Ultra mächtig
Rapid hat ein Problem: seine treuesten Fans. Wie die gewaltbereiten Ultras den Verein dominieren.
8. April 2017: Der österreichische Fußball-Rekordmeister Rapid Wien hat soeben auswärts mit drei Gegentoren und ohne eigenen Treffer beim Tabellenletzten Ried verloren. Rapid befindet sich nur noch fünf Punkte von einem Abstiegsplatz entfernt. Es wäre der erste Abstieg des Vereins in seiner 119-jährigen Geschichte und eine beispiellose Blamage.
Während sich am anderen Ende des Stadions an diesem sonnigen Frühabend eine glückliche Rieder Mannschaft in den Armen liegt, trotten die Rapid-Spieler mit hängenden Köpfen zu ihren Fans. Am Ende dieser miserablen Saison werden zwei Trainer- und eine Managerentlassung als Konsequenz der katastrophalen sportlichen Leistungen stehen: Jetzt aber werden Spielern und Betreuern erst einmal von den eigenen Anhängern die Leviten gelesen. Die Arme baumeln an den Spielerkörpern herab, die Häupter hat die Mannschaft gesenkt, als sie auf die in grün-weiße Farben getunkte Fantribüne zugeht. Einige Fans klettern wild gestikulierend auf den Zaun. Das Geschrei wird aggressiver, die Männer ballen die Fäuste, sie strecken die Mittelfinger in die Höhe, schlagen mit den Händen auf die Brust, da, wo das Herz ist. Wo für sie Rapid ist. Bumm, bumm, bumm.
Die Mannschaft lässt die Beschimpfungen stumm über sich ergehen. Was die Spieler noch nicht wissen: Es wird nicht die letzte Demütigung an diesem Abend sein. Für die Ultras, wie die Hardcore-Fans sich nennen, hat der Frustabbau erst begonnen. Als die Rapid-Spieler schon im Bus auf dem Weg zurück nach Wien sitzen, erfahren sie, dass die Ultras angerufen und Redebedarf angemeldet haben. Die Verantwortlichen und die Mannschaft werden vor die Wahl gestellt: Entweder es kommt zu einem Treffen auf einem Autobahnparkplatz ohne Polizei, oder der Bus wird von ihnen in Hütteldorf vor dem heimischen Allianz-Stadion erwartet. Rapid entscheidet sich für die erste Variante, um eine breite Öffentlichkeit zu vermeiden.
Nach einer kurzen Fahrt auf der Innkreis-Autobahn wird dem Bus mittels gezündeter Fackel das Zeichen gegeben, von der Autobahn abzufahren. Empfangen wird er von rund 300 Mann, die ihn in einem Halbkreis umstellen. Spieler und Betreuer klettern aus dem Mannschaftsbus und treten gehorsam zur Standpauke an. Eine groteske Szenerie. Während über ihnen die Dunkelheit langsam hereinbricht, reden Vertreter der Ultras auf die Mannschaft ein. Ob sich die Mannschaft überhaupt bewusst sei, was sie dem Verein da gerade antue, wird gefragt. Ob sie sich denn alle im Klaren seien, welche Geschichte sich hinter dem Wappen auf der Brust ihrer schwarzen Trainingsjacken verberge. Viel Pathos und eine klare Botschaft: Wir sind die Chefs. Nach rund 25 Minuten wird der Bus auf die Heimreise geschickt, am nächsten Tag der Trainer entlassen.
Nach diesem Abend schreiben die Ultras in ihrer Stellungnahme, dass sie ›den Bus von der Autobahn runtergeholt haben.‹ Rapid-Pressesprecher Peter Klinglmüller wird dagegen von ›einer ganz normalen Aussprache zwischen einer Fußballmannschaft und Fans‹ sprechen. Doch die Ereignisse von Ried sind nicht ganz normal, sie sind symptomatisch. Symptomatisch für einen Verein, der die Kontrolle über die Beziehungen zu seiner führenden Fangruppe verloren hat. Für einen Verein, der es zugelassen hat, dass diese Fan-Gruppierung großen Einfluss auf das Handeln der Vereinsführung gewonnen und in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut hat. Es ist den Ultras Rapid gelungen, sich durch Nähe, Abhängigkeiten und inkonsequentes Handeln der Funktionäre eine Machtbasis zu erarbeiten, die im Spitzenfußball beispiellos ist. Ihre Macht im Verein lässt die Frage aufkommen, wer hier eigentlich das Sagen hat, und warum.
Wie ein roter Faden ziehen sich durch die jüngere Rapid-Historie Fan-Ausschreitungen, verursacht vom Block West und den Ultras Rapid. Alleine in der vergangenen Saison wurden drei Spiele deswegen beinahe abgebrochen. Besonders die Duelle mit dem Erzrivalen Austria Wien sorgten immer wieder für Randale, Austria-Spieler wurden zum Beispiel mit Gegenständen wie Feuerzeugen oder Schnapsflaschen beworfen. Beim letzten Derby im September wurde es wieder einmal heftig: Nach Schlusspfiff stürmten die Ultras den Platz, um ungehindert über das gesamte Spielfeld bis zum Gästesektor zu gelangen. Dort angekommen, wurden die wenigen Ordner, die sich ihnen entgegenstellten, körperlich attackiert.
Die 30.000 Euro Strafe, zu denen der Verein verdonnert wurde, werden von Beobachtern als zu niedrig eingestuft. Punkteabzüge wären ein effektiveres Mittel, um die Gewalt im Stadion zu bekämpfen, aber dagegen wehrt sich Rapid. Die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten sind aus Sicht der Klubführung ausreichend, auch wenn sie augenscheinlich wirkungslos bleiben. Aber hat Rapid überhaupt ein Interesse daran, die Ultras an die Leine zu legen?
Ein Fanclub, der immer gewaltbereiter wird und zugleich seinen Machtanspruch ausdehnt: Von der Westtribüne auf das Spielfeld, das er mit Platzstürmen symbolisch okkupiert. Und vom Spielfeld in die Büros der Chefetagen, in denen inzwischen die Ultras mitbestimmen, wer Präsident, Geschäftsführer, Trainer, Sportchef oder Spieler bei Rapid werden darf und wer nicht. Die Geschichte der Ultras ist die Geschichte einer Fußballkultur, die vor aller Augen ins Kippen gerät. Es ist die Geschichte vom Schwanz, der mit dem Hund wedelt und von Verantwortlichen, die aus Angst um das Millionen-Business Fußball schweigen und die Ereignisse herunterspielen.
Der SK Rapid Wien ist nicht irgendein Verein, sondern der beliebteste Fußballklub Österreichs. Untermauert wird dies von einem Zuschauerschnitt von 18.790 Besuchern bei Heimspielen in der vergangenen Saison. In der österreichischen Bundesliga schaffte ansonsten nur Sturm Graz knapp die 10.000er Marke.
Doch Rapid ist nicht nur extrem populär, sondern mittlerweile auch ein millionenschweres Unternehmen.
Laut Geschäftsbericht erwirtschaftete der Verein in der Saison 2016/17 einen Umsatz von über 40 Millionen Euro sowie einen Gewinn von 2,3 Millionen Euro. Nach Jahren am Rande des wirtschaftlichen Ruins verfügt der Verein mittlerweile über ein positives Eigenkapital von 12,6 Millionen Euro. Auch zum Netzwerken eignet sich der Klub hervorragend. In den diversen Gremien sitzen hochrangige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Der Generaldirektor der Gemeinnützigen Siedlungs- und Bauaktiengesellschaft (GESIBA), Ewald Kirschner, sitzt ebenso im Kuratorium wie die Politiker Peter Pilz und Andreas Schieder, ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, der ehemalige Vorstand der Wiener Philharmoniker, Clemens Hellsberg, und der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer. Nicht weniger prominent ist der Beirat besetzt. Neben dem burgenländischen SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil findet man dort unter anderem den Investor Michael Tojner.
Besonders die Stadt Wien ist zahlreich vertreten. Seit jeher gibt es enge Beziehungen zwischen dem Rathaus und dem wichtigsten Sportverein der Stadt. Als die Bank Austria 2003 überraschend bekanntgab, ihr Sponsoring zu beenden, sprang Wien Energie in höchster finanzieller Not als Hauptsponsor ein. Rapid wirbt auf seiner Website mit Business-Packages, die ihren Besitzern nicht nur exklusiven Zutritt zu Spielen, sondern auch ›direkten Kontakt zu Gästen aus Wirtschaft und Politik‹ verschaffen sollen. Hervorgehoben wird vor allem die ›außergewöhnliche Atmosphäre‹. Hauptverantwortlich für diese Atmosphäre sind die Ultras Rapid, die führende Gruppe der aktiven Fan-Szene. Sie stehen dem Block West vor, in dem auch noch andere Fanklubs ihren Platz haben, und stellen rund ein Drittel der regelmäßigen 18.000 Zuschauer. Man kann es auch so sagen: Den Ton und die Richtung geben die Ultras vor.
Beginnt man im Umfeld von Rapid über den Machtbereich der Ultras zu recherchieren, stößt man auf Schweigen. ›Darüber möchte ich nicht sprechen, das ist mir zu heiß‹, lautet häufig die Antwort. DATUM hat mit einem Dutzend ehemaliger Mitarbeiter und Personen aus dem Umfeld des SK Rapid unter Zusicherung von Anonymität gesprochen. Denn keiner von ihnen will seinen Namen gedruckt sehen. Das verwundert umso weniger, je genauer man sich das Bild anschaut, das die Gesprächspartner von der Lage des Vereins zeichnen. ›Rapid hat ein großes Problem, und sie züchten es‹, sagt ein ehemaliger Angestellter, der mit dem zunehmenden Einfluss der Ultras während seiner Rapid-Zeit konfrontiert war. Viel zu lange habe der Verein zugeschaut und immer noch eine weitere Entgleisung erlaubt. Der Mann steht mit seiner Einschätzung nicht alleine da.
Rapid profitiert vor allem in wirtschaftlichen Belangen von den Ultras, die heute das Stadion füllen. Vor 30 Jahren, als sie gegründet wurden, sah das anders aus. Obwohl die Grün-Weißen zu dieser Zeit sportlich gesehen viel erfolgreicher als jetzt waren, wollten Ende der 1980er-Jahre nur rund 4.000 Zuseher die Heimspiele sehen. Für jemanden, der 2018 das Stadion betritt, ist das kaum vorstellbar: Während der Rapid-Spiele wird es zum stimmungsgeladenen Kessel, zur Fan-Arena, deren Wirkmächtigkeit man sich inmitten von Zigarettendunst, Schweiß, Bier und Käsekrainer kaum entziehen kann. Außer im meist spärlich befüllten Gästesektor sieht man überall nur Grün und Weiß. Schon nach wenigen Besuchen kennt man sie, die Originale. Den Rapid-Charly, der einem immer mit einem überdimensionalen Hut und Stutzen bis zu den Knien entgegenkommt. Den Augustin-Verkäufer, den man vor und nach dem Spiel singend in der U-Bahn-Station antrifft. Solche Erlebnisse schaffen ein Zugehörigkeitsgefühl, das über den Schlusspfiff hinaus andauert. Schon vor den 80ern hatte es treue Fan-Klubs gegeben. Ab 1988 aber importieren Fans die Ultras-Kultur aus Italien nach Hütteldorf und füllen damit kontinuierlich die Ränge. Bei jedem Spiel. Geleitet von einem sogenannten Direttivo, einer Art Vorstand, der aus sechs bis sieben Leuten besteht und die Richtung des Blocks West vorgibt, ziehen die Ultras mit ihren Choreografien, ihren Gesängen, kurz: mit ihrer Inbrunst die anderen an und mit. Auf jede Reise begleiten sie die Mannschaft, egal ob es nach St. Pölten oder Georgien geht. Nicht nur die Reisen, auch die beeindruckenden Choreografien verschlingen enorme Geldbeträge. Dazu kommen unzählige Stunden an Planung und Vorbereitung. Unter der Woche werden Überrollfahnen genäht, Doppelhalter gebastelt und Fahnen bemalt. Einmal im Jahr ruft die Truppe zu einer großen Spendenaktion für soziale Einrichtungen auf. Rapid ist für viele eine Religion, das Stadion die Kathedrale.
Eine Religion mit zerstörerischer Kraft: Domenico Jacono war Mitglied der ›Hütteldorfer Terrorszene‹, einer Vorläuferorganisation der Ultras, die sich diesen Namen selbst gab. Die Herkunft von Jaconos Vater, der aus der Nähe von Neapel stammt, brachte ihn früh in Kontakt mit italienischer Fankultur. Er wäre Gründungsmitglied der Ultras geworden, wäre er damals nicht wegen Landfriedensbruch in Bayern eingesessen. Heute kann man ihn oft im Café Weidinger antreffen. An einem drückend heißen Sommertag sitzt Jacono mit einer Schirmmütze im schattigen Garten seines Stammcafés im 16. Bezirk: ›Die Ultras setzen sich selbst Prämissen wie Kompromisslosigkeit, ohne Rücksicht auf Nachteile für die eigene Person. Sie stecken ihre Lebensenergie rein und erwarten dafür etwas retour. Wenn das nicht kommt, dann kann sich die positive in negative Zuneigung umdrehen.‹ Jacono kennt Rapid wie wenige andere. Nach seiner Haftstrafe hatte er sich zwar eine Auszeit vom Fantum gegönnt und Literaturwissenschaften studiert, in den Nullerjahren kam er aber mit umso mehr Hingabe zurück. Er wurde Kurator des vereinseigenen Museums, Mitglied des Ethikrates und so etwas wie der offizielle Vereinshistoriker. Ein Mann, der das Ultras-Motto ›Rapid Wien Lebenssinn‹ gelebt hatte. Heute geht er nicht mehr ins Stadion. Er ist zu enttäuscht vom Verein, der seine Wurzeln verraten habe: ›Der Arbeiterverein Rapid ist diese Saison puncto Stehplatz-Einzelkarte und Bier der teuerste Verein der österreichischen Bundesliga.‹
Dennoch funktioniert die Durchmischung bis heute: Bei einem Rapid-Spiel und besonders im Block West trifft man auf Repräsentanten aller Gesellschaftsschichten. Da stehen der Anwalt und der Arbeiter nebeneinander, da prostet der Busfahrer dem Wissenschaftler zu. Grün-Weiß nivelliert die Klassenunterschiede – auch weil die Ultras apolitisch unterwegs sind. Während der Lokalrivale Austria Wien in den vergangenen Jahren große Probleme mit Rechtsextremismus hatte, blieben die Infiltrierungsversuche der neonazistischen VAPO in den 80er- und 90er-Jahren bei Rapid erfolglos. Politik an sich ist im Sektor unerwünscht. Das Symbol der Ultras, der Indianer, wurde ob seiner vermeintlichen politischen Unschuld zum Wappen auserkoren.
Und mit ihrer Indianerehre nehmen es die Ultras sehr genau: Sie verstehen es, sich als verschworener Zirkel zu inszenieren, dessen Geschlossenheit allen Respekt einflößt. Auf eine DATUM-Gesprächsanfrage reagierten die Ultras nicht, was ihrer jahrelang gepflegten Linie einer Art ›Omertà‹ gegenüber Journalisten entspricht, denen der Ultras-Fanblock grundsätzlich misstraut. Nach außen kommunizieren sie lieber über Flyer und eigene Magazine. Tatsächlich berichten insbesondere die Boulevardmedien nahezu wöchentlich über den grün-weißen Anhang, in den meisten Fällen negativ und schlecht recherchiert. Im August 2017 manifestierte sich der Hass der Ultras gegen die Journaille dann in einer Choreografie. Zwei Tage nach dem Terroranschlag in Barcelona, bei dem 14 Menschen ums Leben kamen, prangte in der Mitte des Blocks West ein riesiger Mittelfinger. Garniert wurde er von einem Transparent mit der Aufschrift: ›Die wahren Verbrecher seid ihr – Journalisten Terroristen‹.
Während die Ultras für Rapid Wien einerseits Wirtschaftsfaktor, Zugpferd und Alleinstellungsmerkmal in einem sind, fügen sie ihrem Herzensverein mit ihren Grenzüberschreitungen zugleich immer wieder erheblichen Schaden zu. Diesen Widerspruch repräsentiert P., Vorsänger der Kurve West und Mitglied des innersten Ultra-Zirkels, wie kein anderer. P. kennt die Westtribüne seit seiner Schulzeit, schnell steigt er in höhere Positionen innerhalb der Ultras auf. Den Fanblock übernimmt er im Jahr 2003 auch offiziell als Chef und macht ihn mit seiner Leidenschaft und Hingabe zu einem der angesehensten in ganz Europa. So sehen es zumindest seine Fürsprecher. Innerhalb der Szene ist er eine lebende Legende – und für DATUM für eine Stellungnahme nicht erreichbar. P. ist es auch, der 2002 in Folge einer Prügelei mit der Polizei im Rahmen eines Testspiels als eine der ersten Personen in Österreich überhaupt Stadionverbot erhält. Auf die Rapid-Familie aber kann er sich immer verlassen. Als er 2012 nach diversen anderen Vorstrafen im sogenannten ›Westbahnhof-Prozess‹ zu 14 Monaten unbedingter Haft wegen Landfriedensbruch verurteilt wird, beruft ihn Rapid noch während des Verfahrens als Fanvertreter in eine vereinsinterne Reformkommission. P. hatte 165 Rapid-Anhänger am Westbahnhof versammelt, um die von einem Auswärtsspiel in Linz heimkommenden Austria-Fans unfreundlich zu empfangen. Das führte zwar nicht zu einer Massenschlägerei, sehr wohl aber zu heftigen Ausschreitungen gegen die Polizei, die eine solche verhindern wollte. Das Gericht sieht die Sache damals eindeutig: ›Sie haben eine ganze Gegend in Angst und Schrecken versetzt‹, stellt der Senatsvorsitzende fest, als er P.s Berufung abweist. Da wirkt auch ein Empfehlungsschreiben des damaligen Rapid-Präsidenten Rudolf Edlinger nicht. P. wird verurteilt. Nach 500 Tagen Abstinenz aufgrund von Haft und anschließendem Stadionverbot kehrt P. bei einem Auswärtsspiel in Graz in die Kurve zurück und wird von Kapitän und Rekordspieler Steffen Hofmann noch während des Aufwärmens persönlich willkommen geheißen. Allzu große Sorgen, dass sein Arbeitgeber wenig Verständnis für sein Engagement bei den Ultras zeigt, muss sich P. auch nicht machen: Der Chef des Unternehmens, in dem er tätig ist, sitzt im Präsidium des SK Rapid. In einem Interview mit dem Fanmagazin Forza Rapid behauptet Ex-Häftling P. stolz, Christoph Peschek mit in die Position des Vizepräsidenten gehievt zu haben: ›Ich habe ihn auch zu Mitgliederversammlungen mitgenommen und ihm nach und nach einflussreiche Rapidler aller Bereiche vorgestellt. Irgendwann bin ich von mehreren Präsidiumsmitgliedern gefragt worden, ob mein Freund, der junge Politiker, Interesse hat, für den SK Rapid tätig zu werden. Wir haben uns dann getroffen, und ich habe Christoph im Auftrag des Präsidiums gefragt, ob er bei unserem Herzensverein eine offizielle Position übernehmen möchte.‹ Zwei Jahre später wird Peschek zum operativen Geschäftsführer der Kapitalgesellschaft aufsteigen, in die der Verein 2016 den Profibereich auslagert. Ein Chef, der in der Schuld der Ultras steht?
Christoph Peschek hat DATUM in sein Büro im neuen Allianz-Stadion geladen. Von seinem Besprechungstisch aus kann man das meterhohe R des Rapid-Schriftzuges erkennen, das draußen am Stadiongebäude prangt. Ein nüchternes Zimmer, im Grün-Weiß der Vereinsfarben gehalten. Auf einem Regal liegt ein für Peschek signierter Fußball der Mannschaft. Peschek ist gelöst, Rapid hat am Abend davor im Europacup Spartak Moskau geschlagen. Er streicht seine Krawatte im Rapid-Grün glatt, am Revers funkelt das Vereinszeichen: ›P. hat auch zu jenen dazugehört, die gesagt haben, das ist ein engagierter Rapidler. Das ist okay, und da finde ich auch nichts Verwerfliches dran‹, sagt er dann mit weicher Stimme. Schlussendlich hätten ihn aber seine Leistungen in die Spitzenposition gehievt. Peschek spricht eloquent und gibt sich verbindlich. Steigende Anspannung merkt man nur an seinen sich gelegentlich immer schneller drehenden Daumen. Auf die wachsende Einflussnahme der Ultras angesprochen, antwortet er: ›Da fehlt mir der Vergleich, ich bin erst seit 2015 in offiziellen Funktionen für den SK Rapid tätig.‹ Gleichzeitig ist Medienberichten zufolge sein Wissen um das ›System Rapid‹ sein Trumpf beim Hearing zum Posten des Geschäftsführers gewesen.
Und die Ausschreitungen, wie zuletzt beim Derby im September? Die führt er zu einem wesentlichen Teil auf die schiere Masse der Rapid-Anhänger zurück: ›Man kann auch nicht die Falschparker-Statistik von Wien mit jener aus Wiener Neustadt vergleichen‹, sagt er mit Nachdruck. Seine Daumen rotieren unaufhörlich, der Blick schweift aus dem Fenster auf das Park&Ride-Gebäude. Peschek ist kein aufbrausender Mann, zumal medial geschult und auf unangenehme Fragen immer vorbereitet. Er weiß, wie man sie abfängt und dabei versöhnlich klingt.
Er spricht unaufhörlich von der ›Rapid-Familie‹ und sagt Sätze wie: ›Demokratie hört beim SK Rapid nicht am Stadiontor auf.‹
Dass es sich bei Rapid niemand leisten kann, es sich mit den Ultras zu verscherzen, zeigt auch der Fall des ehemaligen Sportdirektors Andreas Müller. Er wurde im November 2016 nach missglückten Transfers und Trainerentscheidungen entlassen. Laut Müller waren jedoch nicht in erster Linie sportliche Gründe für seine Beurlaubung verantwortlich. Fünf Monate nach seiner Freistellung sprach er bei einer Fußball-Talksendung auf Sky über die seiner Ansicht nach wahren Motive: ›Der einzige Grund ist, dass die Ultras mit mir nicht mehr klarkamen. Die wollten mich weghaben.‹ Müller kritisierte auch die Verbindungen zwischen Vereinsverantwortlichen und den Ultras: ›Ich bin nicht wie Peschek jemand, der mit den Ultras im Bett liegt. Ich finde es fatal, wenn man aus diesem herausragenden Support einen Anspruch ableitet, in die Entscheidungen des Vereins einzugreifen. Das ist kompletter Wahnsinn.‹ Müller ist kein Neuling in der Fußballszene, er hat unter anderem für den deutschen Spitzenklub Schalke 04 gearbeitet. Er weiß, wie Spitzenfußball funktioniert. Bei Rapid aber habe keiner ›die Courage, aufzustehen und zu sagen: Wir müssen eine Grenze ziehen.‹ Etwa, wenn es um Spielerengagements geht. Der Zwist zwischen den Ultras und Müller beginnt, als dieser den Spieler Maximilian Entrup verpflichtet, der einst als Jugendlicher in einem Fanklub des Erzrivalen Austria Wien aktiv gewesen war. Die Ultras reagieren auf ihre Weise. Im ersten Saisonspiel prangt im Block West ein Transparent mit der Aufschrift: ›M. Entrup – Die grüne Hölle wird für dich zum Inferno!‹ Im Magazin der Ultras schreiben sie vom ›violetten Schädling‹, Entrup darf nach den Spielen nicht wie seine Mannschaftskollegen zur Fankurve, sondern muss im Kabinengang verharren. Als Müller sich öffentlich vor den Spieler stellt, wird auch er zur Zielscheibe. Im Anschluss an Müllers TV-Auftritt ist vor allem bei Rapid die Empörung groß, die Vorwürfe werden dementiert. ›Ich habe seine Botschaft wohl gehört, aber nicht verstanden‹, betont Peschek, der Müllers Aussagen auch als Trennungsschmerz klassifiziert. Müller selbst gibt auf DATUM-Nachfrage zu verstehen, nach der großen Aufregung um seine Aussagen in dieser Causa nichts mehr hinzufügen zu wollen: ›Ich habe mit den Ultras abgeschlossen und möchte mich zu diesem Thema nicht mehr äußern.‹
Nach Ausschreitungen, wie zuletzt beim Derby am 16. September, ist das offizielle Erklärungsmuster fast immer dasselbe. Man distanziert sich von den Übeltätern, spricht von roten Linien, die nicht überschritten werden dürfen und von Sanktionen, die daraus resultieren werden. Im anschließenden Satz folgt dann die Relativierung. Man dürfe nicht alle Fans über einen Kamm scheren, es handle sich um Einzeltäter, die noch ausgeforscht werden müssten, und überhaupt habe man die besten Fans der Welt. Ein weiterer ehemaliger Funktionsträger des SK Rapid hält dies für Taktik: ›Es wäre traurig, wenn sie es bewusst zulassen, um sich aus der Verantwortung zu nehmen. Aber irgendwann muss auch Peschek Konsequenzen ziehen – und auch Rapid-Präsident Michael Krammer. Wenn sie Entscheidungen nur treffen, weil es das Volk wie bei Brot und Spielen so möchte, haben sie ihre Aufgabe verfehlt.‹ Diese Einschätzung wird von mehreren ehemaligen Rapidlern bestätigt.
Die Amtszeit von Präsident Krammer läuft 2019 aus. Noch hat er nicht entschieden, ob er erneut kandidieren wird. Undenkbar aber, dass in naher Zukunft jemand an der Spitze Rapids steht, den die Ultras nicht goutieren. Bleiben die handelnden Personen dieselben, werden die maßgeblichen Entscheidungen weiterhin stark von den Ultras beeinflusst werden. Nach dem schon länger von ihnen geforderten Rausschmiss von Trainer Goran Djuricin, hat der Verein nun Rapid-Legende Dietmar Kühbauer zum neuen Trainer bestellt, um die Situation zu beruhigen – auch das ein dezidierter Wunsch des Fan-Klubs. Vizepräsident Peschek formuliert es so: ›Die Einbeziehung aller Interessengruppen in ihrer gesamten Vielfalt ist etwas sehr Wichtiges und sehr wertvoll. Die Ultrakultur ist eine der erfolgreichsten Jugendkulturen, denn im Gegensatz zu vielen anderen ist sie von Bestand.‹ •