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Wie es ist … Obdachlose vor der Kälte zu schützen

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Fotografie:
Caritas
DATUM Ausgabe Dezember 2024/Jänner 2025

Bevor wir gegen 18 Uhr ausrücken, prüfe ich, ob in unserem Kleinbus – wir nennen ihn Kältebus – alles bereit ist: Schlafsäcke, ­Decken, Isomatten, Winterkleidung, heißes Wasser für Tee, Kaffee und Suppen. Das sind die Dinge, die obdachlose Menschen dringend benötigen und auch annehmen. Dann fahren wir immer zu zweit los. 

Eine Kollegin plant für uns vorab die Route. Meistens nehmen wir uns zehn Orte pro Nacht vor, an denen obdachlose Menschen gesehen wurden, die unsere Hilfe ­benötigen könnten. Die ­Meldungen kommen von Passantinnen und Passanten, die beim Kältetelefon der ­Caritas anrufen. Seit Beginn der Saison, Ende Oktober, sind bereits über 1.700 ­Anrufe eingegangen.

Es kommt vor, dass wir trotz Standortangaben die obdachlose Person nicht finden. Vor Kurzem war das in einem Park der Fall. Wir irrten im Dunkeln mit Taschenlampen durchs Gebüsch. Immer wieder habe ich gerufen, dass wir von der Caritas sind – Caritas versteht man in fast jeder Sprache. 

Es ist wichtig, dass die Personen wissen, dass wir weder die Polizei noch Passanten sind und ihnen nichts Böses wollen. 

Nach langem Suchen ­haben wir das Zelt der Person dann gefunden und sind langsam mit ihr ins Gespräch gekommen. So ein Einsatz ist wie ein Besuch bei dem Menschen zu Hause, und bei einem Besuch bringt man etwas mit. Zu unserer Standardausrüstung gehören Zigaretten und Kekse. Das kommt immer gut an und hilft dabei, erstes Vertrauen aufzubauen. Erst danach frage ich, ob ich ihnen noch irgendwie helfen kann: Wollen Sie Tee, Kaffee oder eine Suppe? Ist Ihnen kalt? Wir bieten auch immer einen Platz im Notquartier an. Wichtig: Ich spreche die ­Person immer mit Sie an!

Wenn ein Klient gerade keine Hilfe annehmen will, müssen wir das akzeptieren – außer, es geht ihm wirklich schlecht. Dann rufen wir ­sofort die Rettung. Ansonsten gilt: Wir spazieren quasi in das Wohnzimmer der Person, und das vielleicht mitten in der Nacht. Würde das jemand bei mir machen, wäre ich auch skeptisch. Wenn ich aber eines in meinen 30 Jahren als Streetworkerin gelernt habe, ist es, dass man niemanden aufgeben darf und wieder und wieder probieren muss, das Vertrauen zu bekommen. Sollte ich die Motivation dazu irgendwann nicht mehr aufbringen können, dann ist es Zeit, meine Arbeit niederzulegen. Bei einem Klienten haben wir drei Jahre lang ­versucht, Kontakt mit ihm aufzubauen. Nach dem fünften Besuch in dieser Saison hat er das erste Mal einen Kaffee angenommen. Er hat ihm zwar nicht geschmeckt, aber jetzt kann ich mich zumindest mit ihm darüber unterhalten, warum ihm dieser Kaffee nicht schmeckt und ob ich ihm beim nächsten Mal einen anderen mitbringen kann.

Kommt ein Notfall-Anruf aus der Zentrale rein, ändern wir unsere Route und fahren direkt dorthin, wo Hilfe ­gerade am dringendsten ­gebraucht wird. Die Planung wird also oft schon nach dem ersten Stopp wieder über Bord geworfen. Während manche Einsätze nur wenige Minuten dauern – etwa, wenn ein Klient einfach nur einen Schlafsack braucht – können sich andere über Stunden ­ziehen. Letztes Jahr haben wir einmal einen Klienten ins Krankenhaus begleitet und die ganze Nacht dort mit ihm ­verbracht. Wir versuchen meistens aber, gegen Mitternacht wieder zurück zu sein. •

Susanne Peter (54) leitet das Kältetelefon der Caritas in Wien seit seiner Gründung im Jahr 2012. Die Sozialarbeiterin ist seit über 30 Jahren als Streetworkerin im Einsatz. 

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