauses ist zu definieren, bevor die Entscheidung fällt, wer es weiterführen kann. Diese Festlegung muss zumindest als klares Bekenntnis von der türkisgrünen Koalition kommen, die bislang wie ihre Vorgänger-Regierungen das seit einem Jahrzehnt notwendige neue ORF-Gesetz schuldig bleibt. Das wird noch länger dauern, doch zumindest die grundsätzliche Bejahung eines nachrichtlich starken, journalistisch basierten, parteilich unabhängigen, Identität stiftenden, ausreichend finanzierten, digital agierenden öffentlich-rechtlichen Unternehmens braucht es jetzt.
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