Lies das!

Zehn Lieblingsbücher der DATUM-Redaktion als verbindliche Empfehlungen für den Lese-Sommer.

DATUM Ausgabe Juli/August 2025

Vor den großen Ferien ist immer viel von Bestenlisten und Neuerscheinungen die Rede, wenn es um Bücher für den Strand, die Berge oder Balkonien geht. ­Bücher und Sommer: Das passt für die meisten Menschen einfach zusammen. Für uns eh auch, aber: Wir wollten es diesmal ein bisschen anders machen. ­Deshalb haben wir unsere Redaktion sowie unsere Kolumnistinnen und ­Kolumnisten gebeten, ihr Lieblingsbuch für Sie kurz und knapp zu beschreiben. Denn ­mindestens ein Lieblingsbuch hat, das be­stätigte diese Umfrage, jeder – und findet erklärtermaßen oder ins­geheim, dass es mehr ­Leserinnen und Leser verdient hätte. In diesem Sinne: Bedienen Sie sich! Und schreiben Sie uns nach dem Sommer gerne, ob ­unsere Lektüre-Empfehlungen ­gehalten haben, was wir Ihnen hier versprechen. •

Anatol Vitouch

Rayuela
Julio Cortázar

Das Meisterwerk des argentinischen Surrealisten lässt sich nicht sinnvoll zusammenfassen: Man muss es lesen, um seine literarische Magie zu erfahren. Horacio Oliveira, Bohemien aus Buenos Aires, fantasiert sich durch das Paris der 60er-Jahre. Was in seinem Kopf (und den Köpfen seiner Freunde) vorgeht und was wirklich passiert – wer mag’s unterscheiden? Im Anhang liefert Cortázar fast einhundert ›Capítulos -prescindibles‹ (entbehrliche Kapitel) sowie eine Anleitung, zwischen welchen Kapiteln des Hauptteils sie einzuschieben sind, um noch einmal ein ganz anderes Buch zu lesen. Ein zu wenig bekannter Geniestreich. 

Anneliese Rohrer

Ein Mann
Oriana Fallaci

Dieser Roman ist mehr als die Liebesgeschichte der italienischen Journalistin zum griechischen Widerstandskämpfer Alexandros Panagoulis. Man sollte ihn gerade jetzt wieder lesen. Seine zentralen Themen – individuelle Freiheit, Kampf gegen Unterdrückung, Mut und Würde eines Einzelnen und die Unfähigkeit, seine Ideale aufzugeben – sind heute so relevant wie bei Erscheinen. Die Mischung aus Fiktion, persönlichen Tatsachen, historischen Fakten haben mich in den heißen Tagen des Sommers 1980 berührt wie kaum ein moderner Roman zuvor.

Solmaz Khorsand

Das mangelnde Licht
Nino Haratischwili

Mein Lieblingsbuch ist meistens das letzte Buch, das ich gelesen habe, das besonders lange nachhallt. ›Das mangelnde Licht‹ von Nino Haratischwili ist so eines. Immer wieder blättere ich in diesem Epos über die Freundschaft von vier Frauen in Georgien und verneige mich vor der Literatin, der es gelingt, Worte zu finden für den Zusammenbruch einer ›für westliche Augen anziehenden‹ Welt, die Sucht nach einem Leben in der Nähe des Todes und von einer ›Dinosaurierliebe‹, die schmutzig und brutal ist.

Sebastian Loudon

American Psycho
Bret Easton Ellis

Ich war 17, als dieses Buch in mein Leben kam. Ich liebte und hasste es, verschlang es mit Grausen und Faszination. Ellis zeichnet darin ein detailliertes Bild des Konsumrausches der 1990er. Es ist die Geschichte von Jason Bateman, einem eitlen Yuppie in New York, der die Leere seines oberflächlichen Elite-Lebens mit Sexeskapaden, Drogenexzessen und den grauenhaftesten Morden zu füllen versucht. Das smarte Scheusal kommt mit all dem durch. Selbst wenn er sich stellen will, wird ihm nicht geglaubt.
Wie könnte Bateman als Fixstern von Manhattan so etwas auch tun? Ich sollte das Buch wieder einmal lesen. Aber ich will nicht.

Susanne Jäger

King Kong Theorie
Virginie Despentes

Ein punkiger Essay zur Gegenwartsbewältigung. Virginie Despentes’ feministische, autobiografische ›King Kong -Theorie‹ erzählt pointiert und humorvoll von Freiheit, Sexualität und Solidarität. Als unmissverständliche und kluge Chronistin des 21. Jahrhunderts füllt Despentes schon länger die internationalen Bestsellerlisten und wird als Balzac der Jetztzeit gehandelt. In diesem Sinne, bleiben Sie wachsam und lesen Sie passend zum Thema ›Leben als Frau‹ auch gleich Angela Davis, Woolf,
Schwaiger, Jelinek, Bachmann, Plath, Shirley Jackson und Willa Cather.

Paul Koren

Never Let Me Go
Kazuo Ishiguro

Die häufigste Frage, die der Autor in den 20 Jahren seit Erscheinen gestellt bekommen hat, lautet: ›Warum laufen die Charaktere nicht weg? Warum versuchen sie nicht zu fliehen?‹ In diesem Buch wissen alle – Lesende wie Gelesene – was abgeht, wirklich sicher ist man sich aber erst, als es passiert. Und deshalb passiert es auch. Ob diese Geschichte ein Happy End hat, hängt stark von Ihrer Definition eines Happy Ends ab. Sie werden sie am Schluss hinterfragen wollen.

Maya Luna Mendívil Jahnke

Tausend Zeilen Lüge
Juan Moreno

Dieses Buch habe ich auf Empfehlung zweier Dozentinnen während meines Journalismus-Studiums gelesen. Die Geschichte um den vermeintlichen Star-Reporter und Hochstapler Claas Relotius hat mich so fasziniert, dass ich das Buch an nur einem Tag durch hatte. Nur um gleich nochmal von vorne zu beginnen: Zwar blickt Moreno in seinem Buch kritisch auf die Branche, doch in meinen Augen schwingt zwischen den Zeilen auch eine leise Liebeserklärung an den Journalismus mit. Das Buch wurde zu einer willkommenen Motivation für den Rest meines Studiums. 

Emmanuel Dammerer

Frankenstein
Mary Shelley

Kein Klassiker gibt so viel und verlangt so wenig. Ob im Original oder in der Übersetzung von Alexander Pechmann, an keiner Stelle wird der Leser gedrängt, die Fußnoten zu lesen, und doch kann man sich beliebig tief in Naturschilderungen, Doppelgängerstrukturen, in einsamen Männern am Polarkreis verlieren. Alles ist raffiniert, nichts ist perfekt, es gibt tadellose kommentierte Ausgaben, doch es braucht sie nicht. Es ist unmöglich, zynisch über den Frankenstein zu schreiben, und das ist kein geringes Lob.

Juliane Fischer

Leben verboten!
Maria Lazar 

September 2020, Reiselektüre im Nachtzug nach Venedig: das frisch erschienene ›Leben verboten!‹. Fast 100 Jahre zuvor hatte es die Wiener Jüdin Maria Lazar im Exil verfasst. Damals erschien nur eine gekürzte, englische Fassung. Seit ihrer Wiederentdeckung durch einen jungen, ambitionierten Verlagsgründer gilt sie heute als eine wichtige Stimme der Neuen Sachlichkeit. Ihre Hellsichtigkeit verblüfft – in ihren Gedichten, Bühnenstücken und in diesem tempo- und spannungsreichen Identitätsschwindel-Roman zwischen den Kriegen und zwischen Berlin und Wien. Für Fans von Erich Kästner und Mascha Kaléko, mit dem Sarkasmus à la Karl Kraus.

Thomas Winkelmüller

Rejection
Tony Tulathimutte

›Rejection‹ ist ein gutes Buch, das sich schlecht empfehlen lässt. Es stand in der ›Best Book of the Year List‹ der New York Times – und enthält Sätze wie ›follow me to the bathroom to blow me while I loudly shit and fart and read The Economist‹. In sieben Kurzgeschichten seziert Tony Tulathimutte auf überraschend kluge, aber absurde Art das romantische und sexuelle Scheitern einer Generation, die chronisch online ist und es vielleicht besser bleiben sollte. Seine Protagonisten sind bindungsunfähig, Incels oder einfach ziemliche Verlierer. Feinsinniger ›Brainrot‹ für Leser, die gern leiden.

Sie können die gesamte Ausgabe, in der dieser Artikel erschien, als ePaper kaufen:

Diese Ausgabe als ePaper für € 6,00 kaufen