Vier Gebote
Wie sich einer rabiaten FPÖ-Opposition der Wind aus den Segeln nehmen ließe.
Und es begab sich Seltsames in Österreich. Noch nie Dagewesenes. In den Wochen seit der Bundeswahl am 29. September blieben doch tatsächlich die Spitzenvertreter jener Parteien, die es in den Nationalrat geschafft hatten, nach der Wahl bei ihren Aussagen vor der Wahl. Damit widerlegten sie das bisher gängige Urteil aus dem Volksmund nach einem Urnengang: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Ein nicht zu unterschätzendes Novum.
Dabei könnte alles so einfach sein. Jede der möglichen Varianten einer Mehrheitsbildung im Parlament als Voraussetzung einer stabilen Regierung ist realistisch, wenn auch nicht wünschenswert. Es gibt dafür allerdings vier Gebote: fester politischer Wille, Mut, Fantasie und die Überzeugung, dem Land in diesen volatilen Zeiten Stabilität zu bieten.
Allerdings können diese nur erfüllt werden, wenn es in den drei größeren Parteien FPÖ, ÖVP und SPÖ zu einem radikalen Wechsel in der Führung kommt. Von ÖVP-Chef Karl Nehammer kann oder sollte niemand verlangen, sein Wort zu brechen und doch den Vize für einen Bundeskanzler Herbert Kickl abzugeben. Vom FPÖ-Chef Kickl kann oder sollte niemand verlangen, mit jemandem zu kooperieren, in dem er nun jahrelang einen ›Volksverräter‹ gesehen hat. Und von SPÖ-Chef Andreas Babler kann oder sollte niemand verlangen, den Stabhochsprung vom Bürgermeister einer mittleren Gemeinde zum Vizekanzler am Wiener Ballhausplatz zu schaffen. Denn die wahren Hindernisse für eine stabil regierte Zukunft des Landes liegen nicht im Wahlergebnis, sondern in den Befindlichkeiten des Spitzenpersonals. Noch nie waren diese in den Koalitionsfindungen seit 1983 – dem Jahr, in dem die SPÖ ihre absolute Mehrheit verlor – so wichtig wie dieses Mal.
Wer so gefangen ist im Widerwillen und der gegenseitigen Ablehnung, der ist höchstwahrscheinlich unfähig, den Staat vor die jeweilige Partei zu reihen. Das aber wäre in der momentanen Situation das Gebot der Stunde. Abgesehen davon wäre eine Regierung, geführt von Herbert Kickl, ein demokratiepolitisches Risiko, das sich Österreich nicht leisten sollte. Ein Blick in das offizielle Wahlprogramm der FPÖ sollte genügen.
Unter einer neuen Führung für beide Parteien – bei der ÖVP käme unter anderem Karoline Edtstadler, bei der SPÖ Peter Kaiser in Frage – und unter Einhaltung der vier Gebote könnten die einstigen Großparteien zu einer Mehrheitsregierung mit auch nur einem Mandat Überhang finden. Den Neos wären Mitwirkungsmöglichkeiten als Gegenzug für die Unterstützung bei Reformen anzubieten – ohne formale Regierungsbeteiligung. Das hätte für Neos den Vorteil der Mitgestaltung, ohne bei der nächsten Wahl mit einem Regierungsmalus kämpfen zu müssen. Politischer Wille, Mut, Fantasie und Reformen? Damit könnte man durchaus einer rabiaten FPÖ-Opposition den Wind aus den Segeln nehmen.
Unter der Voraussetzung, dass in einer solchen Konstellation ÖVP und SPÖ – den Abgrund vor Augen – einander in der Regierung Luft zur Durchsetzung eigener Vorstellungen lassen, könnten Fortschritte im ohnehin nötigen Umbau der Republikstruktur gelingen – ohne sich gleich von Anfang an der lächerlichen Zuschreibung einer ›Zuckerl‹-Koalition mit den Neos auszusetzen. •