Wenn die Mücke nicht mehr sticht
Ein Labor in Uganda will mit einem neuen genetischen Verfahren Malaria ausrotten. Kann das gelingen?
Krystal Birungi wuchs in einem Slum in der Zentralregion Ugandas auf. Als sie ein kleines Kind war, entkam ihr Bruder nur knapp dem Tod. Er war schwer krank. Die Diagnose: Malaria. Die Symptome ähneln jener einer Grippe: Fieber, Müdigkeit, Kopfschmerzen. Ihre Familie hatte kaum Geld, schon gar nicht für Malariamedikamente. Verzweifelt versuchte ihre Mutter, den kleinen Buben mit Hausmitteln zu beruhigen und kühl zu halten. ›Ich erinnere mich an die Zeit, als es so schlimm war, dass er einen epileptischen Anfall bekam‹, erzählt Krystal Birungi. Ihr Bruder überlebte, viele andere Kinder jedoch nicht. Laut UNICEF stirbt weltweit fast jede Minute ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen von Malaria. Da kleine Kinder eine teilweise Immunität noch nicht aufbauen konnten, sind sie besonders gefährdet und machen den Großteil der tödlichen Malariafälle in der WHO-Region Afrika aus.
Heute ist Krystal Birungi selbst Mutter und forscht als Entomologin am Forschungskonsortium Target Malaria, mit Sitz unter anderem in Entebbe, der ehemaligen Hauptstadt des ostafrikanischen Landes Uganda, für die Zukunft ihres Sohnes. Die Luft ist warm und feucht. Es gibt keine Fenster, dafür grelles Licht. Metallene Regale mit quadratischen Boxen zieren den Raum. Dies ist das Zuhause von tausenden Mücken, die dabei helfen sollen, Geschichte zu schreiben. Dank ihnen könnte Uganda das erste von Malaria geplagte Land der Welt werden, in dem die Krankheit verschwindet.
Krystal Birungi und ihr Team verfolgen genau dieses Ziel: mit Gentechnik Malaria auszulöschen. Aber wie soll das gelingen? Die Forscherinnen und Forscher verändern das Erbgut der Mücken, sodass sich das Fortpflanzungsverhalten weiblicher Mücken dauerhaft umstellt. Dank des sogenannten ›Gene Drive‹ wird die Ausbreitung einer gewünschten genetischen Veränderung beschleunigt und über Generationen hinweg weitergegeben.
Normalerweise schlüpfen aus Mücken-Eiern circa gleich viele weibliche wie männliche Mücken. Paart sich aber eine männliche Mücke mit Genantrieb mit einer weiblichen, wird zu über 90 Prozent eine männliche Mücke geboren. Da nur weibliche Mücken stechen, reduziert dies die Malaria-Ansteckungsrate massiv. Die Mücken werden durch den ›Gene Drive‹ außerdem über viele Generationen hinweg verändert, und ihre Nachkommen müssen nicht ständig neu freigesetzt werden, da die Larven das veränderte Erbgut in sich tragen. Dadurch wird der Mückenbestand so stark reduziert, dass es kaum mehr Malariainfektionen gibt.
Dass das Erbgut von Mücken verändert wird, um Krankheiten einzudämmen, ist an sich nichts Neues. In dem westafrikanischen Staat Burkina Faso und im ostafrikanischen Dschibuti wurden bereits genetisch veränderte Mücken saisonal ausgesetzt, um die Quote an Malariainfektionen zu senken. Auch um anderen durch Mückenstiche verursachten Krankheiten entgegenzuwirken, wird diese Methode angewendet. Brasilien ist beispielsweise eines der Länder, in denen mit Gentechnik gearbeitet wird, um das Dengue-Fieber zu bekämpfen.
Bei Malaria funktioniert das allerdings nicht so einfach. Das Problem der bisher genutzten Technologie besteht darin, dass für einen nachhaltigen Effekt kontinuierlich zahlreiche Mückenkolonien im Labor genetisch verändert und freigelassen werden müssen. ›Wir haben unsere Mücken seit 2018 im Labor‹, erklärt Peter Nkurunziza, während er auf eine kleine quadratische Box zeigt, in der unzählige Mücken umherschwirren. Er ist Leiter der Insektenzuchtstation und arbeitet gemeinsam mit Krystal Birungi beim Projekt ›Target Malaria‹ in Uganda. ›Die Mücken, die Sie in der Box sehen, sind die hundertste Generation‹. Das bedeutet: In nur sieben Jahren entstehen mehr als hundert Mückengenerationen. Da sie sich so schnell vermehren, wächst die Mückenpopulation innerhalb kürzester Zeit und stellt ein erhebliches Malariarisiko dar. Um dieses Problem anzupacken, arbeitet ›Target Malaria‹ mit dem sogenannten ›Gene Drive‹, der die Vererbung über Generationen hinweg beeinflusst.
Für diesen Forschungszweck verbringen die Mücken ihr ganzes Leben in einer kleinen Kiste, die in etwa der Größe eines Minibar-Kühlschranks entspricht. Kaum zu glauben, dass sich in diesen kleinen Boxen zwischen 800 und tausend von ihnen aufhalten. In der Mitte hängt eine Flasche mit einer gelblichen Flüssigkeit, die die Mücken anzuziehen scheint. In dieser befindet sich eine Zuckerlösung, die dem Nektar von Blumen ähnelt, von dem sich Mücken in der Wildnis ernähren. ›Weibliche Mücken können erst Eier legen, nachdem sie Blut gesaugt haben. Das Blut enthält Proteine und Eisen, die essenziell für die Entwicklung und Reifung ihrer Eier sind‹, sagt Peter Nkurunziza. Um die Eiablage bei den Weibchen zu ermöglichen, wird ihnen kontrolliert Blut verabreicht. ›Wir erwärmen das Blut auf Körpertemperatur (37 Grad Celsius), gießen es auf die Fütterungsplatte und decken es mit Paraffinfolie ab, um es zu versiegeln‹. Er holt eine dünne weiße Platte hervor und stülpt eine milchige Folie drüber. Die Konsistenz erinnert an einen nicht aufgeblasenen Luftballon, nur dünner und weicher.
Die Mücke landet auf den Plättchen und sticht durch die Folie. Dies soll die menschliche Haut nachahmen. Bevor weibliche Mücken Blut saugen, geben sie eine Flüssigkeit ab. Durch diesen Speichel werden die Malaria-Erreger, falls die Mücke infiziert ist, auf den Menschen übertragen.
Unter den Behältern mit den erwachsenen Mücken steht ein längliches Wasserbecken, in dem sich kleine schwarze Larven an der Oberfläche bewegen. Sie sind mit freiem Auge gar nicht so leicht zu erkennen. Malariamücken haben Larven, die horizontal unter der Wasseroberfläche hängen. Nur um zu atmen, tauchen sie regelmäßig auf. Erst vor wenigen Tagen sind sie aus ihren Eiern geschlüpft. Erwachsene Weibchen produzieren pro Eiablage 50 bis 300 Stück und können während ihres Lebens insgesamt zwischen 800 und tausend Eier legen. Um die Fruchtbarkeit der weiblichen Mücken zu verringen, wird bei Target Malaria an einer zweiten ›Gene Drive‹-Option geforscht. Mithilfe von Gentechnik soll die Fähigkeit zur Eiablage reduziert werden. Das Ziel sei auch in diesem Fall, dass eine ausreichend reduzierte Mückenpopulation nicht mehr in der Lage ist, Malaria zu übertragen, was idealerweise zur Ausrottung der Krankheit führt, erklärt Krystal Birungi.
Und das wäre ein echter Gamechanger: Denn die WHO-Region Afrika, mit geschätzten 233 Millionen Fällen im Jahr 2022, machte etwa 94 Prozent der weltweiten Malariainfektionen aus. Laut WHO hat Uganda die weltweit höchste Malaria-Inzidenzrate von 478 Fällen pro 1.000 Einwohner pro Jahr. Das heißt, etwa 50 Prozent der Bevölkerung infiziert sich jedes Jahr mit Malaria. Die Malaria-Todesrate in Uganda wird auf jährlich 70.000 bis 100.000 Todesfälle geschätzt. Die offiziellen Todesraten sind allerdings niemals repräsentativ für die tatsächlichen Zahlen, so Krysta Birungi. Es gebe eine enorme Dunkelziffer, die nicht in die Statistiken miteinbezogen werde. In vielen ländlichen und abgelegenen Gebieten Ugandas gibt es nur begrenzten Zugang zu medizinischer Versorgung, und vielen Menschen fehlt es auch an finanziellen Mitteln, um die Kosten für Behandlung und Medikamente zu decken.
Die Entomologin leistet viel Aufklärungsarbeit über Gentechnologie auf den Ssese-Inseln am östlich gelegenen Viktoriasee. Auf den Inseln ist Malaria ein ständiger Begleiter der Bewohnerinnen und Bewohner. Wer dort lebt, hat mindestens schon eine Malariainfektion überlebt.
Bei ihrem letzten Besuch erlebte sie hautnah mit, was es heißt, Malaria ausgesetzt zu sein. Sie lernte eine Frau kennen, deren kleines Kind an Malaria erkrankte und nicht überlebte. Da die junge Mutter nicht genügend Geld für einen Krankenhausbesuch hatte, ging sie weiterhin ihrer Arbeit nach. Die größte Einnahmequelle der lokalen Bevölkerung ist der Fischfang. Über mehrere Tage trocknete die Mutter gefangene Fische und verkaufte diese am Markt weiter. Ihrem Sohn ging es stündlich schlechter. Nach zwei Tagen hatte sie genügend Geld gespart, um das Kind ins Krankenhaus zu bringen. Am dritten Tag starb ihr Sohn. Sie war gerade am Weg ins Gesundheitszentrum. In ein Tuch am Rücken gewickelt lag ihr totes Kind. ›Die Leute sagten ihr immer wieder, dass ihr Kind gestorben sei. Aber sie leugnete es und meinte, es lebe noch‹, erzählte Krystal Birungi.
Ihre Erlebnisse motivierten sie dazu, nach einem langfristigen Lösungsansatz für das Problem Malaria zu forschen. Dafür hat das Target-Malaria-Team eine offizielle Genehmigung. Die Erlaubnis, die Mücken mit einem ›Gene Drive‹ freizulassen, steht jedoch noch aus. Der Präsident von Uganda, Yoweri Museveni, hat das im Jahr 2018 verabschiedete Gesetz zur Regulierung der Gentechnik noch nicht unterschrieben. Es fehle an klaren Formulierungen und konkreten Details, hieß es von Seiten des Präsidenten. Obwohl die Forschung abgeschlossen und die Forschungs-Genehmigung erteilt wurde, fehlt noch ein gesetzlicher Rahmen für die Freisetzung der Mücken. Krystal Birungi ist jedoch zuversichtlich, dass dieser noch vor Abschluss des Forschungsprozesses vorhanden sein wird. Dies könnte bedeuten, dass Uganda das erste Land der Welt wird, in dem Gene-Drive-Mücken eingesetzt werden, um Malaria auszurotten.
Die Zeit drängt, denn es sind neue invasive Mückenarten auf dem Vormarsch. Nachdem in Dschibuti durch den Einsatz von traditionellen Bekämpfungsmethoden, wie das Verteilen von Insektiziden, Moskitonetzen und Medikamenten, Malaria fast ausgerottet worden war, stiegen aufgrund der invasiven Mückenart Anopheles Stephensi die Fälle wieder an. Diese Art ist laut WHO inzwischen in sechs weiteren afrikanischen Ländern präsent – Äthiopien, Somalia, Kenia, Sudan, Nigeria und Ghana. Die Mücken stechen nicht nur nachts, sondern auch untertags und stellen somit eine große Herausforderung dar. ›Insektizide reichen nicht mehr aus, wir brauchen Gentechnik, um die Infektionsrate langfristig zu senken‹, betont die Entomologin Krystal Birungi. Der ›Gene Drive‹, an dem Krystal Birungi und ihr Team arbeiten, kann auch an die Anopheles Stephensi angepasst werden.
Auch durch den Klimawandel breitet sich Malaria aktuell noch weiter aus. Die Trocken- und Regenzeiten, die früher klar zu unterscheiden waren, verschieben sich stark. Der Juli, der in Uganda normalerweise trocken verläuft, brachte viel Niederschlag mit sich. Die dadurch entstehenden Wasseransammlungen sind ideal für die Eiablage weiblicher Mücken. Viele präventive Malariabekämpfungsmaßnahmen passieren saisonal und werden in der Trockenzeit ausgesetzt. Mittlerweile infizieren sich jedoch das ganze Jahr über viele Menschen mit Malaria, so Krystal Birungi.
Ihre Geschichte macht Hoffnung. Als Kind fehlte ihr das Geld für eine Malariabehandlung, heute arbeitet sie bei einer der führenden Forschungseinrichtungen und sagt Malaria täglich den Kampf an. ›Wenn du heute lebst, hast du Malaria überlebt‹, meint Krystal Birungi. Für die kommenden Generationen soll dies nicht mehr gelten. •