Editorial von Kuratorin Madeleine Alizadeh
Ja, darf ich denn das?
Vor allem auf Social Media erleben wir heute eine enorme politische und kulturelle Umwälzung. Verbraucherinnen und Verbraucher wollen nicht nur Brands, die ihnen vergewissern, dass die angebotenen Produkte ethisch und ökologisch wertvoll hergestellt worden sind, sie wollen auch Marken, die Vertreterinnen einer aktivistischen Bewegung sind.
Als Unternehmerin und öffentliche Person werde ich täglich damit konfrontiert, Selbstdarstellung und Introspektion abzuwägen, mich zu fragen, wie tatsächlich effektive Wirkung und Wandel auf unternehmerischer und gesellschaftlicher Ebene passieren kann und was davon nur meinem eigenen Ego dient. Die Verlockung ist groß, komplexe Inhalte vermeintlich simpel darzustellen, sich den Jargon auszuborgen, ohne die Struktur zu verstehen. Populistische Rhetorik als Marketingstrategie ist eine Falle, in die viele Unternehmerinnen und Unternehmer tappen.
›Du Heuchlerin ‹ ist eine Beleidigung, die ich seit zehn Jahren, als Influencerin, als Unternehmerin, zu hören bekomme. Ein Wort, das die Integrität einer Person oder einer Unternehmung in Frage stellt. Eine Form der Verachtung, die niemand gerne hört. Radikaler Aktivismus scheint vor allem für Frauen wie mich nicht vereinbar mit Unternehmerinnentum zu sein. Als › moralischen Grenzgang ‹ bezeichnete ein österreichisches Medium zuletzt meine Arbeit nach einem Interview voller Suggestivfragen.
Die Suggestion ist überall und auch nicht verwerflich: Gibt es sowas wie politisches Unternehmertum überhaupt? Darf und kann man Gutes tun und damit gleichzeitig Gewinn erzielen? Ist es moralisch vertretbar, mit › konstruktivem Kapitalismus ‹ Geld zu verdienen? Oder sollten sich Brands lieber raushalten, lieber nicht über Politik reden und wie der Schuster bei seinen Leisten bleiben?
Diese Fragen bleiben für mich nach wie vor Teil meiner Lebensrealität als Unternehmerin, als öffentliche Person. Eine Antwort, die ich dennoch für mich gefunden habe: In meinem Leben bleibt nichts unpolitisch. Als Internet-Persona, als private Person, als Frau, als Tochter eines Iraners, als Arbeitgeberin, als Unternehmerin bin ich politisch. In der Praxis besteht diese politische Komponente oft aus vielen Kompromissen, um im eigenen moralischen Ermessen richtig zu handeln und gleichzeitig einen Lebensunterhalt damit zu finanzieren.
Gerade die Modebranche ist politisch so vergessen, dass Unternehmerinnen wie ich nicht mehr auf regulatorische Änderungen von Seiten der Politik warten wollen. Wir versuchen es anders zu machen, auch wenn wir bei diesem Versuch bestimmt viele Fehler begehen. Doch genau diese Fehler schätze ich in meinem beruflichen Alltag, weil sie mir zeigen, wo wir mehr zuhören, mehr miteinander sprechen und etwas genauer hinsehen sollten. Im Schwerpunkt dieser DATUM-Ausgabe habe ich gemeinsam mit der Redaktion genau das versucht: genauer hinsehen, wie es um ethisches Unternehmertum heute steht. •
Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre !
Ihre Madeleine Alizadeh
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