„Früher obduzierten wir fast jeden Toten“
Name: Renate Kain, 62
Beruf: Pathologin
Frau Kain, aus allen medizinischen Disziplinen haben Sie ausgerechnet die Pathologie gewählt. Warum?
Ich habe einfach schnell gemerkt, dass ich hier gut aufgehoben bin. Im Grunde untersuchen und befunden wir als Pathologen jeden Tag Gewebeproben vor dem Mikroskop. Dabei geht es darum, Erkrankungen wie Krebs zu diagnostizieren und Untersuchungen für Therapieentscheidungen durchzuführen. Ich muss nicht mit Patienten sprechen, kann ihnen aber trotzdem helfen.
Höre ich da heraus, dass Sie die Arbeit mit Patienten nicht sonderlich mögen?
›Mögen‹ ist falsch ausgedrückt, aber kurz gesagt fällt es mir schwer, mit jemandem mit Lungenkarzinom zu kommunizieren, der sein Leben lang ein Packerl am Tag geraucht hat – das birgt für mich eine gewisse Schwierigkeit.
Aber kalt lässt Sie der Beruf auch nicht, oder?
Natürlich nicht. Wenn ich bei einem jungen Mann im Alter meiner Kinder ein wahrscheinlich tödliches Karzinom befunde, nimmt mich das mit. Auf dem Befund eines jeden Patienten steht neben dem Namen auch eine Nummer. Das hilft, um Distanz zu wahren.
Ich dachte, Sie arbeiten mit Toten?
Als ich mit dem Beruf begann, obduzierten wir noch fast jeden Toten. Da hatte ich in den ersten drei Jahren mehr als tausend Leichen vor mir, und das hat etwas in mir verschoben. Ich bin am Wochenende zum Schwimmen auf die Donauinsel gefahren und habe mich gewundert, dass so viele lebende Menschen dort herumwandern. Heute ist das anders. Ich habe kaum Leichen am Tisch, weil wir nicht mehr aus Prinzip, sondern nur noch dann obduzieren, wenn es wirklich nötig ist. Und viele Krankheiten, die vor 40 Jahren mit dem Tod geendet hätten, sind mittlerweile heilbar. Das stimmt optimistisch.
Als Pathologin haben Sie also kaum mit Toten zu tun?
Nein, in erster Linie befunde ich Gewebeproben. Pathologen sind keine Leichenaufschneider, diese Vorstellung ist völlig veraltet. Medien und ein paar Kollegen halten dieses Vorurteil aber hartnäckig am Leben. Das macht mich wütend, weil die meisten Menschen denken, wenn sie mit der Pathologie in Berührung kommen, sterben sie, dabei retten wir mit unserer Arbeit Leben.
Werden Sie dafür auch angemessen bezahlt?
Absolut. Ich bin eine Beamtin und komme damit auf circa 8.600 Euro brutto. Als junger Pathologe steigt man aktuell bei circa 5.400 brutto ein. Da kommen aber noch Zulagen für Nachtdienste und so weiter dazu.
Was müssen Sie als Pathologin gut können?
Ein Kollege sagte einmal, Pathologie sei nicht schwer, sondern viel. Wir müssen unglaublich viele Krankheiten kennen. Eine gewisse Begeisterungsfähigkeit für Technologien und den menschlichen Körper brauchen wir auch.
Wie verändert die zunehmende Technologisierung denn Ihre Arbeit?
Auf viele Weisen. Wir können zum Beispiel heute nicht mehr nur den Tumortyp bestimmen, sondern auch voraussagen, ob und wie ein Tumor auf eine Therapie anspricht. Diese Fortschritte haben unsere Arbeit revolutioniert.
Arbeiten Sie auch schon mit Künstlicher Intelligenz?
Wir experimentieren mit KI in der Diagnostik. Sie kann Gewebeproben – vereinfacht gesagt – scannen und erkennen, ob ein Tumor vorliegt oder nicht. KI ist also eine Unterstützung, aber es dauert noch, bis sie zuverlässig genug ist.
Und wie gehen Sie als Pathologin selbst mit dem Tod um?
Ich sehe den Tod als Pathologin nicht anders als andere Menschen. Er ist Teil des Lebens. Als ich jünger war, hatte ich Angst. Heute ist der Tod für mich eher ein natürlicher Abschluss, dem ich jetzt nicht mehr nur während der Arbeit, sondern auch privat öfter begegne. •
Zahlen und Daten
Insgesamt arbeiten in Österreich etwas mehr als 400 Pathologen. Der Anteil jener, die zwischen 56 und 65 Jahre alt sind, ist dabei am höchsten. Es fehlt an Nachwuchs.
Quelle: Österreichische Ärztekammer
Jährlich erkranken in Österreich etwa 44.000 Menschen an Krebs. Die Diagnose stellt dabei so gut wie immer ein Pathologe. Die Zahl der Krebsneuerkrankungen wird in den kommenden Jahren aufgrund des steigenden Anteils älterer Menschen weiter zunehmen. Krebs ist die zweithäufigste Todesursache in Österreich.
Quelle: Krebsreport 2023