Welchen Journalismus wollen Sie?
Wenn WIFO-Chef Gabriel Felbermayr über die EU und ihre Rolle in der Welt nachdenkt, sieht er sie als Schizophrenie-Patientin, schwankend zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplexen (siehe Seite 22) und fordert dringend mehr Realitätsbewusstsein. Und das führt mich gleich zum Journalismus. Auch uns würde ein realistisches Selbstbewusstsein gut zu Gesicht stehen. Wir sehen uns zwar gerne als Stützpfeiler der Demokratie, ja sogar als ›vierte Gewalt‹ neben Exekutive, Legislative und Judikative, schwelgen jedoch angesichts erodierender Geschäftsmodelle, einer sich rasant verändernden Mediennutzung und sinkender Vertrauenswerte beim Publikum ebenso in Untergangsfantasien. Da tut Realismus gut, vor allem ein differenziertes Bild auf die eigene Branche.
Es gibt sie nämlich nicht, ›die Medien‹. Es gibt auch nicht ›den Journalismus‹. Es gibt Medienbetriebe, die vor allem der Profitmaximierung dienen, und solche, die sich als verlängerter Arm von Aktivismus und Machtinteressen jedweder Art verstehen. Und es gibt alles dazwischen – mitunter sogar in ein und demselben Medium. In diesem Dazwischen findet auch jener Journalismus statt, der sich als Dienstleistung an der liberalen Gesellschaft versteht, der Missstände aufdeckt, komplexe Sachverhalte erklärt und einordnet, und Debatten ermöglicht. Ein Journalismus, der sich selbst nicht zu wichtig nimmt, aber dafür die Welt um sich, einer, der sich als kritischer, aber dem Wesen nach konstruktiver Bestandteil dieser Welt sieht. Von diesem Journalismus gibt es heute viel, vermutlich mehr als vor 20 Jahren – doch strukturell steckt er in der Klemme.
Auf der einen Seite leidet er unter einer boulevardfixierten Medienpolitik. Bei Licht betrachtet, ist es doch absurd, dass es sich die Republik leistet, Boulevardmedien zu fördern, sei es im Rahmen einer ›Qualitätsjournalismusförderung‹ oder über Inserate. Gleichzeitig sind weite Teile der Politik mit der Idee des unabhängigen Journalismus zunehmend überfordert. Das zeigt sich einerseits daran, dass sie ihre eigene liebdienerische Medienflotte vorantreiben – wie vor allem die FPÖ – und andererseits unangenehme journalistische Berichterstattung über Korruptionsaffären generell verhindern oder gar unter Strafe stellen will, wie einem vom Falter veröffentlichten Gesetzesentwurf des ÖVP-Klubs zu entnehmen ist. Wenn es um unabhängigen Journalismus und dessen Förderung geht, muss man der Politik der vergangenen Jahrzehnte, mit wenigen Ausnahmen, schlicht und ergreifend Staatsversagen vorwerfen.
Auf der anderen Seite machen die Gesetze des Digitalen dem sorgfältigen Journalismus zu schaffen. In der Aufmerksamkeitsarena der Sozialen Netzwerke werden jene Inhalte vorgereiht, die Affekt erzeugen, Empörung verursachen und polarisieren. Das steigert die Nutzerintensität und damit die Werbeeinnahmen. Alles, was nicht in Schwarzweiß zeichnet, sondern Grautöne ausleuchtet, Nuancen sichtbar macht, wird von den Algorithmen regelrecht bestraft und dringt immer seltener an die Oberfläche. Diese Gesetzmäßigkeiten führen dazu, dass unsere Welt viel polarisierter erscheint, als sie tatsächlich ist.
Wenn also Staat und Markt versagen, eine aufgeklärte Gesellschaft aber gleichzeitig der Meinung ist, dass sie diese Dienstleistung zur Aufrechterhaltung ihres demokratischen Gefüges benötigt – dann liegt der Schluss nahe, dass sie selbst auch etwas dafür tun muss. Mit diesem Leitgedanken geht nun im Oktober die ›DATUM STIFTUNG für Journalismus und Demokratie‹ ans Werk. Als zivilgesellschaftliche und gemeinwohlorientierte Intervention hat sie den Zweck, mit zielgenauen Beiträgen den unabhängigen Journalismus zu stärken – sei es über Aus- und Weiterbildung, die Förderung innovativer journalistischer Formate, Grundlagenarbeit zu Desinformation oder Medienpolitik sowie Stipendien und die Unterstützung unabhängiger Journalistinnen und Journalisten, die mit offensichtlichen Einschüchterungsklagen konfrontiert sind. Wenn Sie uns bei diesem Unterfangen unterstützen oder darüber auf dem Laufenden gehalten werden möchten, melden Sie sich gerne für den Newsletter an, auf datumstiftung.at. •
Ich wünsche Ihnen viel Freude mit den Seiten der Zeit!
Ihr Sebastian Loudon
sebastian.loudon@datum.at