Editorial im Februar 2018

DATUM Ausgabe Februar 2018

Liebe Leserin, lieber Leser,

als uns unlängst die Nachricht eines euphorisierten Lesers erreichte, da stieg es unwohlig warm in unsere Köpfe. Die Lektüre des DATUM-Textes zum Phänomen Bitcoin habe sein Leben verändert. Oje, dachten wir. Privat wie beruflich! Oje, oje. Haben wir da jemanden ins virtuelle Casino gelockt? Schön, wenn er gewinnt. Aber was, wenn der Mann verliert? Denn zu verlieren, das allein haben alle im Casino gemein.

Wenige Tage darauf die nächste Jubelnachricht, diesmal von einer Leserin, und nun wurden unsere warmen Köpfe heiß. Der DATUM-Text zum Drogenhandel im Darknet, dem entrischen Hinterhof des Internets, habe ihr Leben gleich in doppelter Hinsicht verbessert: Das Marihuana, das sie sich per Mausklick bestellt habe, sei von bester Qualität. Und der Kurs der Bitcoin, die sie sich gekauft habe, um das Rauschgift zu bezahlen, sei regelrecht explodiert. Um Himmels willen! Hatten wir mit unseren Recherchen Vorbereitungshandlungen zum Unglück unserer Leserinnen, unserer Leser gesetzt?

Als es ›Wetten, dass…?‹ noch gab, da sagte der blonde Mann mit den extravaganten Anzügen mindestens einmal pro Sendung: Machen Sie das nicht zu Hause nach. Wahrscheinlich hat erst dieser Satz die Menschen vor ihren Bildschirmen auf die Idee gebracht, mit dem eigenen Auto auf zwei Reifen zu fahren oder auf Stelzen Fußball zu spielen. Gut, nicht alle ›Wetten, dass…?‹-Seher waren mündig. Aber unsere Leserinnen und Leser? Sie?

Ich will nicht behaupten, wir hätten die Themen dieser Ausgabe danach ausgesucht, ob sie den Wagemutigen unter Ihnen zuzutrauen seien. Sagen wir so: Der Gedanke hat uns freundlich begleitet.

Denn sollten Sie wegen der Lektüre von Franziska Tschinderles Covergeschichte (Seite 14) öfters mal Ihr Smartphone zur Seite legen; sollten Sie wegen des Gesprächs zum Thema Wohnen (S. 24) Ihre Wohnsituation optimieren; sollten Sie sich wegen Tschinderles Porträts einer äthiopischen Ärztin (S. 74) dazu entschließen, deren Arbeit mit einer Spende oder persönlichem Engagement zu unterstützen; sollte Jonas Vogts Erzählung (S. 54) Sie davon überzeugen, sich noch zu Lebzeiten Gedanken über den Tod Ihres Haustieres und das organisatorische Danach zu machen oder Anneliese Rohrer (S. 34) Ihre Sinne für die Grenzüberschreitungen der FPÖ schärfen – sollte all dies geschehen, es wöge leicht auf unserem angeschlagenen Gewissen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Vergnügen mit den vorliegenden Seiten der Zeit – und ein erträglich Maß an Gram, wenn der Bitcoin-Kurs demnächst einbricht oder das Gras seine Wirkung nicht tut.

Ihr Stefan Apfl
stefan.apfl@datum.at

PS: Den geübten Leseraugen wird nicht entgehen, dass der Jahreswechsel auch an DATUM nicht spurlos vorübergegangen ist. Die Leserbriefseite haben wir um eine ›Leserbefragung‹ ergänzt. Die Glosse ›Zitat der Zeit‹ ist einer politischen Karikatur gewichen. Die Bücherstory erscheint von nun an unregelmäßig. Dafür laden wir 2018 in jeder Ausgabe Expertinnen und Experten zum DATUM-Stammtisch, um über die großen Themen unserer Zeit zu sprechen.