Editorial von Kurator Marc Elsberg
Wenn die Welt untergeht, ziehe ich nach Wien, dort passiert alles immer Jahre später ‹, heißt es in einem altbekannten Spruch.
Als ich vor einigen Monaten das Angebot von DATUM annahm, den Themenschwerpunkt einer Ausgabe zu kuratieren, war mir das Thema schnell klar. Wer meine Romane kennt, weiß, dass sie davon handeln, wie sich Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft durch bestimmte Entwicklungen ändern und Zukunft gestalten. Ob es um die komplexe globale Vernetzung unserer Gesellschaft geht (› Blackout ‹), die Überformung unserer Demokratie durch den Überwachungskapitalismus (› Zero ‹), die neuen Möglichkeiten der Biotechnologie (› Helix ‹) oder revolutionäre Erkenntnisse zum Schaffen von Wohlstand (› Gier ‹).
Dazu führte uns die Pandemie gerade drastisch vor Augen, wie machtlos wir manchen Umständen ausgeliefert sein können (vor allem, wenn man sich nicht anständig vorbereitet).
Der Schwerpunkt sollte also davon handeln, wie Macht Zukunft gestaltet (oder nicht). Und von allem, was dazugehört – von der Ohnmacht über die Selbstermächtigung bis zum Machtwechsel. Und natürlich davon, wie man in Österreich damit umgeht. Im Land der Gemütlichkeit, in dem man Konflikte, wenn überhaupt, sozialpartnerschaftlich austrägt, Visionäre zum Arzt schickt und sich Verweigerer eines Mund-Nasen-Schutzes für todesmutige Freiheitskämpfer halten.
In einer fabelhaft konstruktiven Zusammenarbeit (an dieser Stelle noch einmal Danke an das DATUM-Team, dass ihr mich Nicht-Journalisten da-
bei so unterstützt habt) fanden wir Ideen für sehr subjektive und persönliche Positionen (und konnten viele aktuellen Aspekte, trotz Überlegungen dazu, nicht aufnehmen oder bestenfalls streifen).
Einst Mächtige kommen ebenso zu Wort und berichten aus ihrem Erfahrungsschatz oder werden porträtiert wie solche, die sich gerade (wieder einmal) aufmachen, die Dinge zu verändern.
Als spannendster Punkt für mich kristallisierte sich schließlich aber weniger der Umgang mit Macht heraus, sondern jener mit – Ohnmacht.
So führte bei einigen Personen eine Situation der (vermeintlichen) Ohnmacht zu Initiativen, die sie schließlich selbst ermächtigten oder gar in offizielle Machtpositionen brachten. Berührende und inspirierende Beispiele.
Anders beim buchstäblich brennendsten Thema unserer Zeit – der Klimakatastrophe. Ob man die Ansichten und Forderungen im Text einer jungen Klimaaktivistin teilt oder nicht – er vermittelt eindringlich das Gefühl der Ohnmacht, das einige inzwischen in der Sache empfinden. Konsequenz : ›Vor drei Jahren begann ich mich für Klimagerechtigkeit zu interessieren. Jetzt möchte ich mich verhaften lassen, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen.‹
Radikale Töne, die man bisher nur aus London oder anderen fernen Orten kannte.
Jetzt auch bei uns.
Nicht einmal mehr in Österreich kann man sich gemütlich vor der Zukunft verstecken. •
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