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Wo die Saucen nicht mehr scharf sind

Mexiko-Stadt ist zu einem Sehnsuchtsort digitaler Nomaden geworden. Was bedeutet das für die Einheimischen? Ein Besuch in der mittelameri­kanischen Metropole.

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Fotografie:
Andreas Knobloch
DATUM Ausgabe Mai 2023

Mit Faustschlägen und Tritten gehen Uniformierte der Bezirksverwaltung und bullige Typen in Zivil auf die Mitglieder des Kollektivs Sonido Sincelejo los, viele von ihnen Senioren. Die Ordnungshüter wollen sie daran hindern, zur Musik zu tanzen, wie sie es seit Jahren tun. Einige der Tänzer gehen inmitten von Schubsereien und Beschimpfungen zu Boden. Einer Frau wird von einer Beamtin ins Gesicht geschlagen.

Dabei ist die Alameda, der von Bäumen gesäumte Platz um den Kiosco Morisco, den maurischen Kiosk, kein besonders konfliktreicher Ort. Der mit islamischen Motiven verzierte achteckige Pavillon mit Glaskuppel ist das Wahrzeichen und Zentrum von Santa María la Ribera, einem emblematischen Viertel unweit des historischen Zentrums von Mexiko-Stadt. Am Wochenende flanieren Familien über den Platz, Straßenhändler verkaufen Luftballons und Eis, der Duft von Zuckergebäck liegt in der Luft, ein russisches Restaurant bietet gefüllte Teigtaschen feil, Jogger schlängeln sich an spielenden Kindern und Hunden vorbei. Das bunte Treiben ist Teil der Identität des Viertels.

Zu der gehört seit vielen Jahren auch der Sonidero. Profan übersetzt heißt das Lautsprecheranlage. Um eine solche versammeln sich seit zwölf Jahren Sonntag für Sonntag in ihrer Mehrzahl ältere Herrschaften in Sonntagskleidern und tanzen zwischen Springbrunnen und Parkbänken zu Cumbia, Mambo, Salsa oder Cha Cha Chá. An jenem Sonntag Ende Februar aber endet der Tanz, bevor es losgehen kann, in einem Handgemenge. Polizeibeamte beschlagnahmen kurzerhand die Anlage und Lautsprecher des Sonidero und transportieren sie in einem Lieferwagen ab.

Ángel Varillo versteht die Welt nicht mehr: ›Seit zwölf Jahren tanzen sie hier – und plötzlich soll das nicht mehr möglich sein?‹ Der 77-Jährige lebt seit 67 Jahren in der Nachbarschaft, wie er sagt. Mit der weinroten, ledernen Schiebermütze, dem grauen Spitzbart und der runden Brille wirkt er wie eine hagere Version des russischen Revolutionärs Leo Trotzki. Mit einer Hand stützt er sich auf einen Krückstock, in der anderen hält er ein selbstgemaltes Schild: ›Viva la Tradición – Es lebe die Tradition‹, steht darauf. Und auf der anderen Seite: ›¡Fuera la Cuevas! – Cuevas raus!‹

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