Durch die Ritzen des Betriebs
Warum lesen wir (immer noch) Bücher? Diese Frage stand am Anfang des Schwerpunkts dieser Sommerausgabe, und sie durchzieht ihn wie ein roter Faden. Ich könnte Ihnen nun eine schöne Sommerlektüre wünschen und außerdem noch einen kleinen Ausblick auf die übrigen spannenden Geschichten in diesem Heft geben. Aber ich kann nicht über Bücher schreiben, ohne dabei an den Zustand der zeitgenössischen österreichischen Literatur zu denken.
Und dieser Zustand ist leider miserabel. Das zeigt sich nicht nur daran, dass außer Thomas Brezina kaum ein österreichischer Autor komfortabel von seinen Werken leben kann. Es hat auch mit dem Stellenwert der Literatur in unserer Gesellschaft zu tun. Die Zeiten, in denen Autoren wie Ingeborg Bachmann, Wolfgang Bauer oder Thomas Bernhard nicht nur von einem breiten Publikum gelesen, sondern auch als intellektuelle Impulsgeber wahrgenommen wurden, die gesellschaftliche Debatten anstoßen und prägen konnten, sind vorbei.
›Die Spezialisten, die Experten mehren sich. Die Denker bleiben aus‹, schrieb die Bachmann einst in ihren Frankfurter Poetikvorlesungen – und konnte noch gar nicht wissen, wie recht sie damit behalten würde. Wo die Literatur aber nicht mehr wirklich relevant ist, ihre Form niemanden mehr auf- oder anregt, dort wird sie zum Ornament, zum beliebigen Zweig der Kulturindustrie.
Österreich leistet sich eine gar nicht schlecht dotierte Literaturförderung, um genau das zu verhindern. Nur leider sind die Kriterien dieser Förderung auf alles andere ausgerichtet als darauf, Autoren hervorzubringen, die tatsächlich anders, neu und aufregend schreiben. Vom staatlich geförderten Literaturbetrieb wird belohnt, was thematisch berechenbar und am Median des gesellschaftspolitisch Opportunen angesiedelt ist. Die Repräsentation des Erwünschten ist entschieden wichtiger als ästhetische Kraft. Die publizierte Literatur aber wird dadurch nicht diverser, sie wird gleichförmiger und langweiliger – was sie wiederum weiter vom korrigierenden Blick der Öffentlichkeit entfernt.
Das alles zementiert die Macht jener kleinen Clique gut vernetzter Kulturbetriebsprofis, die sich in den diversen Förder- und Literaturpreis-Beiräten seit Jahrzehnten die Klinke in die Hand geben, ohne je öffentlich Rechenschaft über ihr Wirken abzulegen. So ist die österreichische Literaturförderung längst zur Manifestation eines Wortes Heiner Müllers geworden, nach dem Kulturpolitik dazu da ist, Ereignisse zu verhindern.
Ich gestehe, ich schreibe Ihnen dies als Komplize: als Autor nämlich, der gelernt hat, jene Ideen zu priorisieren, die durch das Nadelöhr des Fördersystems passen – die anderen, vielleicht besseren aber wenn möglich für sich zu behalten.
Und trotz allem: Ich glaube an die verändernde Kraft der Literatur. Die Werke, die justament anders und ungleich belebender sind, sie können wie Unkraut immer unerwartet durch die Ritzen des vermoderten Betriebs sprießen.
Sie sind der Grund, warum ich immer noch Bücher lese. •
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen erholsamen Lesesommer!
Ihr Anatol Vitouch
anatol.vitouch@datum.at