Schenken Sie ein Jahr Lesefreude! Mit dem DATUM-Weihnachtsabo.

Im linken Abseits

Das Ausmaß an verquerer Russland-Sympathie unter ›antiimperialistischen Linken‹ überrascht – und zeigt, wie tief das Denken des Kalten Krieges wurzelt. Nicht nur an den politischen Rändern.

DATUM Ausgabe Juli/August 2022

Mai 2019: Eine ›Österreichische Friedens- und Neutralitätsdelegation‹ hat sich in der selbsternannten ›Volksrepublik Donetsk‹ eingefunden. Die prorussischen Separatisten in der Ostukraine feiern den Sieg der Roten Armee über Nazideutschland und den fünften Jahrestag ihrer ›Unabhängigkeit‹, eine kleine Gruppe Österreicher ist einer offiziellen Einladung ›an alle antifaschistischen Stimmen‹ gefolgt. Auf einem Foto im Netz posieren die Österreicher lächelnd vor den Fahnen der ›Volksrepublik‹. Mit dabei unter anderen: Der steirische KPÖ-Landtagsabgeordnete Werner Murgg, der später wegen seines Besuchs in Belarus Schlagzeilen machte, der linke Journalist und Sozialanthropologe Leo Gabriel und der Autor und Aktivist Wilhelm Langthaler. 

In einem Podcast eines linksalternativen Internet-Radiosenders fabulieren zwei Delegationsteilnehmer später über ihren Besuch im Separatistengebiet: In ›guter linker Tradition‹ habe man sich ein Bild machen wollen davon, ›was dort wirklich los‹ sei – und die österreichische ›Neutralitätsdelegation‹ hat offensichtlich Antworten gefunden: Eine ›Volksrevolte in der Tradition der Arbeiterbewegung‹ habe im Donbass stattgefunden, schließlich leide man in der Ost- und Südukraine am ukrainischen ›Regime‹, das ›an faschistische Traditionen anknüpft‹ und der Bevölkerung dort ›demokratische Rechte versagt‹ – und zudem herrsche in Kiew ein ›ganz harter Ethnonationalismus‹ und ›Kapitalismus‹. Da sei den Menschen gar nichts anderes übrig geblieben, als ›sich an Russland zu wenden‹. Die Maidan-Bewegung, das sei ein ›gewaltsamer Umsturz‹ gewesen, auf den die ›Installation eines Regimes‹ gefolgt sei. Und das stütze sich einerseits auf Oligarchen und andererseits auf ›die ukrainische nationalistische Ideologie‹ sowie auf ›rechtsradikale Milizen in den Straßen‹. Das alles sei ›sehr stark vom Westen mitorganisiert worden‹. Und dann sei da noch die ›konzertierte Aktion der Medien‹, die einzig darauf abziele, ›Russland die alleinige Schuld zu geben‹. Andere Stimmen würden ›mundtot gemacht‹ und ›in ein rechtes Eck gedrängt‹. So traue sich kaum jemand, ›für das Selbstbestimmungsrecht einzutreten‹. 

Wer denkt, das alles seien die verqueren Ansichten einer kleinen Minderheit am Rande des linken Spektrums – ein paar wenige, alternde ›Antiimperialisten‹ – irrt. Relativierungen der russischen Aggression, Verdrehungen der Tatsachen und der historischen Entwicklungen sind in Österreich weit verbreitet – und auch von Sozialdemokraten zu hören. Die SPÖ-Nationalratsabgeordnete Muna Duzdar schrieb in Sozialen Medien von der NATO, die ›seit 20 Jahren ständig in Osteuropa vorrückt‹. Da sei es voraussehbar, dass ›Russland sich das nicht gefallen lassen‹ werde. Andererseits bemühen Sozialdemokraten – wie im Übrigen auch die FPÖ – in diesem Kontext gerne Österreichs Neutralität. Im Streit um die Frage, ob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zum österreichischen Parlament sprechen solle, versteckten sich die Sozial­demokraten hinter dem Verweis auf die Neutralität. 

Tatsächlich finden sich Argumentationen ähnlich jener der ›Neutralitätsdelegation‹ in Donetsk seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine zuhauf unter österreichischen intellektuellen Linken.

›Es gibt keine Alternative zum Krieg‹ – dieser Satz klinge ›zynisch angesichts der Bilder aus Butscha‹ verkündete der renommierte Konfliktforscher Heinz Gärtner von der Universität Wien – er lehrte auch in Stanford und Oxford – in einem Kommentar. Subtext: Die ukrainischen Opfer von Kriegsverbrechen durch russische Soldaten wären quasi die Konsequenz einer angeblichen Pro-Kriegs-Haltung in Europa. 

Für Kopfschütteln sorgte auch der im ukrainischen Odessa geborene Medientheoretiker und Künstler Peter Weibel – er zählt zu den zahlreichen Unterzeichnern des ›offenen Briefes‹ an SPD-Bundes­kanzler Olaf Scholz, die sich gegen Waffenlieferungen stellen – mit Aussagen, wonach die Ukraine ein ›failed state‹ sei. Schuld am Krieg laut Weibel: nicht der Größenwahn und das anachronistische Geschichtsverständnis Putins, sondern das angeblich vom Westen gebrochene Versprechen, die NATO-Osterweiterung zu unterlassen. Weibel bedient, analog zur besagten ›antiimperialistischen‹ Linken, das Narrativ der ›korrupten Elite‹ in der Ukraine: Auch vor dieser, und nicht nur vor dem Krieg, würden die Menschen fliehen, sagt der Künstler. ›An einem bestimmten Punkt‹ würde der Widerstand der Ukraine ›das eigene Land vernichten‹. Kurz gesagt: die Ukraine sei – zusammen mit ›dem Westen‹ – nicht nur selbst schuld an Russlands Krieg, sie möge bitte auch schleunigst die Waffen strecken. Eine Perfidie, die zu Recht für Entsetzen sorgt. 

Die Opfer-Täter-Umkehr, die mehr oder weniger offen in der Argumentation der ›Antiimperialisten‹ auftaucht, ist Ausdruck eines in Zeiten des Kalten Krieges verharrenden Weltbildes: Anders als die USA, deren Agieren kritisiert wird, habe insbesondere Russland auch jetzt noch ein Recht auf Wahrung seiner Dominanz in der ehemaligen Einflusssphäre. Das Recht darauf, selbst auch Interessen zu haben und zu wahren, wird den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten dabei einfach abgesprochen. Polen, Ungarn, die Slowakei und vor allem das Baltikum dürften im Weltbild der ›Antiimperialisten‹ keinen eigenen Willen haben. Um jeden Preis wird der eigentliche Aggressor Russland in Schutz genommen: ›Zu sehr wollte man den im Kalten Krieg errungenen Sieg auskosten‹, ist etwa in der linken Zeitschrift International zu lesen. ›Die Folgen davon können heute die UkrainerInnen ausbaden, wie bereits zuvor Menschen in Jugoslawien und im Kaukasus.‹ Georgien, Tschetschenien, die Frage von Russlands Umgang mit ethnischen Minderheiten in Sibirien, Putins Vorstellung einer ›Russischen Welt‹ – die imperialistische Aggression von und in Russland ist den ›Antiimperialisten‹ keinen Gedanken wert. 

Regelmäßig greifen Szeneproponenten auf Verschwörungsmythen zurück – vor allem, wenn es darum geht, die ­Maidan-Bewegung um 2014 als eigentlichen Auslöser des Krieges darzustellen. Geraune über angebliche ›westliche Agenten‹ oder ›Uniformierte mit erstaunlich guten Englischkenntnissen‹, die am Maidan und schließlich in der Ukraine an sich das Kommando übernommen hätten, wird ebenso bedient wie die von Russland übertriebene Beteiligung des rechtsextremen ›Prawyj Sektor‹ oder der ethnonationalistischen Partei Swoboda. Später hätten ›die Oligarchen‹ und ›der Westen‹ über das Assoziierungsabkommen zwischen EU und Ukraine vor allem die prorussische Bevölkerung im Osten von den angeblich lebenswichtigen Wirtschaftsbeziehungen zu Russland abgeschnitten. Das ›Selbstbestimmungsrecht der Völker‹, das die ›Antiimperialisten‹ für die prorussischen Separatisten im Donbass einfordern – für die Ukraine soll es nicht gelten. 

Derart für verschwörungsideologisches Denken anfällige Russlandfans gehörten in den vergangenen Jahren auch zu jenen versprengten Linken, die sich der Coronaleugner-Szene anschlossen. Die Aktivisten von ›antiimperialista.org‹ hatten im November 2021 kein Problem damit, hinter QAnon-Anhängern, Verschwörungsgläubigen und Rechtsextremen zu marschieren. Der bereits erwähnte Autor Wilhelm Langthaler feierte eine ›regimeoppositionelle Mobilisierung‹ gegen ›autoritäre Maßnahmen‹ der ›politischen Eliten‹. Andernorts kam es zu gemeinsamen Kundgebungen von ›Antiimperialisten‹ mit der verschwörungsideologischen Partei MFG. Hoch im Kurs stehen bei den linken Russlandverstehern Bücher wie ›Zensur‹ des Wiener Verlegers und Historikers Hannes Hofbauer. ›»Gefährliche Falschinformation« lautet die Punze, die monopolartig agierende Konzerne wie Alphabet/Google oder Facebook/Meta all jenen Publikationen und Wortmeldungen auf ihren Plattformen aufdrücken, die dem transatlantisch-liberalen Weltbild ihrer Betreiber nicht passen‹, heißt es dort im Klappentext. Putins Finanzierung der extremen Rechten in Europa, russische Troll-Fabriken, die Falschinformationen im Netz verbreiten – für die ›Antiimperialisten‹ dagegen offenbar kein großes Thema. 

Verständnis für Putin äußerten auch Sozialdemokraten und Grüne, und das schon nach der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion 2014. Eine ›vielfältige Persönlichkeit‹ sei Putin, sagte SPÖ-Parlamentarier und Ex-Vizepräsident der ›Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft‹ Christoph Matznetter damals in einer ATV-Diskussion. Es sei ›falsch, Russland die Urheberschaft des Konflikts zuzuweisen‹, war sich der ehemalige Grüne EU-Parlamentarier Johannes Voggenhuber sicher. Dass Positionen ähnlich jener der ›Antiimperialisten‹ tatsächlich maßgeblich in sozialdemokratische oder grüne Milieus hineinreichen, glaubt der Politikwissenschafter Anton Pelinka nicht. Ein ›stark ausgeprägter Antiamerikanismus in Verbindung mit Antikapitalismus‹ sei zwar traditionell anzutreffen bei Teilen der Linken, teils auch in der Sozialdemokratie: ›Auffällig ist, dass die Frage nach der Demokratiequalität, von der ja sonst so oft die Rede ist, offenbar keine Rolle spielt.‹ Nach einer fairen Wahl habe Wolodymyr Selenskyj das Präsidentenamt errungen – ›In Russland hat noch nie ein Präsident eine Wahl verloren‹, sagt Pelinka: ›Wenn ein Linker für das politische System Russlands irgendwelche Sympathien hat, ist er kein Linker mehr.‹ Manchen Sozialdemokraten hingegen – Pelinka nennt das Beispiel Heinz Fischers – sei vorzuwerfen, erst mit dem russischen Überfall im Februar von ihrem ›Putinversteher-Kurs‹ abgerückt zu sein. Tatsächlich zog sich auch Ex-Kanzler Christian Kern erst nach dem 24. Februar aus seiner Funktion in den russischen Staatsbahnen zurück. Der eindeutige Bruch des Völkerrechts durch Russland 2014 sei ›damals nicht als solcher benannt worden‹, sagt der Politikwissenschaftler. 

Dennoch: Über den medialen Diskurs, über prominente Multiplikatoren erreichen die ›Antiimperialisten‹ und damit die russische Desinformation eine bre­ite Öffentlichkeit – und beklagen nicht selten dennoch die ›immer gleichförmiger berichtenden westlichen Mainstreammedien‹ oder gar ›Zensur‹. Disproportional zu seiner ansonsten verschwindend geringen politischen Bedeutung leistet das Milieu so einen beträchtlichen Beitrag zur Unterstützung der russischen Aggression gegen die Ukraine, ebenso wie zur von Russland seit Jahren vorangetriebenen Destabilisierung der europäischen Demokratien. Ganz im Sinne des alles andere als links orientierten russischen Kriegsherren. •

Sie können die gesamte Ausgabe, in der dieser Artikel erschien, als ePaper kaufen:

Bei Austria-Kiosk kaufen