Krieg befreit niemanden
Über die Weigerung, den Menschen als Fußnote zu sehen.
Jedes Mal, wenn es danach aussah, dass sich Dinge im Iran ändern würden, war diese Hoffnung bemerkbar unter Iranerinnen. Dass sich die Dinge zum Guten verändern werden. Dass ihr jahrzehntelanger Kampf für Demokratie und Freiheit in ihrer Heimat, die seit 1979 Islamische Republik heißt, nun endlich Früchte trägt. Bei jedem Protest, jeder Versammlung, jedem vertraulichen Gespräch ist sie dann da, diese Hoffnung. Bei aller Wut und allem Schmerz sieht man sie in den Gesichtern: Jetzt ist es so weit, der Kampf hat bald ein Ende, jetzt sind wir sie los, jetzt sind wir die Geiselnehmer des Landes, der iranischen Bevölkerung, die Mullahs und die Revolutionsgarden, los.
Nach dem 13. Juni ist diese Hoffnung weg. Sie ist der Angst gewichen, vor dem Krieg, den man seit Jahrzehnten gefürchtet hat. Am 13. Juni hat Israel den Iran angegriffen. Die israelische Regierung sprach von einem ›Präventivschlag‹ und begründete diesen mit dem weit fortgeschrittenen Atomprogramm eines Landes, dessen Machthaber die Vernichtung Israels zur Staatsdoktrin erklärt haben.
Stolz verkündete Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, was alles angegriffen wurde und wer ›entfernt‹ werden konnte, von den Top-Militärs der Revolutionsgarden bis hin zu Atomwissenschaftern. Er betonte, dass Israels Kampf nicht den Menschen im Iran gilt, sondern ›unserem gemeinsamen Feind‹, dem Regime.
Ja, es gibt diesen gemeinsamen Feind. Ein iranisches Regime, das die eigene Bevölkerung seit 46 Jahren unterdrückt, Terrorgruppen finanziert und eine ganze Region destabilisiert. Aber es gibt kein Wir. Ein Wir greift sich nicht an, gefährdet nicht das Leben Unschuldiger, will Städte ›brennen‹ sehen und riskiert mit seinen Angriffen die nukleare Verseuchung einer gesamten Region. Netanjahus ›Wir‹ abzulehnen, bedeutet nicht, das Regime in Teheran zu verteidigen. Den Angriff Israels als das zu bezeichnen, was es ist, eine offene Kriegserklärung, bedeutet nicht, eine Gefährdung der israelischen Bevölkerung gutzuheißen. Diesen Krieg seit Jahren verhindern zu wollen, macht einen nicht zur Handlangerin der Islamischen Republik.
Es ist ein Widerstand gegen den Zynismus, der sich mit der Rehabilitierung des Krieges überall auf der Welt eingeschlichen hat, in dem der Verlust menschlichen Lebens ohne Bedenken in Kauf genommen wird. Es ist die Weigerung, den Menschen als reine Fußnote zu sehen, zu dem ihn extremistische Politiker – ob in Teheran, in Jerusalem oder in Washington, D.C. – erklärt haben. Der gesichtslose Kollateralschaden, der für sie im Namen einer großen Sache zu verkraften ist.
›Tut man den Iranern nicht doch auch einen Gefallen damit, dem Regime den finalen Todesstoß zu versetzen, zu dem all die Protestbewegungen nicht in der Lage waren?‹, werden viele fragen.
Auch, wenn viele im Iran die Tötung hochrangiger Revolutionsgardisten begrüßen, sich ja darüber freuen, einen Krieg wollten sie niemals. Ein Krieg befreit niemanden. Wie soll sich im Bombenhagel eine Demokratiebewegung formieren? Wie in einem Klima der Angst, in dem jeder zum Staatsfeind erklärt wird, der sich gegen den Krieg ausspricht, Protest erheben? Wie soll auf nuklear vergifteter Erde eine Zukunft für die nächsten Generationen entstehen? ›Wir ebnen euch den Weg, damit auch ihr an euer Ziel kommt: Freiheit‹, hat Netanjahu messianisch in einer seiner Ansprachen an die Iraner gesagt. Als würde aus Leichenbergen, Schutt und Asche ein freier Iran entstehen, dessen Bürgerinnen zur Tagesordnung eines nach westlichen Maßstäben genehmen Nationbuilding schreiten werden. Sollten sie das eines Tages tatsächlich – nach ihren eigenen Maßstäben – tun können, dann nicht dank Netanjahus Politik, sondern trotz ihr. •