›Unsere Freiheit in Österreich ist keine Selbstverständlichkeit‹

Die ehemalige Politikerin Heide Schmidt, zunächst FPÖ, dann LiF, spricht über Jörg Haiders liberalen Versuch, das ›Unerträgliche‹ an den Freiheitlichen und das ›Verlogene‹ an Sebastian Kurz.

Interview:
Stefan Apfl

Als Heide Schmidt am Abend des 30. November die menschengefüllte DATUM-Redaktion betritt, sagt sie, sie sei unsicher, ob sie überhaupt noch etwas zu sagen habe. Sie sei ja schon so lange nicht mehr in der Politik aktiv. 1988 wird Schmidt FPÖ-Generalsekretärin unter Jörg Haider, 1992 tritt sie für die Partei bei der Wahl zur Bundespräsidentschaft an. Kurz darauf kehrt sie den Freiheitlichen wegen deren zunehmender Ausfländerfeindlichkeit den Rücken, begründet das Liberale Forum und wird zu Haiders größten Kritikerin. Die ›Grand Dame der österreichischen Liberalen‹, nannte der Standard sie einmal. Das tun wir auch bei der Begrüßung. Und schon schießt sie los. Das Gespräch dauert schließlich eine Stunde – weil Schmidt eben noch immer etwas zu sagen hat.

 

Stefan Apfl: Frau Schmidt, Anfang der 1970er Jahre treten Sie der FPÖ bei. Warum?

Heide Schmidt: Ich bin in einer Zeit zu den Freiheitlichen gegangen, wo ÖVP und SPÖ miteinander über 90 Prozent der Wählerschaft hinter sich hatten. Das ist keine unwesentliche Miterklärung, aber zugegebenermaßen exkulpiert das nicht ganz, bei dieser Partei gewesen zu sein. Als ich zu den Freiheitlichen gegangen bin, war ich im Unterrichtsministerium, zu diesem Zeitpunkt ein tiefschwarzes Haus. Irgendwie habe ich das Gefühl gehabt, dass man da etwas entgegensetzen muss. Und dass in Österreich durchgängig alle so parteipolitisch zugeordnet waren, dass du deinen beruflichen Weg nur schwer machen konntest, wenn du nicht zu einer dieser beiden großen Parteien gehört hast, das hat mir widerstrebt.

1988 werden Sie Generalsekretärin der FPÖ. Sie glaubten also auch nach der Übernahme Jörg Haiders noch an das Liberale an der FPÖ?

Es hat in dieser Partei zu den unterschiedlichen Zeiten einen unterschiedlichen Bewegungsspielraum für Liberale gegeben und – das muss man schon sagen – es hat sie dort immer gegeben. Zu jener Zeit war der Versuch realistisch, diese Partei in Österreich als liberale Partei zu etablieren. Ich habe immer nach Deutschland geschaut zur FDP, über deren Liberalismus man heute auch reden kann. Und dieser Versuch war für den Haider damals gar nicht so abwegig. Haider hat zu diesem Zeitpunkt – so meine Interpretation – einfach ausprobieren wollen: ›Was ist drin?‹ Und als er mich gefragt hat, ob ich Generalsekretärin werden will, hat er das mit den Worten getan: ›Du wüst doch immer wos für die Liberalen tun, also tu.‹ Ich glaube bis heute, dass er das sogar ernst gemeint hat. Wenn dieses ›Was ist drin?‹ funktioniert hätte, es Zulauf gegeben hätte, hätte er gesagt: ›Naja dann bin ich halt ein Liberaler.‹ Hingegen hat er gemerkt, dass das eben so nicht funktioniert.

Welches Bild einer Gesellschaft hatten Sie damals?

Es geht mir um grundsätzliche Fragen. Welche Stimmung herrscht in einer Stadt, in einem Land? Wenn du einen Polizisten siehst: Fürchtest du dich oder ist es dir angenehm zu wissen, dass es da Sicherheitselemente gibt? Kannst du in einem Lokal sitzen und dich auf deine Weise bewegen und unterhalten, ohne dass dich jemand schief anschaut? Musst du deine Lebensführung rechtfertigen vor deinem Nachbarn, vor deinem Chef und erst recht vor der Behörde? Unsere Freiheit in Österreich ist keine Selbstverständlichkeit. Entschuldigen Sie, ich werde nächstes Jahr 70, also darf ich das sagen. Aber dass man um Freiheit wirklich kämpfen muss und dass sie mit ein paar Weichenstellungen weg sein kann, das sieht man auch in einigen anderen europäischen Ländern.

Worauf müssen wir achten?

Ich möchte, dass der größtmögliche Freiraum und die größtmöglichen Entwicklungsmöglichkeiten für ein Individuum gewährleistet sind. Ich glaube, dass der soziale Zusammenhalt in einer Gesellschaft unglaublich wichtig ist. Dass das Auseinanderklaffen nicht zu groß sein darf zwischen Arm und Reich, zwischen Fremden und Einheimischen. Dieses Auseinanderklaffen ist nicht nur für die unmittelbar Betroffenen unangenehm, sondern das spürst du irgendwann auch im Klima einer Stadt, eines Landes. Und das geht relativ geschwind. Ich habe Sorge, dass die beiden Parteien, die sich jetzt zu einer Regierung zusammentun, eine völlig andere Vorstellung haben.

1993 treten Sie aus der FPÖ aus. Sie begründen das Liberale Forum und warnen vor Haider und dem Kurs der Freiheitlichen. Wenn Sie damals schlafen gegangen wären und heute aufwachten: Was sehen Sie?

Das ist deprimierend. Das ist wirklich deprimierend. Bei den anderen Parteien lässt sich nicht so eindeutig festmachen, dass sie auch bereit sind, gegen das Individuum zu kämpfen. Und für mich war dieses sogenannte ›Ausländervolksbegehren‹ Anfang der 1990er Jahre der erste Lackmustest dafür. Das hat sich gegen Menschen gerichtet, in einer Zeit, in der in Deutschland Asylheime brannten. Ich bring die Bilder nicht mehr aus meinem Kopf: Wo im deutschen Hoyerswerda ein Asylheim brennt und hinter der Absperrung Leute stehen, mit vergnügten Mienen, wissend, dass da Menschen drinnen sind. Ja, der Mensch ist so, er ist das eine wie das andere, das ist keine besondere Erkenntnis. Aber diese Seite des Menschen mit einem politischen Instrumentarium so hervorzuholen, so zu bedienen, das ist eine Unerträglichkeit. Das darf man nicht tun. Und das tut die FPÖ.

Wenn Sie sich die Herren Strache, Kickl, Hofer, Graf, Mölzer, Gudenus ansehen – ist das die Blüte dessen, was Haider damals gesät hat?

Ja, Ja, Ja, Ja, ich sage: Ja. Und ich finde es wirklich unerträglich. Wenn ich jetzt etwa die AfD in TV-Diskussionen sehe, erinnert mich das zurück an die damaligen Diskussionen mit der FPÖ: die Frage, ob nicht die Stimmung, die die AfD erzeugt, die Feindbilder, die die AfD erzeugt, jener Boden sind, auf dem dann Menschen angegriffen werden. Wissen Sie, ich bin damals in der ersten Reihe gesessen, als Haider zum ersten Mal – und das war der Anfang vom Ende für mich – die Arbeitslosenzahlen genannt hat und die Zahlen von Ausländern, die im Land sind, und die gegeneinander aufgerechnet hat. Das ist das kleine Einmaleins wie man Menschen gegeneinander aufbringt. Das hat bei der FPÖ System und es hat bei der AfD System.

Die politsche Landschaft in Österreich ist nach rechts gerückt. Die Menschen auch?

Ja, sie haben sie gewählt. Das kann man ja nicht trennen.

Ziehen die Leute die Parteien nach rechts oder ziehen die Parteien die Leute nach rechts?

Es ist eine Mischung. Es gibt in unserer Gesellschaft immer mehr Menschen mit berechtigter Zukunftsangst, sowohl sich selbst als vor allem auch ihre Kinder betreffend. Die suchen nach Haltegriffen. Und sie kriegen diese Haltegriffe von jenen, die da rechts auf der Seite stehen. Dass sie danach greifen, ist irgendwie erklärbar, zumal wir ihnen ja auch das Denken abgewöhnt haben. Dass der Herr Strache die Politik vertritt, die er vertritt – soll sein. Das kann eine Demokratie aushalten. Nur darfst du sie halt nicht in die Regierung nehmen. Dass ein Herr Kurz mit einer christlichsozialen Partei die gleichen Positionen vertritt und dann auch noch meint, das sei christlich und sozial, das halte ich für so etwas von verlogen, dass ich es sehr schwer aushalte.

Was erwarten Sie, auch eingedenkt der Lektionen von Schwarz-Blau und Schwarz-Orange, von der bevorstehenden Regierung?

Also Schwarz-Blau bzw. -Orange hatte eine andere Dimension, glaube ich: die der Unfähigkeit und Unredlichkeit, der Verantwortungslosigkeit und Bereicherung.

Und die Funktion der Enttabuisierung.

Genauso ist es.

Es gibt diesmal keinen belgischen Außenminister, der sagt: ›Leute, auf Lech dürfts ihr nicht mehr fahren zu Skifahren.‹

Die damaligen Maßnahmen der EU-14, ich kann ja das Wort Sanktionen in dem Zusammenhang nicht mehr hören, habe ich völlig richtig gefunden. Die Tatsache, dass sie die nachher in Italien zum Beispiel einem Berlusconi gegenüber nicht mehr eingesetzt haben und sie jetzt auch nicht mehr einsetzen, ist überhaupt kein Argument zu sagen, dass es daher bei Österreich falsch war. Sie haben auch nicht gewirkt, bedauerlicherweise. Aber dass man es versucht, habe ich genau richtig gefunden.

Wie unangenehm wird die Regierung Kurz-Strache?

Ich weiß nicht, ob wir es gleich merken werden. Nämlich wir, die wir hier sitzen. Andere werden es wahrscheinlich gleich merken. Es fängt an, dass man die Kinderbeihilfe bei Menschen, die ihre Kinder im Ausland haben, streicht. Ich finde das unerträglich. Wenn wir grundsätzlich sagen, es geht darum, dass die Kinderbeihilfe nur Menschen ausgezahlt wird, die es brauchen, bin ich sofort dabei. Aber dann machen wir das auch in Österreich so. Allerdings: Sobald wir eine Ausnahme für Ausländerinnen und Ausländer machen …

… ist es ein klares Signal, das über Sozialpolitik hinausgeht.

Genau.

Der Menschenwandler Sebastian Kurz scheint kein Ideologe zu sein, eher ein Ingenieur der Macht. Ist das Fluch oder Segen?

Das ist so ähnlich wie bei Haider und meiner Meinung nach ein Nachteil. Ich erwarte mir von einem Politiker, einer Politikerin, dass die eine Vorstellung davon hat, wie die Gesellschaft aussehen soll. Für mich ist Ideologie kein Schimpfwort, sondern heißt, sich damit auseinandergesetzt zu haben, wie die Dinge zusammenhängen, und eine Vorstellung zu haben, wie man sich wünscht, dass die Dinge ausschauen sollen. Wissen Sie, mit Bick auf die neue Regierung erwarte ich mir eine weitere Spaltung der Gesellschaft. Es ist mir grauslich, wie hier die sozial Schwächeren, ob In- oder Ausländer, zu Almosenempfängern gestempelt werden. Ich halte die Kürzung der Mindestsicherung für fies und für schäbig. Ich frage mich, wie ein Mensch mit 500 Euro leben soll. Ich weiß schon, dass alles auch missbraucht werden kann – so what? Das können wir uns allemal noch leisten. Die Befindlichkeit, die man in diesen Menschen erzeugt, das muss man sich einmal vorstellen. Über das redet ja überhaupt niemand mehr, dass man eigentlich keinen Freund einladen kann, weil das dritte Bier geht sich nicht mehr aus. Von einem Urlaub rede ich überhaupt nicht. Wenn das eine immer größere Gruppe wird, spürst du das auch in der Gesellschaft. Weil ich dann nicht mehr in ein Wirtshaus gehe, wo es eine Mischung gibt, sondern wir nur noch unter uns sind. Ich will nicht nur unter uns sein. Das Zweite, was sich so hereinschleicht, ist dieses völkische Denken. Das hat schon immer zur FPÖ dazugehört, aber in jener Zeit, als ich dabei war, wurde es zurückgedrängt. Der Haider war sogar derjenige damals, der diese Zugehörigkeit zur deutschen Volksgemeinschaft aus dem Parteiprogramm herausgenommen hat.

Nun ist das in der Mitte der FPÖ angekommen …

… und diese Mitte der Partei kommt jetzt auch noch in die Regierung. Das Dritte – und jetzt kommen wir zur Wichtigkeit der Neos …

… deren Mitglied Sie sind …

… deren Mitglied ich bin. Das Dritte ist die direkte Demokratie. Die Demokratie ist auch dafür da, dass man für die Schwächeren Verantwortung übernimmt. Wenn der geplante Umbau auf direkte Demokratie durchgeht – und da hoffe ich, dass die Neos hier keine Zweidrittelmehrheit ermöglichen, weil auf sie wird es ankommen – dann hast du es als ein Verfassungsgesetz. Und ich behaupte, dass das ein derartiger Umbau wäre, dass du es wahrscheinlich sogar einer Volksabstimmung unterziehen müsstest.

Und das Volk stimmt in einer Volksabstimmung der Möglichkeit von mehr Volksabstimmungen wohl zu.

Wenn die Leute gefragt werden, ob sie mehr mitbestimmen wollen oder weniger, werden sie sagen: mehr. Aber du kriegst es nie wieder weg. Du müsstest nachher wieder eine Volksabstimmung machen. Und das schaue ich mir an, dass man sagt: ›Ihr sollt’s jetzt weniger mitbestimmen‹, dass du dafür eine Mehrheit bekommst.

Frau Schmidt, wenn sich die Neos vor der nächsten Bundespräsidentschaftswahl an Sie wendeten: ›Du hast ein Profil, du bist bekannt, trittst du für uns an?‹ Was sagten Sie?

Nein, danke.

Haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit.