Wie es ist … eine Koalition zu verhandeln
Koalitionsverhandlungen beginnen lange vor den ersten Gesprächen zwischen den Parteien. SPÖ und ÖVP müssen intern mit ihren Bünden und den Ländern klären, welche Positionen sie einnehmen und wer verhandelt. Wohin die Reise inhaltlich geht, lässt sich dann anhand der Namen der ersten Steuerungsgruppen erahnen. Wenn etwa ›Migration und Sicherheit‹ statt ›Migration und Soziales‹ verhandelt wird, sagt das bereits etwas aus.
Die weiteren Details eines Koalitionsprogramms entstehen in Fachgruppen. Regierungsverhandlungen sind die Zeit der ›policy wonks‹ der Parteien. Anders als bei den Grünen, wo zuletzt auch externe Experten mitgearbeitet haben, ist Verhandeln bei SPÖ und ÖVP traditionell Parteiangelegenheit. Verhandlungen müssen außerdem lange dauern. Schnelle Entscheidungen erwecken den Eindruck, dass nicht genug gestritten wurde.
Dabei kann es auf jedes Wort ankommen. Als die ÖVP 2013 ›Sterben in Würde‹ in die Verfassung schreiben wollte, fand der damalige SPÖ-Verhandlungsführer diese Idee gut. So gut, dass er es nicht für notwendig hielt, das Zwischenergebnis der Verhandlung bei den Parteibünden abzuklopfen. Als die SPÖ-Frauen von der geplanten Formulierung erfuhren, waren sie so aufgebracht, dass der Punkt im Regierungspapier nur stark abgeschwächt Platz fand. Der Grund: Ihrer Auslegung nach hätte die ÖVP mit dem Wort ›Würde‹ auch den Weg zu strikteren Abtreibungsgesetzen ebnen wollen. Nach so vielen Jahren Koalition genügte ein Wort, um einen Reflex auszulösen.
Um trotzdem weiterzukommen, brauchte es eine Gesprächsbasis. Ich bin immer wieder bis Mitternacht mit ÖVP-Leuten gesessen und habe unter Zeitdruck gearbeitet. Da entsteht Vertrauen. Manchmal spielte auch Alkohol eine Rolle. Johanna Mikl-Leitner zum Beispiel eröffnete Verhandlungsrunden gerne mit einem Spritzer.
Vertrauen entsteht auch dann, wenn beide Seiten während der Verhandlungen etwas Schriftliches hergeben, das noch nicht ganz abgestimmt ist. Dringt das nicht an die Öffentlichkeit, hat man wechselseitig eine Art ›Lebensversicherung‹, sozusagen einen Hebel. Einmal habe ich außerdem versehentlich einen unschönen Kommentar über einen Abgeordneten an die Gegenseite weitergeleitet. Mein Gegenüber hat mich darauf hingewiesen, es aber vertraulich behandelt. Von da an gingen wir anders miteinander um.
Schlussendlich werden die Ressorts und Ministerposten bestimmt. Der engste Kreis um die Parteichefs entscheidet dann über die letzten offenen Punkte, auf die man sich in den Fachgruppen nicht einigen konnte – im äußersten Fall machen das die Chefs unter vier Augen. Sie müssen ihre Entscheidungen aber gegenüber der Partei als Gewinn verkaufen können. Spätestens dann destillieren Pressesprecher das, was sie für Highlights halten, und streuen es in den Medien. Wenn man einen Kompromiss an die Öffentlichkeit bringt, muss man der Erste sein, um die Deutungshoheit zu gewinnen.
In den beiden Parteien hat nun ein Generationenwechsel stattgefunden. Die neuen Akteure haben sich weniger aneinander abgearbeitet und sind vielleicht offener, noch dazu, wenn sie mit den Neos als Dritten am Tisch umgehen müssen. Aber da Ende des Monats eine Landtagswahl ansteht, müssen wir uns wohl noch etwas gedulden, bevor auf Bundesebene Entscheidungen getroffen werden. •
Unser Gesprächspartner arbeitete lange Zeit im Kanzleramt und saß 2013 wie 2017 für die SPÖ in Verhandlungsteams. Mittlerweile ist er nicht mehr für die Partei, aber nach wie vor im politischen Betrieb tätig.