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Genug von ›Thoughts and Prayers‹

Wie angemessene Bildberichterstattung zu Amokläufen aussehen sollte.

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Fotografie:
Nuri Vallbona_Reuters_picturedesk.com
DATUM Ausgabe Juli/August 2022

Bei einem Amoklauf in der texanischen Kleinstadt Uvalde wurden Ende Mai 19 ­Kinder und zwei Lehrerinnen erschossen, nachdem ein 18-Jähriger mit einem Sturmgewehr in eine ­Volksschule eingedrungen war. Die schreckliche Tat hat erneut eine Debatte über strengere ­Waffengesetze in den USA ausgelöst, wo Schusswaffenattentate zu einem regelmäßigen Bestandteil der Medien­berichterstattung geworden sind. Nachrichtenmedien spielen eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung solcher Ereignisse. Die Bildberichterstattung über Amokläufe erweist sich allerdings als Herausforderung. Eine Frage lautet, wie das Ereignis dargestellt werden kann, ohne durch Ansteckungseffekte potenzielle Nachahmungstäter zu schaffen. Eine weitere Gefahr liegt im Umstand, dass drastische Bilder bei ­Überlebenden, Zeugen oder Reportern ­post­traumatischen Stress auslösen können. Sie werden tendenziell vermieden.

Was bekommen wir also zu sehen, wenn ein Amoklauf stattgefunden hat? Die mediale Bildsprache beschränkt sich auf ein überschaubares Repertoire an Motiven. Dazu gehören der Tatort mit Einsatz- oder Sicherheitskräften, Trauer- und Solidaritätsbekundungen der Bevölkerung oder die Errichtung provisorischer Gedenkstätten mit Kerzen, Botschaften und Kuscheltieren. Einige Medien zeigen Fotos des Amokläufers und berichten über seinen biografischen Hintergrund. In den letzten Jahren ist es zunehmend üblich ­geworden, das Gedenken an die Opfer in den Mittelpunkt zu stellen. So titelte beispielsweise die New York Times am 26. Mai mit deren Porträts und der Überschrift ›Faces of a Town’s Over­whelming Loss‹.

In der texanischen Kleinstadt – so wird be­richtet – herrsche ein enger Zusammenhalt der Bevölkerung. Dieser Zusammenhalt wird auch im obigen Bild durch das Trauerritual und Gebet von vier Männern zum Ausdruck gebracht. Es wirkt wie eine visuelle Umsetzung der Floskel ›Thoughts and Prayers‹, die bei Amokläufen und Anschlägen unvermeidlich scheint. Die Bildauswahl verlagert den Fokus auf den Umgang mit dem Ereignis. Der überwältigende Verlust selbst kann nicht abgebildet werden. 

In der Gleichförmigkeit und Austauschbarkeit der Medienbilder zum Amoklauf scheint es an starken Referenzbildern zu fehlen, die die ­Erinnerung an das Ereignis prägen könnten.
Bei einem emotionalen Appell im Weißen Haus wies der aus Uvalde stammende Schauspieler Matthew McConaughey auf ein Paar grüner ­Converse-Turnschuhe hin, die ein Schulmädchen getragen hatte, das dem Amoklauf zum Opfer ­gefallen war. Der Körper des Kindes wurde bei dem Anschlag so stark entstellt, dass es nur anhand seiner Schuhe identifiziert werden konnte.

Die grünen Schuhe – auf einem ist ein Herz aufgemalt – sind mittlerweile zu einem Symbol geworden, das unter anderem auf Transparenten beim ›March for Our Lives‹-Protest für schärfere Waffengesetze in den USA oder als Profilbild von Personen in Sozialen Netzwerken auftauchte, die sich für das Anliegen einsetzen. Es zeigt die Relevanz von Bildern, die das Geschehen symbolisch bündeln und im politischen Protest angeeignet werden können. •